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Lübcke-Prozess in Frankfurt: Pläne für perfektes Verbrechen? Stephan Ernst widerspricht sich bei seinen Aussagen

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Von: Kathrin Meyer

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In Frankfurt wird der Prozess um den Mord an Walter Lübcke geführt. Der Angeklagte Stephan Ernst verstrickt sich in weiteren abweichenden Antworten.

Kassel/Frankfurt – Er gehe weiterhin von einem politischen Attentat aus, das Ernst alleine verübt habe, sagt Oberstaatsanwalt Dieter Killmer am Ende des Videos zu Stephan Ernst. Ernst hatte zuvor seine Tatversion bestärkt, in der sein Komplize Markus H. den Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke, erschossen haben soll – aus Versehen.

Diese dritte Vernehmung, deren Aufzeichnung am vierten und fünften Verhandlungstag in dem Mordfall im Oberlandesgericht gezeigt wird, findet auf Ernsts Wunsch hin statt, der angibt, zuletzt das Gefühl gehabt zu haben, dass man ihm nicht glaube. Ausschnitte und Eindrücke:

Prozess um Lübcke-Mord in Frankfurt: Vernehmung im Video gezeigt

Kahl und steril wirkt der weiße Raum im Polizeipräsidium in Kassel. Auf Stellwänden sind Pläne vom Tatort im Wolfhager Ortsteil Istha (Landkreis Kassel) und der Umgebung zu sehen. Ernst trägt im Video ein rotes T-Shirt, darüber eine schwarze Trainingsjacke mit einem gelben Streifen auf der Brust. Mit am Tisch sitzen Ernsts Verteidiger Frank Hannig und dessen Frau, die ihn unterstützt.

Die Befragung leitet Dieter Killmer, Oberstaatsanwalt am Bundesgerichtshof. Außerdem sind zwei Beamte des Landeskriminalamtes dabei. Zum Mittagessen bekommt Stephan Ernst eine Pizza, der leere Karton bleibt während der Vernehmung in der Mitte des Tisches liegen. Ein Stück Normalität, das die Szenerie trotzdem irgendwie unwirklich macht.

Prozess um Lübcke-Mord in Frankfurt: Video der Vernehmung

Sechs Stunden dauert der Videomitschnitt – bisher die längste Aufnahme, die während des Prozesses in Frankfurt gezeigt worden ist. Untermalt werden die Szenen vom dauerhaften Geklapper einer, man möchte fast sagen, Schreibmaschine. Der Protokollführer sitzt in unmittelbarer Nähe des Kameramikrofons. Die Tippgeräusche machen es nahezu unmöglich, den eher leise und nuschelnd sprechenden Stephan Ernst zu verstehen. Verteidiger Frank Hannig fragt am Donnerstag (02.07.2020) im Prozess um den Mord an Walter Lübcke*, ob es nicht möglich sei, die Tonspur zu bearbeiten.

Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel lehnt ab: „Ich stimme Ihnen zu, der Ton ist Mist. Aber diese Art von Aufnahmen sind auch für uns neu, wir stehen da noch am Anfang, und das lässt sich jetzt nun mal nicht ändern.“ Im Gegensatz zu Pressevertretern und Besuchern können zumindest das Gericht, die Verteidiger und die Angeklagten die Mitschrift des Videos im Ausdruck mitlesen.

Prozess um Lübcke-Mord in Frankfurt: Der Tathergang aus der Sicht Stephan Ernsts

Stephan Ernst soll während der Vernehmung im Februar auf einem Lageplan aufmalen, aus welcher Richtung er sich dem Tatort genähert habe: der Terrasse des Wohnhauses von Regierungspräsident Lübcke in Wolfhagen-Istha (Landkreis Kassel). Ganz sicher ist sich der Hauptangeklagte allerdings nicht mehr. Die Zeichnungen weichen von den vorherigen Beschreibungen ab. Die Polizisten zeichnen ebenfalls Punkte auf den Ausdruck. Oberstaatsanwalt Killmer reicht Stifte in verschiedenen Farben. Zwischenzeitlich hat die Szene den Charakter eines Bastelnachmittages.

