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Hort der Hoffnungslosen: Ein Blick in die Abschiebehaftanstalt am Münchner Flughafen

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Die Abschiebehaftanstalt am Münchner Flughafen. Ein Ort, an den Menschen gebracht werden, die nicht mehr in Deutschland bleiben sollen. Belinda Simões hilft den Betroffenen, denen kein Rechtsbeistand zur Seite steht.

Erding – Immer donnerstags fährt Belinda Simões zum Münchner Flughafen, um den Insassen der Abschiebungshaftanstalt beizustehen. Jede Woche blickt die Ehrenamtliche in neue Gesichter ohne Hoffnung. „Das ist ein richtiger Knast“, sagt Simões. Abteilungsleiter Volker Schaller, Hausherr der Einrichtung, will das so nicht stehen lassen.

Abschiebung vom Münchner Flughafen: Söder rief „Landesamt für Asyl und Rückführungen ins Leben“

Ein Blick hinter den Zaun. Geschäftsreisende und Urlauber tummeln sich in den Terminals. Belinda Simões will in die andere Richtung. Wie jeden Donnerstag macht sich die Ruheständlerin am Morgen zu Fuß von der S-Bahn-Station am Besucherpark auf den Weg: vorbei am Flughafen-Hotel, der Tankstelle, der BMW-Werkstatt – bis zu einem mausgrauen Bau. Auch dort warten Menschen auf ihren Flug: hinter Stacheldraht, teils wochenlang, in der Abschiebungshaftanstalt des Freistaates Bayern.

Abschiebungshaftanstalt am Münchner Flughafen statt.
Die Abschiebehaftanstalt am Münchner Flughafen ist gesichert wie ein Knast. © hofkay/Imago

Ein Hinweisschild steht einsam an der Zufahrtsstraße. Vier Buchstaben, „LfAR“, mehr ist darauf nicht zu lesen. Im Sommer 2018, kein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident, rief Markus Söder das „Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR)“ ins Leben – für Humanität in der Flüchtlingspolitik, hieß es, und für Ordnung. Noch im selben Jahr richtete die neue Behörde die ersten Abschiebungshaftplätze am Münchner Flughafen ein.

Flutlicht und Stacheldraht: Mehrere Hundert Menschen inhaftiert

22 Betten, zunächst in blauen Wohncontainern in einem ehemaligen Wartungshangar für Passagierflugzeuge. Allein für die Miete des Areals zahlte der Freistaat mehr als 400 000 Euro im Monat. Von Herbst 2018 bis Ende 2020 fielen rund 23 Millionen Euro an Sach- und Gebäudekosten an. Inhaftiert waren in diesem Zeitraum etwa 420 Personen, meist für einige Tage oder wenige Wochen.

Umgelegt ergaben sich damit Summen im unteren vierstelligen Bereich pro Nacht und Nase. Anfang 2022 eröffnete Innenminister Joachim Herrmann den Neubau hinter den Lagerhallen als Dauerlösung aus Stahl und Sichtbeton. Simões klingelt. Die elektrische Tür surrt und gibt den Blick frei in den Innenhof. Rundherum erheben sich mit Stacheldraht gekrönte Gitterzäune und Masten mit Flutlichtern und Kameras. „Es ist ein richtiger Knast“, sagt sie. Auf der anderen Seite des asphaltierten Hofes surrt wieder eine Tür. Alle Besucher müssen sich in eine Liste eintragen.

„Damit auch dokumentiert ist, wer hier rein und rausgeht“, sagt ein Justizvollzugsbeamter im Poloshirt. Seit zwei Jahren fährt Simões zum Flughafen. Früher, sie stammt aus Brasilien, behandelte die Hämatologin Leukämie-Patienten in einem staatlichen Krankenhaus in São Paulo. „Gerade, wenn die medizinischen Mittel erschöpft waren, war es wichtig, einfach da zu sein“, sagt Simões. Jetzt, im Ruhestand, berät sie die inhaftierten Zugewanderten, die abgeschoben werden sollen. „Ich will nicht, dass sie sich unsichtbar fühlen in der ausweglosen Lage.“ Jede Woche blickt die Ehrenamtliche im Besprechungszimmer im Erdgeschoss in neue Gesichter ohne Hoffnung. Wer weg ist, wenn sie eine Woche später wiederkommt, könnte zwar entlassen worden sein. Das aber kommt selten vor. Seltener als die Abschiebung, teils direkt aus der Haft-Einrichtung mit dem Streifenwagen zum Rollfeld.

