Der Rote Faden, Folge 243: Mirek Macke - Der Freigeist
Von Henriette Nebling Mirek Macke ist der Mitbegründer des Kunstvereins Familie Montez, kämpfte entschlossen um dessen Rettung und steckt bis heute viel Herzblut und alle Kreativität in das Gesamtkunstwerk unter der Honsellbrücke. Ihm widmen wir die Folge 243 unserer Serie "Der Rote Faden", in der wir Menschen vorstellen, die Besonderes für Frankfurt leisten.
Wir Künstler sind doch irgendwie alle Nutten“, sagt Mirek Macke, lächelt süffisant und hängt ein „Wirklich!“ hintendran, was er immer tut, wenn er etwas bekräftigen will. Es ist schon das dritte Mal heute, dass er Kunst und Prostitution miteinander in Verbindung setzt, das Thema scheint ihn zu beschäftigen. Dabei ist das, was er immer wieder für Geld anbietet, nicht etwa ein Körper, sondern ein Gesamtkunstwerk, das aber doch in gewisser Weise körperlich ist, weil es aus vielen kleinen Organismen besteht, wächst und atmet und sich ständig verwandelt. Die Rede ist vom Kunstverein Familie Montez, jenem Kunstverein unter der Honsellbrücke, dessen Mitbegründer Mirek Macke ist und als dessen Direktor er häufig gehandelt wird. „Ich mag es nicht, wenn ich so genannt werde, wir alle hier sind Performance-Künstler, das Ganze ist eine große Performance“, sagt er. Doch auch die Kunst, so frei und radikal in ihren Forderungen sie auch sein mag, muss sich irgendwie finanzieren – ein Problem, so alt wie der Kunstbegriff selbst – und so muss Macke das Montez immer wieder vermieten; an Unternehmen, die dort Feiern ausrichten, an Clubs und Parteien, die Kongresse abhalten und Vorträge veranstalten. Alle wollen sie ein bisschen vom Glanz, von der Verruchtheit und dem Nimbus des Montez, und vielleicht auch des Mirek Macke, profitieren, so wie einst die Mäzene vom Ruf ihrer Malermeister.
Wollte kein Künstler sein
Dabei wollte Macke nie Künstler werden. Er wächst in den 60er-Jahren als Sohn einer Fabrikarbeiterin und eines Schneiders im polnischen Ilawa auf, einem Örtchen bei den masurischen Seen. Nach der Schule wird er Bautechniker und tritt eine Stelle im Gefängnis an, direkt gegenüber von seinem Elternhaus. „Die Leute, mit denen ich jetzt zusammenarbeite, erinnern mich manchmal an die Gruppe, in der ich damals gearbeitet habe. Die war ziemlich gut, wir haben viel improvisiert und probiert, viel modernisiert und verändert“, sagt Macke. Wenn er spricht, hört man noch immer den leichten polnischen Sing-Sang und manchmal bringt er deutsche Redewendungen durcheinander.

Als er 25 ist, beschließt seine Tante, dass es noch nicht alles für ihn gewesen sein kann, und holt Macke zu sich nach Hamburg. Mit einem Touristen-Visum kommt er nach Westdeutschland. Er belegt Sprachkurse an der Volkshochschule, doch es hakt lange mit der Sprache und dem Deutschen. Kontakte zu knüpfen fällt ihm entsprechend schwer und so beginnt Macke auf Anregung seiner Tante damit, aus Ton Vasen zu kneten. Fast zwei Jahre lang formt er Gefäße und Marionettenköpfe für die Puppen der Tante. Schön sind die Köpfe nicht, doch der Onkel sagt, dass sie Charakter haben.
Als sein Deutsch besser wird, zieht Macke nach Göttingen und belegt an der Volkshochschule einen Töpferkurs, seine originellen Gefäße fallen auf, man rät ihm, sich an der Kunsthochschule in Kassel zu bewerben. Macke fotografiert seine Werke, fährt nach Kassel. Seine Vasen genügen den hohen Ansprüchen der Keramikklasse nicht, doch ein Marionettenkopf, der sich unter die Fotos gemischt hat, erregt die Aufmerksamkeit des Professors. Macke wird an die Bildhauerklasse weiterverwiesen, vier Monate später wird er als Gaststudent aufgenommen. Anlässlich des Baunatal-Symposiums formt er eine Glocke aus Diabas-Stein, wie jeder Teilnehmer bekommt er dafür 5000 Mark. Die verwendet er, um nach Salzburg zu fahren und sich beim Maler und Aktions-Künstler Hermann Nitsch vorzustellen. „Ich bin auch da wieder meiner Intuition gefolgt, nicht meiner Intention“, sagt er heute bescheiden – und doch ist er stolz darauf. Zusammen mit 40 anderen Studenten wird er Schüler des Star-Künstlers und „klatscht Farbe auf Papier“, Unmengen davon, schnell, wild und impulsiv.

Der Societäts-Verlag hat eine Porträtreihe aus der Frankfurter Neuen Presse aufgenommen: „Der rote Faden“ vereint 40 Frankfurter, die Großes geleistet haben.
Im selben Jahr wird Nitsch als Dozent an die Städelschule berufen, alle seine Schüler wollen mit. Auch Macke fragt, und er ist es, den Nitsch zuerst auswählt. „Ehe ich nach Frankfurt kam, habe ich nochmal zwei Monate lang mit zwei Freunden in Kassel auf dem Dachboden rumgeschmiert“, sagt Macke. Eine Rolle mit Papier hätten sie gehabt, auf der sie immer neue Kunstwerke geschaffen haben, regelrechte Fließbandarbeit. „In dieser Zeit habe ich nur für die Farbe gearbeitet.“ Nitsch sieht in Macke sein Protegé, will, dass er in seine Fußstapfen tritt, gibt ihm in der Städelklasse das größte Atelier, fordert von ihm, dass seine Bilder immer mehr Raum einnehmen sollen. „Größer, größer, größer!“, sagt er ihm. Doch am Ende enttäuscht Macke den Mentor. „Ich fing an, mich in der Kunst umzusehen, wollte gucken, was andere so machen, was Kunst überhaupt ist.“ Seine Formate werden kleiner, detailverliebter.