Der Rote Faden, Folge 187: Laura J. Padgett - Die Seherin
Von UTE VETTER Die Fotografin Laura J. Padgett besetzt mit ihren Arbeiten traumwandlerisch sicher Räume zwischen Erzählung und Installation, Sprache und Bild, Geschichte und Zeitgeschehen. Der Trägerin des Marielies-Hess-Kunstpreises 2017 widmen wir die Folge 187 unserer Serie "Der rote Faden", in der wir Menschen vorstellen, die Besonderes für Frankfurt leisten.
Auf der Straße im Allerheiligenviertel stehen Menschen, die offensichtlich einige Probleme in ihrem Leben haben. Sie warten, dass eine Sozialeinrichtung öffnet. Im Nachbargebäude muss, wer ins Atelier von Laura J. Padgett will, sich an Mülltonnen vorbeischlängeln und ein Treppenhaus hinaufsteigen, das seit Jahrzehnten keinen Anstrich erfahren hat. Das Haus gehört der Stadt. Im dritten Stock steht Laura J. Padgett in der Tür und begrüßt den Gast freundlich. Die Fotografin teilt die Räume mit einer anderen Künstlerin. Ob Tee recht sei? Kekse habe sie auch.
Die zierliche dunkelhaarige Frau, schlicht gekleidet in dunkle Jeans, dunklen Pulli und dunkle flache Schuhe, schätzt die Poesie des Brüchigen und Unvollkommenen. Sie erinnere an „das Werdende und das Verschwinden des Gewesenen“, schrieb ein Kritiker über ihre Werke einst. Was nicht viele wissen, ist, dass sie mitunter sehr lange auf den richtigen Moment, das richtige Licht, eine bestimmte Art von Verlassenheit eines Ortes wartet, bevor sie den Auslöser drückt – sei es ein zerbombter Zugtunnel im Libanon, eine marode Wand, die kolossartigen „Beine“ einer teilabgerissenen Brücke in einem Wohnviertel oder eine menschenleere Baustelle.

Der Societäts-Verlag hat eine Porträtreihe aus der Frankfurter Neuen Presse aufgenommen: „Der rote Faden“ vereint 40 Frankfurter, die Großes geleistet haben.
Laura J. Padgett, Jahrgang 1958, ist US-Amerikanerin. Trotz ihrer perfekten Deutschkenntnisse schimmert das manchmal durch. Sagt sie „so“, klingt es wie ein gedehntes „souu“, das ihre Landsleute gern benutzen, um einen neuen Satz oder Gedankengang einzuleiten. Ihr Laptop schimmert aluminiumfarben neben den Flohmarkttassen. Durch die zimmerbreite Fensterfront drängt sich der betongraue Koloss des Mainova-Heizkraftwerkes auf. „Ich versuche immer wieder, diese Aussicht aufzunehmen – aber ohne das rote Sparkassen-S im Hintergrund. Das ist nicht so leicht“, sagt sie. Ist sie zufrieden? „Es läuft gut“, sagt sie heiter. Und schiebt hinterher: „Man darf sich aber nie Hoffnung machen, dass das eine zu etwas anderem führt. Das weiß man nie. Es ist etwa überraschend, wenn manchmal eine Arbeit, die ich nicht so besonders finde, total gut ankommt – und umgekehrt. Sehr oft ist es aber so, wenn ich wirklich überzeugt bin von einer Arbeit, erfahre ich Anerkennung.“
Sie ist Trägerin des Marielies-Hess-Kunstpreises 2017 des Hessischen Rundfunks. Sie freut sich darüber. Ist sie bekannt? Sie zuckt die Schultern. „Ich weiß nicht, wie man solche Sachen bemisst. Ich kann von meiner Arbeit gut leben, unterrichte gerne auch noch. Die Selbstständigkeit trägt mich.“ Sie stellt international aus, ihre Arbeiten sind in staatlichen und privaten Sammlungen vertreten. In Frankfurt hat sie zwei Jahre lang den Anbau des Städel fotografisch-erzählerisch begleitet. „Nicht dokumentiert“, betont sie. Der Bildband dazu titelt „Raum über Zeit“.
2017 wird sie eine Einzelausstellung im Haus Giersch bestreiten. Sie reist derzeit oft nach Wien, arbeitet stundenlang im 13 Grad kühlen Tiefspeicher des riesigen Naturhistorischen Museums, weil anlässlich des „Europäischen Monats der Fotografie“ eine Galerie ab 19. Oktober ihre Werke ausstellen wird. Bereits am 7. September eröffnet ihre Ausstellung im nordhessischen Residenzschloss Bad Arolsen: „Im Reich der Durchlässigkeit“. Dafür hat sie wieder viel fotografiert, recherchiert, historische Texte gelesen, stundenlang mit Schablonen und Bleistift Texte auf Wände geschrieben. Sie stieß auf wunderschöne Vorsatzpapiere in historischen Büchern, ließ Stoffe bedrucken, wählte adäquate Oberflächen und quälte sich mit der ewigen Frage: Passepartout oder nicht?

Wie wurde sie, was sie ist? Geboren 1958 in Cambridge, einem Vorort von Boston in Massachusetts, beginnt sie kaum 13-jährig zu fotografieren. „Ich hatte einen tollen Kunstlehrer und es gab an der Schule eine super Dunkelkammer“. Mit 14 kauft sie sich ihre erste Kamera, eine Tante hatte ihr etwas Geld dafür geschenkt. Es war eine Canon. „Bis vor drei Jahren habe ich damit gearbeitet. Die A1 war schön stabil und hat sehr gute Objektive.“ Inzwischen arbeitet sie mit einer Panasonic Lumix aus der DM-G Serie: „Damit kann ich mit Leica-Wechselobjektiven arbeiten und noch dazu HD-Videos drehen.“ Lernte oder fotografierte sie einmal nicht, schwamm sie im nur 20 Minuten Autofahrt entfernten Atlantik. Wenn sie nach beinahe 40 Jahren Leben in Frankfurt etwas vermisst, dann ist es das Meer. Das Schwimmen in den salzigen Wellen.
Nach der High School zieht sie nach New York, studiert Malerei, Film und Fotografie am Pratt Institute in Brooklyn, macht ihren Bachelor in Kunst. „Aber die Fotografielehre zu jener Zeit an den Hochschulen fand ich zu angewandt, also zu sehr in Richtung Grafik, Reportage gehend. Ich wollte Fotografie aber immer als künstlerisches Mittel einsetzen, darum studierte ich auch Malerei. Ich konnte das dann gut kombinieren.“