Weit von Knast entfernt: Grüne wollten Praxis beenden

„Das Wort ‚Knast‘ ruft Bilder hervor wie im Wilden Westen – vorne der Sheriff, dahinter die Gefängniszelle mit den Gitterstäben“, sagt Schaller. „Wir hier sind davon aber sehr weit entfernt.“ Mit der Strafhaft gemeinsam habe die Unterbringung „nur, dass die Menschen sich nicht frei bewegen können, wie sie wollen.“ Die Begrifflichkeiten sind dem Beamten, der beim LfAR seit zwei Jahren „Abteilungsleiter für Sicherheitsfragen“ ist, wichtig.

Es geht um mehr als Wortklauberei: Denn dass sich die Abschiebungshaft deutlich von der Haft für verurteilte Straftäter unterscheiden muss, unterstrich der Europäische Gerichtshof schon 2014. Im November 2022 brachten die bayerischen Grünen einen Dringlichkeitsantrag zur Aussetzung der Abschiebungshaft in Eichstätt in den Landtag, weil die Bedingungen dort denen in herkömmlichen Gefängnissen zu sehr ähneln würden. Der Antrag scheiterte im Verfassungsausschuss an einer Mehrheit von CSU, Freien Wählern und AfD.

Die Haft sei, so MdL Gülseren Demirel zu dem Vorschlag, „so human wie möglich und so wenig einschränkend wie nötig“ zu vollziehen – und bedürfe eindeutiger gesetzlicher Vorgaben. Wenn Schaller über seine Einrichtung spricht, redet er viel darüber, was die Insassen alles dürfen: Ihr Smartphone können sie behalten, nur die Kamera wird abgeklebt. Es gibt WLAN, auch Besuch ist gestattet. „Das nimmt viel Konfliktpotenzial raus“, sagt Schaller.

Ihre Tür können die Bewohner – die Einrichtung beherbergt ausschließlich Männer – von innen verschließen, zumindest so, dass andere Inhaftierte nicht hineinkommen. Über eine Sprechanlage können sie das Personal an der Pforte kontaktieren. Mal klagt einer über Herzrasen oder hohen Blutdruck, dann ist montags bis freitags ein Arzt vor Ort. Bei gesundheitlichen Beschwerden am Wochenende geht es im Polizeiauto in die Praxis. „Ohne Handschellen“, sagt Schaller.

„Die Leute sind doch keine Verbrecher“: Gewaltbereite Männer werden woanders untergebracht

Wer möchte, kann in Begleitung eines Mitarbeiters des Vollzugsdienstes die Treppe hinunter nach draußen in den mit Stacheldraht gesicherten Hof. Manchmal, wenn ihre Sprechstunde beginnt, fragen die Vollzugsbeamten Belinda Simões, ob sie mit im Raum bleiben sollen. Zur Sicherheit. „Warum das?“, frage sie dann, „die Leute sind doch keine Verbrecher.“ Immer wieder erinnert sie daran: Die Inhaftierten sitzen keine Strafe ab. Sie sind „vollziehbar ausreisepflichtig“, wie es in der Rechtssprache heißt. Und ein Gericht hat auf Antrag der Ausländerbehörde entschieden, dass die Haft notwendig sei, um ihre Ausreise durchzusetzen.

Es geht also nicht um Sühne, Resozialisierung oder den Schutz der Bevölkerung, sondern darum, zu verhindern, dass sich jemand seiner Abschiebung entzieht. Niemand müsse in der Anstalt Angst haben vor seinem Gegenüber, sagt auch Abteilungsleiter Schaller. Die Vollzugsbeamten tragen keine Waffen, auch keinen Schlagstock oder Reizgas. „Es ist nicht so, dass unsere Mitarbeiter hier durchgehen, und einer muss immer die Flanke sichern.“ Männer mit erhöhter Gewaltbereitschaft würden anderswo untergebracht. Im Freistaat gibt es neben dem Münchner Standort und dem in Eichstätt Abschiebungshaftplätze in Hof.

