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Königsteiner Stiftung macht sich für die Ärmsten stark

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© MARTIN KASPER

Seit 2007 engagiert sich die Königsteiner Stiftung Childaid Network für benachteiligte Kinder in Südasien. 2011 wurde sie aus 1800 hessischen Stiftungen als Stiftung des Jahres ausgewählt. 2016 erhielt sie das DZI-Spendensiegel der besten Kategorie für sehr sparsames, transparentes und wirkungsvolles Management. Am heutigen Tag feiert sie ihr zehnjähriges Bestehen. Wir haben Dr. Martin Kasper, der das Hilfswerk zusammen mit seiner Frau, Dr. Brigitta Cladders, mit eigenem Kapital gegründet hat, gebeten, Bilanz zu ziehen. Das Gespräch führte TZ-Redakteurin Christiane Paiement-Gensrich.

Herr Dr. Kasper, Sie haben für benachteiligte Kinder in Südasien viel erreicht. Was bedeutet für Sie zehn Jahre Childaid Network?

DR. MARTIN KASPER: Unsere Vision vor 10 Jahren war, möglichst vielen jungen Menschen, die nie zur Schule gehen durften, Zugang zu Grundbildung und beruflicher Bildung zu öffnen. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, mehr als 110 000 Kindern und Jugendlichen durch Bildung in unseren Projektgebieten – und dadurch mehr als einer halben Million Familienangehörigen – zu einer Zukunftsperspektive zu verhelfen. Wir sind glücklich, dass so unsere Vision schrittweise Wirklichkeit wird.

Wie haben Sie das geschafft?

KASPER: Der Dank gebührt unseren vielen Helfern und Partnern, die wir motivieren konnten, mitzumachen. In Deutschland engagieren sich unter anderem Schüler, Unruheständler und befreundete Organisationen ehrenamtlich für uns. Mehr als 250 Personen und Ansprechpartner stehen auf unserer Helferliste. Dazu gehören Menschen, die uns Türen öffnen, und andere, die sich nur am Wochenende engagieren können. Aber das Kernteam umfasst etwa 30 Leute, die unser Wirken für den Bildungszugang für Kinder zum Lebensinhalt gemacht haben. Zum Teil sind das fast Fulltime-Jobs. Mehr als 150 Personen haben sich in den letzten 10 Jahren auch in den Projektgebieten ehrenamtlich, aber tatkräftig eingebracht und lassen ihre Talente dort wirksam werden.

In welchen Ländern sind Sie aktiv?

KASPER: Wir konzentrieren uns auf die ländlichen Regionen in Südasien in den Fußhügeln des Himalaya. Begonnen haben wir in der vergessenen Krisenregion Nordostindien. Allein dort fördern wir in enger Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen Projekte an mehr als 400 Standorten. Bhandar in Nepal ist zu einer zweiten großen Projektsäule geworden, wir sind dort die einzige Hilfsorganisation in einem großen Bergdistrikt. Mit starken lokalen Partnern wirken wir in den benachbarten Regionen Nord-Bangladesch, Myanmar und Laos.

Was sind das für Organisationen?

KASPER: Das sind derzeit 24 starke Partner, die bewiesen haben, dass sie solche Projekte korruptionsfrei und kompetent umsetzen können. Denn die Menschen an Ort und Stelle wissen am besten, wo der Schuh drückt und was gebraucht wird, um eine Veränderung zu bewirken. In Nordostindien sind das zum Beispiel die Entwicklungsbüros der Salesianer Don Boscos. Wir schließen dann Projektverträge ab, in denen detailliert Budgets und Ziele festgelegt sind. Und wir messen unsere Projekterfolge. Unsere 30 000 Schüler machen beispielsweise alle sechs Monate einen Lernerfolgstest. In Rajasthan arbeiten wir mit unseren Freunden von Barefoot College zusammen. Da geht es besonders um die Förderung junger Frauen in Abendschulen und Berufsbildung.

Wie wählen Sie die Projektgebiete aus?

KASPER: Wir gehen dorthin, wo die Not besonders groß ist und wo sonst keiner hinkommt. Das sind Gegenden, die wenig erschlossen sind, die nur über beschwerliche Wege zu erreichen sind oder die gefährlich sind. Viele unserer Schulstandorte, so auch in Nepal, sind nur zu Fuß zu erreichen. Dort, wo wir aktiv sind, sind wir die jeweils größte ausländische Organisation.

Wie gehen Sie vor?