Stephan Ernst verfolgt die Videosequenzen im Gerichtssaal am Donnerstag nahezu regungslos. Der schwarze Anzug, den er auch an den vergangenen Prozesstagen trug, wirkt zu groß, wie eine Hülle. Die Gespräche mit seinen Verteidigern im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts scheinen eher distanziert, der Blick leer. Nur wenige Male schaut Ernst während des Prozesses im Saal umher oder zur Zuschauerempore. Am Freitag (03.07.2020) hingegen wirkt der Angeklagte deutlich angespannter. Gerade zu Beginn der Verhandlung scheint er innerlich aufgewühlt zu sein.

Prozess um Lübcke-Mord in Frankfurt: Reaktion des Mitbeschuldigten Markus H.

Markus H. hingegen wirkt, als wenn ihm das alles nichts anhaben könnte. Kumpelhaft unterhält er sich mit seinen Anwälten. Verteidigerin Nicole Schneiders zupft ihm etwas vom Hemd. Er verfolgt die Mitschrift des Videos, seine Mundwinkel verziehen sich manchmal zu einem abschätzigen Lächeln. Sein Verhältnis zu Markus H. beschreibt Stephan Ernst in seiner Aussage als „kollegial“. „Freundschaftlich wäre zu viel gesagt“, bestätigt er auf Nachfrage von Killmer.

Ihre Gesprächsthemen hätten sich vorwiegend um politische Themen gedreht und um Waffen, nicht um private Dinge. Wer war der Wortführer? „Markus H.“ Ernst sagt aber auch, dass er sich durchaus hätte vorstellen können, dass H. ein V-Mann gewesen sei. Er habe immer wieder andere angestachelt, das sei manchmal suspekt gewesen.

Prozess um Lübcke-Mord in Frankfurt: Die Tatwaffe und die Waffenkäufe

Zunächst hatte Stephan Ernst Elmar J. aus Borgentreich (Kreis Höxter) als Verkäufer der Tatwaffe genannt. Dabei bleibt er. 1100 Euro soll der Revolver gekostet haben, mit dem Lübcke erschossen wurde. Ob das der einzige Kauf gewesen sei? Dazu möchte Stephan Ernst sich in der Vernehmung nicht äußern. Das Thema will er vorerst außen vor lassen.

Allein vier Waffen benennt Ernst, die ihm der Mitangeklagte Markus H. verkauft haben soll. „Das mit dem schwarzen Schaft? Das gekürzte Gewehr?“ Es scheint, als könnte der Überblick über all die Waffen verloren gegangen sein. Es sei völlig normal gewesen, dass sie oft Waffen dabei gehabt hätten, darüber habe man sich keine Gedanken gemacht, sagt Ernst. Die Waffen hätten im Kofferraum gelegen. Woher allerdings die übrigen Waffen stammen, bleibt offen.

Prozess um Lübcke-Mord in Frankfurt: Die Schießübungen in und um Kassel

Bestimmt sieben bis achtmal im Jahr seien er und Markus H. zusammen unterwegs gewesen, um mit illegalen Waffen im Wald Schießübungen zu machen, sagt Stephan Ernst in den Aufzeichnungen. Unter anderem in der Nähe des Radwegs R1 Richtung Hann. Münden. Geparkt hätten sie an der Fulda in der Nähe der Gaststätte „Grauer Kater“. Von dort seien sie 30 bis 45 Minuten zu Fuß gelaufen.

Auch in der Nähe des Rasthofs Kassel sei er in den Wald gefahren, um dort zu schießen, manchmal auch alleine. Markus H. soll außerdem mehrere Waffendepots im Reinhardswald gehabt haben. Wo genau, das weiß Ernst angeblich nicht. Auf Nachfrage erwähnt er allerdings die Sababurg. Da sei man mal irgendwann lang gefahren.