Schaller öffnet die Türe zu einer unbewohnten Zelle. Wer nach dem Richterspruch in der Anstalt am Flughafen der Landeshauptstadt ankommt, bezieht ein Zimmer mit vergittertem Fenster. Darin ein Tisch, ein Stuhl, ein kleiner Fernsehschirm, ein Schränkchen. Das blaue Spannbettlaken auf der Matratze ist wasserdicht. In einer Nische gleich neben der Tür steht die Toilette, fest verschraubt und aus Edelstahl genau wie das Waschbecken. „Vandalismussicher“ nennt sich das. Die Inhaftierten erhalten Teller und Besteck aus rotem Kunststoff. „Nicht formschön“, sagt Schaller, „es geht aber darum, die Selbstverletzungsgefahr zu minimieren.“ Suizidversuche habe es seit der Inbetriebnahme nicht gegeben.

Das Sicherheitspersonal kann durch den Türspion in das Zimmer sehen, die Gänge sind kameraüberwacht. Der Abteilungsleiter, der als Einziger in der Einrichtung Hemd und Krawatte trägt, kennt die Abläufe genau: Wäschetausch ist zweimal pro Woche, Nachtruhe ab 22 Uhr. Es gibt drei Mahlzeiten am Tag, während des muslimischen Fastenmonats Ramadan auf Wunsch auch nach Anbruch der Dunkelheit. „Am Morgen Brötchen, Weißbrot, Nutella“, sagt Schaller, „ein Ei dazu, wer will.“ Mittags grundsätzlich kein Schweinefleisch, aber viel Rind, Geflügel, Gemüse. Etwa 16 Tage dauert die Haft im Durchschnitt. Nach drei oder vier Wochen beginnt der Speiseplan von vorn, dann wächst der Frust bei denen, die immer noch warten. Heute gibt es Frikadellen. Snacks und Getränke sind auch zwischendurch verfügbar.

„Schokoriegel gehen gut weg“, sagt Schaller. Je zehn Zellen gibt es auf den beiden Etagen, dazu Gemeinschaftsduschen. Fünf Türen liegen zwischen einem Zimmer und der Außenwelt. Die Männer, die mit Simões sprechen wollen, tragen sich in eine Liste ein. Sie und der Münchner Flüchtlingsrat holen den passenden Dolmetscher ans Telefon. Viele Inhaftierte hätten Angst um ihre Angehörigen, wollten Fremden keine Auskunft mehr geben.

154 Abschiebungen im ersten Jahr: Statistiken zeigen Vorgehen am Münchner Flughafen auf

„Ich weiß doch gar nicht, ob du von den Bösen bist oder von den Guten“, habe einer einmal zu ihr gesagt, erzählt Simões. Dann prüfen die Ehrenamtlichen die Dokumente, stellen Kontakt zu Rechtsanwälten her. Und sie legen auf Wunsch Beschwerde gegen die Haft ein. Meistens vergeblich. „Ich erkläre den Leuten oft erst einmal, wie das verrückte System funktioniert“, sagt Simões. Sie führt eine Strichliste: Mehr als 200 Fälle hat sie schon begleitet, ein großer Teil davon betraf das Dublin-Verfahren, also Überstellungen zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.

Die Betroffenen sollen in das Land gebracht werden, das nach EU-Recht für die Bearbeitung ihres Asylantrages zuständig ist: „Hast du schon Fingerabdrücke in Österreich, sollst du dahin zurück“, sagt Simões. Die Statistiken des Landesamtes stützen ihre Angaben. Im ersten Jahr nach Inbetriebnahme der Einrichtung Anfang 2022 wurden 154 Zugewanderte vom Münchner Standort außer Landes gebracht: 70 wurden in das Herkunftsland abgeschoben, 84 nach der Dublin-III-Verordnung in einen europäischen Drittstaat überführt. „Wieso die Menschen wochenlang in Haft müssen, um sie dann in Nachbarländer zu bringen, kann ich nicht verstehen“, sagt Simões.

