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Der Organist von Sancta Familia: 94 und kein bisschen leise

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1981 spielte Justino Parigi zum ersten Mal auf der Orgel in der Kirche von Sancta Familia. Wenn es nach ihm geht, kommen noch viele weitere Jahre hinzu. FOTO: judith dietermann
1981 spielte Justino Parigi zum ersten Mal auf der Orgel in der Kirche von Sancta Familia. Wenn es nach ihm geht, kommen noch viele weitere Jahre hinzu. © Judith Dietermann

Frankfurts ältester Organist Justino Parigi ist 94 Jahre alt - und ans Aufhören denkt er noch nicht.

Frankfurt -Man sieht die Freude in den Augen von Justino Parigi. Als er sich in der Kirche Sancta Familia an die Orgel setzt, die kleine Lampe einschaltet und seine Finger auf die Tasten des 1967 von Johannes Klais erbauten Instrumentes legt. Währenddessen beginnt er zu erzählen. Davon, wie er als junger Mann nach Brasilien auswanderte und mit seiner Frau nach Deutschland kam. Wie schwer die Anfänge in Frankfurt waren, dass ihm aber stets die Liebe zur Musik geholfen habe, jede noch so hohe Hürde zu überwinden. Und dass er noch so lange Orgel spielen möcht, solange der liebe Gott es will. „Auch wenn ich schon 94 Jahre alt bin, so fühle ich mich wirklich nicht“, sagt er und lacht. Mit dem Mund und seinen Augen. Seine lockigen grauen Haare wippen dazu im Takt.

In 22 Kirchen in Frankfurt hat Justino Parigi mittlerweile die Orgel erklingen lassen. „Dort wo ein Organist gebraucht wurde, bin ich eingesprungen. Für eine Mark und einen rote Rose für meine Frau. Weil es mir Spaß gemacht hat, es ging mir nicht um das Geld“, sagt er. Bis er im Mai 1981 von Sancta Familia, seiner Heimatgemeinde, angesprochen wurde, ob er nicht dort regelmäßig spielen wollte. Wollte er. Bis heute. Allerdings mit einer kleinen Pause. 2010 zogen er und seine Frau auf den Frankfurter Berg, doch 2012 kehrte er als Organist nach Ginnheim zurück. Weil beide Gemeinden Teil der Pfarrei Sankt Franziskus wurden. Für Justino Parigi ein Glücksfall. Wie auch für die Gemeinde.

Mit dem Schiff nach Brasilien

Dass er irgendwann einmal der vielleicht älteste aktive Organist in Frankfurt sein wird, daran hat Parigi sicher nicht gedacht, als er in Turin in Italien aufwuchs. 1928 wurde er dort geboren, über seine Kindheit spricht er allerdings nicht gerne. „Das war nicht alles schön“, sagt er nur. Er studierte Sprachen, legte Prüfungen in Französisch und Spanisch ab und wanderte schließlich als Mittzwanziger nach Brasilien aus. Mit dem Schiff ging es „zehn oder zwölf Tage lang“ über den Atlantik. In Apucarana wurde er heimisch. Dort lernte er auch seine Frau Helga, die bis heute an seiner Seite ist, kennen. Sie arbeitete als Personalleiterin bei der damaligen brasilianischen Fluggesellschaft Varig und stammte aus Allendorf bei Haiger. „Das war praktisch, durch ihren Job konnte ich immer günstig nach Brasilien fliegen. Einmal war das Heimweh so groß, dass ich für einen Tag nach Sao Paulo geflogen bin“, sagt Justino Parigi, der sich als halben Brasilianer bezeichnet. „Dort ist ein großer Teil meines Herzens.“

Übersetzungen in sechs Sprachen

Noch größer war stets nur die Liebe zu seiner Frau. 1979 zogen sie beiden von Brasilien nach Frankfurt und wurden dort heimisch. Sechs Kinder, fünf Enkel und vier Urenkel haben sie mittlerweile. Der Start sei sehr schwer für ihn gewesen, sagt Parigi. Er musste die deutsche Sprache lernen, das Wetter war trist, die Menschen kühler als in Südamerika. „Ich habe sehr gelitten.“ Doch dann fand er Arbeit als Übersetzer - mit Spanisch, Französisch, Portugiesisch Englisch, Italienisch und Deutsch spricht er sechs Sprachen. Und er begann als Gästeführer zu arbeiten. Mehr als 25 Jahre lang erklärte er den Touristen den Römer auf italienisch oder die Ebbelweikultur auf portugiesisch. Sein Markenzeichen: ein bunter Hut, ein Mitbringsel aus Brasilien. Und ein bisschen Heimat für ihn in Frankfurt.

Dass er auf so vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzt, ist für Justino Parigi normal. Nur daheim sitzen und einen Job machen, das sei nicht sein Ding. Deswegen arbeite er auch nach wie vor als Übersetzer, kümmere sich um Verträge und Anträge. Und spiele eben Orgel. Am liebsten Stücke von Marco Enrico Bossi, Felix Mendelsohn Bartholdy oder Léon Boëllmann. Johann Sebastian Bach verehre er sehr. Ihn und seine Musik. Oft habe er seine Stücke gespielt. Vielleicht auch zu oft. „Mittlerweile nehme ich davon etwas Abstand, aber klassisch sollte meine Musik schon sein“, sagt der 94-Jährige.

Kinder teilen Liebe zur Musik nicht

So viel wie möglich übt er in seiner Freizeit, um den Stücken „einen Sinn und Leben“ zu geben. Das größte Lob seien die Gesichter der Gottesdienstbesucher, wenn sie mit einem fröhlichen Gefühl die Kirche verlassen. „Einer der Pfarrer in St. Albert am Dornbusch mochte mich besonders. Einmal hat er mir sogar einen rote Rose, eingewickelt in ein Notenblatt, überreicht“, sagt Parigi. Dass sei aber eine Ausnahme gewesen, um eine rote Rose von seinen Anfängen bittet er schon lange nicht mehr. Seine Frau bekommt freilich trotzdem Blumen, aber direkt von ihm.

An seine Kinder, sagt Parigi, habe er seine Liebe zur Musik leider nicht weitergeben können. Zwar hätten alle sechs begonnen, ein Instrument zu spielen, aber als es ernst wurde und sie mehr üben sollten, hätten sie Schluss gemacht. Erzwingen könne man so etwas eben nicht, diese Liebe habe man im Herzen oder nicht. Beigebracht hat sich Justino Parigi das Orgelspielen übrigens selbst, mit verschiedenen Notenbüchern. „Wenn man etwas liebt, dann fällt das leicht. Ich habe es ja nicht gemacht, weil ich es musste, sondern weil ich es wollte. Und ich will noch sehr lange“, sagt er, und knipst die Lampe neben der Orgel wieder aus. Bis zum nächsten Mal.

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