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Eine Villa im Tessin

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Die Modellbauhäuschen werden unterschätzt, sie sind nicht spießig oder bieder. Mit solchen Vorurteilen räumt die witzige Schau auf und spürt nebenbei die Vorbilder der Bauten auf.

Eine moderne Villa für knapp fünf D-Mark – diesen Traum konnte sich 1961 jeder leisten. Allerdings nur im Maßstab 1:87, der gängig ist bei Spielzeugeisenbahnen und Modellbauten. Die Villa war ein Verkaufsschlager für die noch heute führende Modellbaufirma Faller, fast 400 000 Exemplare gingen über die Ladentheken. Also keine heile und spießige Welt neben den Bahnschienen, wie jetzt das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt bis 9. September zeigt. Verblüfft registriert man auf vielen Fotos ein Gleichgewicht von Neu- und Altbauten.

In Einzelteile zerlegt

Folglich vermittelt die Eisenbahn im Hobbykeller doch ein realistisches und kein idealisiertes Miniaturabbild unserer Welt, meinen Karin Berkemann und Daniel Bartetzko. Die beiden externen Kuratoren betreiben seit 2014 das Online-Magazin „moderneREGIONAL“, um der oft geschmähten modernen Baukunst zu mehr Ansehen zu verhelfen. Bartetzko, Jahrgang 1969, hatte mit fünf Jahren seine erste Eisenbahn, interessierte sich aber eher für die Häuser, von denen er bald 30 Stück besaß.

Freilich hatte damals die Firma Faller rund 250 Bauten im Sortiment, vom Bahnhof bis zur Post, von der Kirche bis zum Hochhaus. Nicht zu vergessen die Villa, auch sie fein säuberlich in Einzelteile zerlegt, nebst Bastelanleitung und einer Tube Kleber in einem kleinen Pappkarton liegend. Es bedurfte also etwas Geduld und einigermaßen ruhiger Hände, um das Häuschen zusammenzukleben. Bis in die 70er Jahre war das noch sehr populär, seither schwindet das Interesse. Es ist eine Welt aus dem 19. Jahrhundert – die Jungs spielten mit der Eisenbahn, die Mädchen mit Puppen.

So dürfte die Schau mehr die Männer interessieren, die sich an ihre Kindheit erinnern werden und sicherlich auch den zuerst irritierenden Ausstellungstitel „Märklinmoderne“ verstehen. Denn Märklin, Marktführer der Modelleisenbahn-Branche in Europa, ist längst zum Synonym für die Modellbahn geworden, auch wenn die Firma selbst keine Häuser produziert. Doch diese Bauten haben fast immer reale Vorbilder, wie die witzige Schau an acht Beispielen zeigt. Die meisten stehen in Gütenbach im Schwarzwald, wo in besten Zeiten 8000 Menschen für Faller in Lohn und Brot standen. Heute sind es nur noch 200 Mitarbeiter.

Urlaubsfahrt nach Italien

Tatsächlich erinnern die Bahnlandschaften oft an die Schweiz oder Süddeutschland, aus praktischen Gründen. Dank der Berge kann man Schienen auch mal aufbocken oder einen Kreis legen, um auf kleinstem Raum eine möglichst lange Zugstrecke zu haben. Die Fünf-Mark-Villa etwa wurde 1958 in einem kleinen Tessiner Ort erbaut, den Firmenchef Hermann Faller auf der Urlaubsfahrt nach Italien mit der Familie passierte. Solch ein Haus, so seine Idee wollte er bewohnen. Seit 1961 steht eine freie Kopie in Gütenbach, parallel dazu wurde ein Bausatz für die Modelleisenbahn entwickelt.

Freilich ist der Modellbau noch verspielter mit seinen quer gerichteten und damit sinnlosen Schmetterlingsdächern oder den verdrehten Obergeschossen – er ist fast ein Ufo. Der Modellbau war folglich viel utopischer als die Realität, ohne lästige und einengende Bauvorschriften. Auch die ebenfalls ab 1961 verkaufte Tankstelle mit drei Zapfsäulen und darüber thronendem runden Restaurant hat ein Vorbild im badischen Freiburg, allerdings mit langem Dach und zwölfeckigem Turm. Natürlich gibt es bei Faller auch Fachwerkbauten, denn der sich wandelnde Publikumsgeschmack muss bedient werden.

Aber die Gebrüder Faller waren Anhänger der modernen Architektur, die sie in ihren Häuschen zitierten. In ihren Katalogen „war die ganze Geschichte der Architektur ausgebreitet“, erinnert sich der renommierte Architekturkritiker Falk Jaeger. Allerdings stimmt einiges nicht im Maßstab der Häuser, oft ließe sich darin nur ein Zimmer pro Etage unterbringen. Aber das interessiert kaum jemanden, denn der Modellbau ist eine Welt für sich, die Ruhe und Rückzug aus dem Alltag bietet.

Auch im DAM lassen sich zwei Eisenbahnen in Gang setzen, eine vor dem „Herzstück der Schau“, der riesigen Modellbauwelt von Gerald Fuchs, der aus alten Plastikhäusern neue und größere Gebäude erschafft. Einen prominenten Verbündeten hat Fuchs im Politiker Horst Seehofer, der eine 20 Quadratmeter große Märklin-Bahn in seinem Keller stehen hat. Doch Seehofer geht es mehr um die Eisenbahn, seine Modellbauten sind lediglich symbolischer Art, wie das Kranken- und das Bauernhaus, die für seine Zeit als Gesundheits- und Landwirtschaftsminister stehen.

Deutsches Architekturmuseum

Schaumainkai 43, Frankfurt. Bis 9. September, geöffnet Di/Do–So 11 bis 18 Uhr, Mi 11 bis 20 Uhr. Eintritt 9 Euro. Katalog 28 Euro. Telefon (069) 21 23 88 44. Internet

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