„Gewissermaßen der Schlusspunkt“: Kein Rechtsbeistand für Betroffene:

Noch größer sei das Unverständnis bei den Inhaftierten: „Viele sind schrecklich wütend.“ Andere brächen im Angesicht der Abschiebung weinend zusammen, weil sie Angehörige zurücklassen müssen und ihr gewohntes soziales Umfeld. „Man spürt, wie das System sie zerbricht“, sagt Simões. „Ich gebe den Leuten die Telefonnummern von Hilfsorganisationen in aller Welt für ihren weiteren. Weil sie alleine nicht rauskommen werden aus dem Schlamassel.“ Schaller ist ein Beamter, der Gesetzestexte auswendig zitiert. Seine Abteilung folge den Regeln, sagt er, und verweist auf die Paragrafen 58 und 62 des Aufenthaltsgesetzes.

Die staatliche Aufgabe, Ausreisepflichtige unter bestimmten Bedingungen abzuschieben, wenn sie nicht freiwillig gehen, die Abschiebungshaft als Ultima Ratio – „das steht da ganz deutlich drin.“ Direkten Kontakt zu den Inhaftierten hat er selten: „aufgabenbedingt eher geringe Berührungspunkte“. Beschäftigen ihn die Schicksale der Männer noch nach Feierabend? „Sehen Sie, man entwickelt eine gewisse Professionalität über die verschiedenen Aufgaben eines Berufslebens hinweg.“ Und: „Sie müssen mit dem umgehen, womit sie konfrontiert werden.“ Immer wieder kritisieren NGOs wie der Flüchtlingsrat, dass den Betroffenen staatlicherseits kein Rechtsbeistand beigeordnet wird für die richterliche Entscheidung über die Abschiebungshaft.

Was fehle, sei eine Art Pflichtverteidiger wie bei Strafverfahren. Schaller wählt seine Worte mit Bedacht, er hat Notizen dabei. Solche politischen Debatten lägen außerhalb seiner Zuständigkeit. Dafür gebe es die Parteiarbeit in der Bundesrepublik und die Möglichkeit, sich in entsprechenden Initiativen zu engagieren. Das seien Fragen für den Minister, sagt die Pressesprecherin. „Wenn die Menschen hier zu uns in die Einrichtung kommen“, erklärt Schaller, „haben gerichtliche Überprüfungen schon stattgefunden. So ist das hier gewissermaßen der Schlusspunkt eines präzise festgelegten Prozesses.“

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Kicker und Kraftraum gegen Langeweile: Training nur unter Aufsicht

Früher war Schaller bei der Polizei. Er spricht über das Neutralitätsgebot für Staatsdiener. Und er unterstreicht die Notwendigkeit, richterliche Anordnungen konsequent umzusetzen. „Wenn der Rechtsstaat handlungsfähig bleiben will“, sagt Schaller, „dann ist die Abschiebungshaft alternativlos.“ Neben einem Gemeinschaftszimmer mit Tischkicker zum Zeitvertreib gibt es da noch den Fitnessraum. Hier stemmen Inhaftierte unter Aufsicht Gewichte an der Hantelbank.

Das Laufband am Fenster, sagt Schaller, sei weniger beliebt. Vielleicht liegt es an der Aussicht: Durch Gitterstäbe fällt der dem Flughafen. Immer wieder schweben Flugzeuge an der Haftanstalt vorbei, die zur Landung ansetzen. Um die Touristen aufzunehmen, Geschäftsleute mit ihren Rollkoffern.

Und ab und an Menschen, die die Bundesrepublik Deutschland dauerhaft verlassen müssen. Zwei Polizisten stehen unten im Hof des Betonkolosses im Sonnenlicht. Ein einzelner Mann wartet vor der geöffneten Schiebetür des Einsatzfahrzeugs, die gepackte Tasche in der Hand. Seine Haft findet ihr Ende. Die Abschiebung beginnt. VON PAUL KRAUSS

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