Lockerungen? Experten warnen Politik - „Könnte zu noch zu nicht absehbaren Entwicklungen kommen“

Immer mehr Länder in Europa lockern trotz der Omikron-Welle ihre Beschränkungen. Auch in Deutschland wird die Debatte um Öffnungen größer. Doch die Voraussetzungen hierzulande sind anders.
München - Die Debatte um Corona-Öffnungen in der deutschen Politik wird immer lauter. Doch Einigkeit herrscht überhaupt nicht. Der ehemalige Chef des Teams „Vorsicht“, Markus Söder, fordert nun Öffnungen* nach dem nächsten Corona*-Gipfel. „Wir brauchen eine Art Stufenplan“, sagte der bayerische Ministerpräsident. Sein Kollege aus Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, schließt hingegen ein Ende der Maßnahmen vor Ostern aus. Bundesjustizminister Marco Buschmann hofft, „dass im März viele Schutzmaßnahmen zurückgenommen werden können.“ Seine Ampel-Regierung hält jedoch im Moment noch an allen Maßnahmen fest.
Corona: Wissenschaftler warnen vor zu frühen Lockerungen - Sendet falsche Botschaft
Während in der Politik Uneinigkeit herrscht, sind die meisten Wissenschaft eher anderer Meinung. Für mögliche Lockerungen von Corona-Maßnahmen in Deutschland sei es laut Virologen Christian Drosten noch zu früh*: „Es gibt eine Sache, die sich erst mal nicht verändert hat. Das ist die Impflücke in Deutschland.“ Die Impflücke, vor allem bei den über 60-Jährigen, ist für viele Experten einer der Hauptgründe, die gegen schnelle Lockerungen sprechen. Während in Deutschland (Stand 2. Februar) 74,1 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sind, sind es im Maßnahmen-lockernden Dänemark schon 81,1 Prozent.
Zudem steigen die Corona-Zahlen in Deutschland im Moment auch noch immer weiter. Max Geraedts, der das Institut für Versorgungsforschung und Klinische Epidemiologie an der Philipps-Universität Marburg leitet, ist laut der Welt der Meinung, dass die Diskussion „viel zu früh“ die Botschaft sende, dass die Pandemie schon vorbei sei. „Stattdessen werden wir in den nächsten Wochen an vielen Stellen erleben, dass Personal in allen Branchen entweder isoliert oder in Quarantäne ist, sodass es zu Einschränkungen des Alltags kommt.“ Geschehen ist das schon in Braunschweig, wo die Infektionslage den Braunschweiger Nahverkehr (BSVG) wegen zu vieler Ausfälle zwingt, den Fahrplan anzupassen.
Infektiologin hält sogar „weitere Einschränkungen“ für sinnvoll, sollte sich Lage noch verschlechtern
Die Infektiologin Jana Schroeder (Stiftung Mathias-Spital, Rheine) verweist in der Diskussion auf die steigenden Infektionszahlen: „Wir stehen vor einem weiteren Anwachsen der Infektionswelle. Je nach weiterer Entwicklung könnten möglicherweise sogar erst einmal weitere Einschränkungen sinnvoll sein“, teilte sie auf Anfrage der Welt mit. „Wir müssen eine gewisse Demut walten lassen bei all den Dingen, die wir bisher nicht über Covid-19 wissen, insbesondere durch Omikron.“ Gemeint seien damit Long Covid, die Folgen möglicher Reinfektionen und die begrenzten Therapieoptionen, um die Folgen zu kurieren.
Virologe Friedemann Weber von der Universität Gießen hält es aber für richtig, zumindest über mögliche Lockerungen nachzudenken, die zum gegebenen Zeitpunkt dann eingeführt werden könnten. „Eine Exit-Strategie zu planen, um sie später bereitliegen zu haben, ist gut und vernünftig. Aber die Politik sollte nichts überstürzen. Wenn man solche Pläne vorbereitet, muss man den Menschen auch immer klar dazu sagen, dass es noch zu nicht absehbaren Entwicklungen kommen könnte, die die Umsetzung verzögern“, erklärte er gegenüber der Welt.
Virologe Hendrik Streeck schätzt Corona-Lage optimistischer ein
Optimistischer schätzt Virologe Hendrik Streeck die Lage ein. Bei „RTL Direkt“ sagte er: „Ich glaube, wir sind gerade auf einem sehr guten Kurs.“ Er erklärte, dass man bereits jetzt am R-Wert sehen könne, dass das Wachstum der Infektionszahlen zurückgehe. „In zwei bis drei Wochen werden wir diese Umkehr haben und dann sollte man auch über Öffnungen nachdenken.“
Max Geraedts, von der Philipps-Universität Marburg, nannte konkrete Parameter, wann über Öffnungen nachzudenken sei. Diese seien seines Erachtens erst dann möglich, wenn die Hospitalisierung und die Zahl der Arztbesuche wegen einer Corona-Infektion tatsächlich konstant zurückgingen. Das ist aber bislang noch nicht der Fall. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA