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Heiß umkämpfte Pkw-Prämie: Andreas Scheuer fährt industrienahe Linie

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Von: Joachim Wille

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Die Mehrheit der Deutschen ist gegen die Abwrackprämie für Fahrzeuge, auch die Wirtschaftsweisen warnen. Doch die Regierungen der Autoländer machen mächtig Druck.

Kommt die Auto-Kaufprämie, oder kommt sie nicht – und wenn, für welche Modelle? Nur für E-Autos oder auch für Spritsäufer? Oder wäre nicht eine allgemeine „Mobilitätsprämie“ angesagt, die in Zeiten der Klimakrise auch dem öffentlichen Verkehr und Fahrradnutzern zugutekommt? Die Debatte darüber läuft gerade heiß. Denn am Dienstag nach Pfingsten will die Groko ihr Konjunkturprogramm zur Corona-Bewältigung konkretisieren – und die Autobauer spielen dabei eine entscheidende Rolle. Es geht immerhin um die wichtigste Branche der deutschen Industrie, die für 800.000 Arbeitsplätze und zehn Prozent der Wirtschaftsleistung steht.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Politik in Berlin den Autobauern wie nach der Weltfinanzkrise 2008 wieder eine Art Abwrackprämie spendiert, ist hoch. Die Konzerne, deren Absatz eingebrochen ist, machen gewaltig Druck, und besonders die Regierungen der „Autoländer“ Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen lassen sich gerne von ihnen einspannen. Doch es regt sich zunehmend Widerstand gegen eine reine Autokauf-Prämie, nicht nur bei den Umweltverbänden, die auch schon damals gegen die PS-Hilfen gestritten hatten.

Deutschland diskutiert Abwrackprämie - Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dagegen

So stoßen die Regierungspläne bei der Mehrheit der Bundesbürger auf Ablehnung. In einer repräsentativen Umfrage des Instituts Civey für den Bahnverband Allianz pro Schiene sprachen sich knapp 60 Prozent der Bundesbürger dafür aus, statt der Auto- eine breit angelegte Mobilitätsprämie einzuführen. Die Idee: Die Verbraucher sollen selbst entscheiden können, ob sie die Förderung für den Kauf von umweltschonenderen Autos oder Fahrrädern respektive E-Bikes oder von Bahn- und Bus-Abos nutzen.

Die reine Autoprämie fand in der Umfrage mit unter 30 Prozent gerade halb so viele Anhänger. Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege kommentierte: „Es kann nicht sein, dass die Politik mit Steuerzahlergeld Klimakrise und Megastaus weiter antreibt.“ Auch der Chef des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, hat sich der Forderung nach einer Mobilitätsprämie angeschlossen.*

Abwrackprämie als Corona-Hilfe? Proteste von Umweltverbänden

Umwelt- und Klimaverbände sowie andere NGOs versuchen, den Druck auf die Groko in der kritischen Phase zu erhöhen. Attac-Gruppen gehen an diesem Freitag zusammen mit verkehrspolitisch Aktiven in vielen Städten auf die Straße. Aktionen gibt es unter anderem in Aachen, Berlin, Bremen, Düsseldorf, Kassel und Köln. Das Motto: „Keine Kohle für Klimakiller! Verkehrswende statt Abwrackprämie!“ Attac-Experte Thomas Eberhardt-Köster dazu: Angesichts des drohenden Klimakollapses sei es absurd und dreist, weitere Steuermilliarden in die Förderung des Autoverkehrs zu stecken, während die Aktionäre der Autokonzerne weiter Dividenden erhielten.

Die Prämienbefürworter hingegen sehen die ganze Branche vor dem Absturz, wenn neben E-Autos nicht auch Benziner und Diesel gefördert werden. Der Industrieverband BDI argumentiert, ohne eine solche breite Kaufprämie drohe „ein Niedergang der deutschen Automobilindustrie“, den Deutschland sich schlicht nicht erlauben dürfe.