KASPER: Wir konzipieren und realisieren mit unseren Partnern Pilotprojekte. Wenn diese funktionieren, gehen wir damit in die Breite. Wir konzentrieren uns dabei auf eine Region, um dort nachhaltig etwas verändern zu können. Ein Beispiel sind unsere Abendschulen für 13 bis 20 Jahre alte Jugendliche. Sie lernen dort lesen, schreiben und rechnen. Für den Erfolg hat es nicht gereicht, Lehrkräfte für Erwachsenenbildung zu suchen und auszubilden, neue Curricula zu definieren und die Dorfräte zu mobilisieren. Wir mussten uns auch um das Problem mit der Beleuchtung kümmern, denn es gab an den meisten Orten keinen Strom. Also brauchten wir Batterien mit Sonnenkollektoren.

Wie hat sich das Projekt entwickelt?

KASPER: Angefangen haben wir mit sieben Pilotschulen, jetzt sind es 234 Abendschulen mit sieben Partnern. Aber die noch bessere Nachricht ist: In 180 Dörfern sind unsere Abendschulen nicht mehr nötig. Denn die jungen Leute dort können inzwischen nicht nur lesen, schreiben und rechnen. Sie haben mit den Dorfältesten Bildungs-Räte gegründet, die unter anderem verwaiste Dorfschulen wiederaufgebaut haben, die Regierung drängen, dass Lehrer kommen und diese kontrollieren und begleiten. So können jetzt die jüngeren Kinder regelmäßig unterrichtet werden. Zur Ausbildung an unseren Abendschulen gehört immer auch, dass die Jugendlichen ein Sozialprojekt übernehmen. Einige haben eine vom Unwetter zerstörte Brücke wiederaufgebaut, andere haben einer Witwe das Haus gestrichen, und alle helfen mit, im Dorf das Bewusstsein für die Bedeutung von Bildung zu stärken.

Warum gibt es in vielen Dörfern in Nordostindien keine funktionierenden Grundschulen?

KASPER: Die indische Regierung bekommt es nicht hin, in diese Region gute Lehrer zu schicken. Es ist auch schwierig, Lehrer zu finden. In Nordostindien werden 200 verschiedene Sprachen und 864 Dialekte gesprochen. Viele der Völker, die dort leben, haben keine Schriftsprache.

Und in Nepal?

KASPER: Dort bauen wir gerade sechs Schulen, die vom Erdbeben zerstört worden sind, wieder auf. Ich hoffe, dass wir die Schulen vor der Regenzeit noch einweihen können. Von den Kindern dort gehen jetzt aber immerhin 85 bis 90 Prozent zur Schule. Das hat das Nepal-Projekt der Helene-Lange-Schule aus Wiesbaden „Kinder von Bhandar“ bewirkt, das seit 2008 mit Childaid Network gemeinsame Sache macht. Wir sind zusammengewachsen, weil wir uns mit ähnlichem Anspruch und ähnlichen Konzepten in benachbarten Regionen engagieren. Allerdings müssen wir dort die Qualität der Schulen noch verbessern. Denn von diesen Kindern erreicht keines die mittlere Reife. Wir pilotieren gerade mobile Lehrerteams, die mit einem Experimentierkasten unterwegs sind, um Lehrer fortzubilden und den Unterricht interessant zu gestalten. Außerdem erproben wir digitale Lehrerfortbildung, damit der Unterricht abwechslungsreicher wird. Beispielsweise bekommen die Lehrer jeden Tag ein neues Lied aufs Handy geschickt. Das können sie dann mit den Kindern einstudieren. Wenn die Methoden ausgereift sind, wollen wir diese Techniken überall in unseren Projekten einsetzen.

Warum ist die Grundschulbildung so wichtig?

KASPER: Bildung ist die beste Investition in die Zukunft. Jedes Jahr Grundschulbildung einer Frau verlängert ihr Leben um zwei Jahre und verringert die Kindersterblichkeit ihrer Kinder um über 50 %. Unser Anspruch ist es, nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Wir wollen die Menschen dauerhaft dazu befähigen, in ihrer Region ihre Familien vernünftig zu ernähren.

Welchen Schwerpunkt haben Sie in diesem Jahr?

KASPER: Der Schwerpunkt unserer Arbeit verschiebt sich immer mehr in Richtung berufliche Qualifikation. Ich habe im März unser fünftes großes Berufsbildungszentrum in Assam eröffnet. Es liegt in Amguri, wo sich auch die Patenschule des Taunus Gymnasiums befindet. 600 bis 700 Lehrlinge werden dort jährlich zu Näherinnen, Schneiderinnen, Fahrern, Automechanikern und im Bereich Nahrungsmittel-aufbereitung ausgebildet. Die Grundidee ist, unternehmerisch talentierte Leute auszubilden, damit sie ihre eigenen Meisterbetriebe gründen und dann selbst Arbeitsplätze schaffen.

Wie viele Einheimische arbeiten hauptberuflich in Ihren Projekten?

KASPER: Indirekt haben wir rund 700 Lehrer und Sozialarbeiter in 400 Projekt-Schulen auf der Payroll, zusammen mit den Projektmanagern und Dorfräten sind das mehr als 1 000 engagierte Führungspersonen, die sich für die Menschen vor Ort einbringen – und gleichzeitig eine wichtige Einkommensquelle in den ländlichen Regionen.

Das hört sich sehr erfolgreich an. Haben Sie trotzdem noch einen Traum?

KASPER: Mein Traum wäre es, dass wir uns überflüssig machen und dass weltweit alle Kinder eine qualifizierte Grundbildung bekommen. Damit sie sich eine gute Zukunftsperspektive für sich selbst und für ihre Familien erschließen können.

Und bis dahin?

KASPER: So lange es nötig ist, werden wir uns weiter engagieren. Dabei werden wir weiterhin um eine sehr schlanke Kostenstruktur hier bemüht sein, damit die Spenden auch ankommen. Im Jahr 2016 hatten wir 2,5 Prozent Verwaltungskosten und 3 Prozent Kosten für Spender-Betreuung und Öffentlichkeitsarbeit. Fast 95 Prozent der Einnahmen gehen direkt in die Projekte.

Wie hoch war das Spendenaufkommen im vorigen Jahr?

KASPER: 2016 hatten wir Einnahmen in Höhe von 1,723 Millionen Euro, davon waren gut 400 000 Euro öffentliche Zuschüsse, die unseren Einsatz in diesen investiven Projekten vervierfachen. In unserem zehnten Geschäftsjahr haben wir damit erneut sowohl bei den Projekten als auch bei den Einnahmen ein zweistelliges Wachstum erreicht. Der Projektaufwand hat sich von 2011 bis 2016 fast verdreifacht.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie alles richtiggemacht haben?

KASPER: Ja, ich denke das meiste schon. Das sieht man daran, dass sich so viele Menschen bei uns engagiert haben mit Arbeitskraft, Vertrauen und Geld. Im Januar erst habe ich zwei große Vermächtnisse zugesagt bekommen. Auch in den Projektgebieten konnten wir Teile der Zivilgesellschaft mobilisieren. Das sind Rotarier, Lions-Club-Mitglieder, Ärzte, Unternehmer und einheimische Hilfsorganisationen. Wir haben auf dem Vertrauen aufgebaut, das unsere einheimischen Partner bereits genossen haben, und haben selbst eine Vertrauensbasis durch gute Arbeit, Transparenz und Wirksamkeit entwickelt. Mich freut besonders, die Erfolge vor Ort zu erleben: Gerade bin ich Schülern begegnet, die anfangs nicht mal ihre Namen schreiben konnten. Nun brillieren sie auf der Bühne mit selbstgetexteten Liedern und Sketchen.

Gibt es trotzdem auch Enttäuschungen? Und wie gehen Sie damit um?

KASPER: Jede meiner Reisen – gerade war ich zum 25. Mal in 10 Jahren vor Ort – ist eine Achterbahnfahrt. Es gibt bewegende positive Erfahrungen, aber auch immer wieder Enttäuschungen. Und es gibt Rückschläge wegen Naturkatastrophen wie in Nepal, Krankheiten oder wegen falschen Personals. Da braucht man im Team Kollegen, die einen auffangen und mit denen man gemeinsam überlegen kann, was man besser machen kann.

Wie sehen die nächsten zehn Jahre Childaid aus?

KASPER: Die nächsten zehn Jahre bin ich gerne weiter mit dabei und aktiv. Ich bin aber froh, dass inzwischen die Arbeit auf viele Schultern verteilt ist. Solange ich gesund bin, möchte ich Childaid weiter begleiten und inspirieren. Aber vielleicht wird meine Rolle künftig eher vom operativen zu strategischem Input wechseln. Ich bin fest davon überzeugt, dass es unserer Generation gelingen kann, allen Jungen und allen Mädchen weltweit den Zugang zu qualifizierter Grundbildung zu ermöglichen.

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