Prozess um Lübcke-Mord in Frankfurt: Die Planung des „perfekten Verbrechens“

Mehrfach waren Stephan Ernst und Markus H. in Istha, hatten den Ort ausgekundschaftet. Bei diesen vorherigen Besuchen habe man „Herrn Lübcke“ zufällig getroffen. Markus H. soll nach Aussage von Ernst schon in der Vergangenheit Besucher der Weizenkirmes gewesen sein. Er habe gesagt, dass das ein guter Zeitpunkt sei. Warum gerade der Samstag? „H. hat gesagt, ihm würde der 1. Juni gut passen.“

Am Ende des Videos konfrontiert Oberstaatsanwalt Killmer Stephan Ernst damit, dass man Beweise habe, dass er schon am Tag vor dem Mord in Istha gewesen sei. Mit einer Wärmebildkamera soll der Hauptverdächtige den Bereich rund um das Haus von Lübcke ausgekundschaftet haben. „Sie haben über Jahre Pläne für ein perfektes Verbrechen gemacht“, sagt Killmer. Diese Planungen seien für ihn überhaupt nicht mit der „Abreibung“ in Einklang zu bringen, die Ernst als Motiv in der zweiten Tatversion nennt.

Auch eine Verbindung von Markus H. zum Tatgeschehen sieht Killmer bislang nicht. Er spricht von einem Knoten in seinem Kopf, der bislang nicht aufgelöst werden konnte. Stephan Ernst bestreitet nicht, diese Fantasien in der Vergangenheit gehabt zu haben. In die Tat umgesetzt habe er sie nicht.

Prozess um Lübcke-Mord in Frankfurt: Der Schuss, die Ehefrau, die Kontakte

Dieter Killmer wechselt rasant zwischen den Themen. Er verstehe nicht, wieso Ernst und H. angeblich die Nummernschilder am Auto getauscht haben wollen, aber man sich keine Gedanken über eine Maskierung gemacht habe. Ob er nicht auf die Idee gekommen sei, Handschuhe zu tragen, wenn er Lübcke „schlagen“ wollte, wie es Ernst immer wieder betont. „Darüber haben wir nicht nachgedacht. Wir sind davon ausgegangen, nicht erwischt zu werden“, sagt Stephan Ernst.

Ob seine Ehefrau und seine Familie von seinen politischen Gesinnungen nichts mitbekommen hätten, will Oberstaatsanwalt Killmer wissen. Er habe versucht, seine Kinder dort rauszuhalten. Selbst wenn sie es mitbekommen haben, in die Richtung beeinflusst habe er sie nie. Mit seiner Frau allerdings habe er schwierige Gespräche geführt, sagt Ernst zum Ende der Videosequenzen. Sie hätte versucht, ihn davon abzubringen und seine Ansichten „nicht normal“ gefunden.

Oberstaatsanwalt Killmer holt zum Rundumschlag aus: Ob Ernst Bezüge zum NSU gehabt habe? Ernst verneint. Killmer fragt, warum Stephan Ernst sich von der Kameradschaftsszene abgewandt* habe. Ernst sagt, er habe die Ansichten als zu extrem empfunden. Killmer fragt nach Neonazi-Größen, die in der Region bekannt sind – unter anderem Mike S., Bernd T., Stanley R., Christian W. Alle will Ernst mal gesehen haben. Ein engeres Verhältnis habe es aber nicht gegeben. „Ich habe auch keine Kontakte gesucht. Mein Kontakt war Markus H.(Kathrin Meyer) *hna.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

Überraschende Wende im Lübcke-Prozess: Der Hauptverdächtige Stephan Ernst hat den Mord am ehemaligen Regierungspräsidenten von Kassel gestanden.

In Frankfurt wird der Prozess um den Mord an Walter Lübcke geführt. Bisher drehte sich alles um den Hauptangeklagten Stephan Ernst. Auch ein Blick auf den Mitangeklagten Markus H. ist interessant. Nachdem ein Verteidiger von Ernst mehrere Anträge stellt, beantragt der Hauptangeklagte beim Prozess in Frankfurt die Entpflichtung des Anwalts.

Ein Videos mit dem Geständnis des mutmaßlichen Lübcke-Mörders Stephan Ernst ist für jeden auf Youtube* zugänglich. In der Geschichte des Prozesses gelangten bereits einige Interna an die Öffentlichkeit.

*hna.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

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