Unterstützer der Abwrackprämie sehen Arbeitsplätze gefährdet

Der Branchenverband VDA argumentierte in einem internen Positionspapier, um die Produktion schnell wieder auslasten zu können, müsse die Nachfrage in allen Fahrzeugsegmenten schnell wieder anziehen. „Selektive Kaufanreize führen zu (...) asymmetrischer Auslastung. Das gefährdet Arbeitsplätze.“ Zu Deutsch: Auch Käufer von 250-PS-Benziner-SUV sollen einen Zuschuss erhalten.

Zuletzt forderte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) angesichts der prekären Lage besonders der Zulieferer eine rasche Entscheidung. „Wenn nicht schnell die Nachfrage anspringt, werden viele bald die Bücher zuklappen und sagen: Sorry, das war’s.“ Diese Unternehmen hätten weniger finanzielle Reserven als die großen Konzerne. Der VDA hatte jüngst vor einem drastischen Personalabbau bei Zulieferern gewarnt. Es stünden bereits 12 500 Jobs auf der Kippe. Ziehe die Autonachfrage nicht bald an, könnten bis Ende Juli fast zwei Drittel der Firmen Stellen streichen – manche bis zu 40 Prozent.

Regierungsstreit um Abwrackprämie: Olaf Scholz und Svenja Schulze gegen Andreas Scheuer

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) fährt dem Vernehmen nach eine sehr industrienahe Linie. Nach seinen Vorstellungen würden Autos mit einem CO2-Ausstoß bis 140 Gramm pro Kilometer gefördert – ein Wert deutlich oberhalb des ab 2021 gültigen EU-Flottengrenzwerts von 95 Gramm. Die Käufer von großen, PS-starken Autos der hiesigen Autobauer kämen ebenfalls in den Genuss der Prämie.

Noch gibt es aber keine Beschlüsse. Finanzminister Olaf Scholz und Umweltministerin Svenja Schulze (beide SPD) positionierten sich gegen Scheuer. Scholz will laut „Spiegel“ eine Kappung bei 110 Gramm. Andere in der SPD lehnen eine Kaufprämie diesen Zuschnitts ganz ab. „Eine Abwrackprämie, die Technologien aus dem letzten Jahrhundert fördert, löst keine Probleme von morgen“, so die Fraktionsvizes Sören Bartol, Matthias Miersch und Achim Post. Wichtiger sei ein Absatzschub für klimafreundliche Autos, etwa durch ein Flottenaustauschprogramm für Handwerker, soziale Dienste und kommunale Fuhrparks.

Wirtschwaftsweise warnen vor Abwrackprämie für Verbrenner

Dass sich eine solche Position in einem Kabinett von „Klimakanzlerin a. D.“ Merkel durchsetzt, ist höchst unwahrscheinlich. Doch auch Scheuer pur dürfte es nicht geben. Dazu beitragen wird das Sperrfeuer gegen eine Verbrennerprämie, das nicht nur von den Umweltverbänden, sondern auch aus der traditionellen Ökonomie kommt. Wirtschaftinstitute, die 2008 die Abwrackprämie noch unterstützten, sind nun gegen eine Neuauflage. Und großes Aufsehen erregten jüngst die „Wirtschaftsweisen“ der Bundesregierung, die ebenfalls abwinkten.* Es gelte, nicht allein die Nachfrage zu stärken, „sondern zugleich den Strukturwandel sinnvoll zu unterstützen“.

Am deutlichsten ging jetzt das „Weisen“-Mitglied Monika Schnitzer zur Sache. „In jeder Krise kommt die Autoindustrie“, kritisierte die Ökonomin, und halte die Hand auf. Es sei falsch, diesen Ruf zu erhören, schon weil das die übermäßige Abhängigkeit Deutschlands von dieser Branche weiter zementiere. „Ich sehe nicht, dass Autokonzerne Geld brauchen.“ Diese bekämen per Kurzarbeitergeld genug Staatshilfe. 

Von Joachim Wille (mit Unterstützung von Thomas Magenheim)

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