Schlicht, praktisch und ästhetisch: Keramiken von Lore Kramer im MAK

Die Frankfurter Schau „Lore Kramer: Ich konnte ohne Keramik nicht leben“ arbeitet im Museum Angewandte Kunst (MAK) an der Entdeckung der Künstlerin.
Die von MAK-Direktor Matthias Wagner K kuratierte Ausstellung von gut 300 Keramikarbeiten im Museums-Erdgeschoss (bis 26. August, Assistenz: Annika Sellmann) mache sie glücklich, sagt die 91-jährige Lore Kramer. Sie überrasche sie aber auch. Denn außer der Familie und Freunden habe vor der Schau im MAK niemand ihre Produktion als Keramikgestalterin im Blick gehabt.
Was angesichts der Qualität der Arbeiten erstaunt. Und dennoch erklärbar ist. Lore Kramer produzierte ihre teils leuchtend-transparent glasierten, meist stapelbaren oder kombinierbaren Objekte zumeist als Teil ihrer Lehrtätigkeit. Im MAK ist es nun, als purzelten sie direkt aus der Zeitkapsel: der materielle Ausdruck praktischer Zweckhaftigkeit und einer eher schmucklosen Direktheit der Form, dabei so undogmatisch, dass man bei all den Schalen, Vasen, Ballonflaschen, Bügelkannen, Mustöpfen, Tellern und Dosen aus Steingut, Irdenware oder (seltener) Porzellan kaum zwischen Stapelware und leuchtenden Einzelstücken unterscheiden mag.
Moderne Bauhaus-Ideen
Als Dozentin der Werkkunstschule Offenbach stand Kramer bis 1974 fast täglich mit Studenten am Brennofen, lehrte und erneuerte das Handwerk. Dann wurde die Werkkunstschule zur Hochschule für Gestaltung (HfG) und Kramer zur Professorin für Produktgestaltung und Designgeschichte. Sie passte das Curriculum akademisch an: weniger Handwerk, mehr Formgebung, Ästhetik, Geschichte. Ihrem Ruhestand, 1988, folgten noch zehn Jahre als Gastdozentin, danach: ein Leben ohne Keramik.
Lehrer wie Otto Lindig und Gerhard Marcks hatten Lore Koehn, wie sie noch hieß, moderne Bauhaus-Ideen vermittelt, die sie später voller Neugier auf die 4000-jährige Keramik aller Welt vorantrieb. Am Anfang stand die Weigerung ihres Vaters, ihr ein Bildhauerstudium zu finanzieren: So fruchtbar können Verbote sein. Privat heiratete sie Ferdinand Kramer, den 27 Jahre älteren „Architekten der Kritischen Theorie“ (1898–1985) und Freund Adornos aus Exil-Zeiten, dessen Bauten für die Goethe-Universität laut Alexander Kluge die Studentenproteste von 1968 begleiteten.
Voller Erkenntnislust
Vor der Führung im MAK wirkt Lore Kramer fit und präsent, wenngleich sie nach einem Sturz Laufstöcke mitführt. Umso mehr verwundert ihre Selbstbeschreibung vor ihrer (Neu-)Entdeckung im MAK: „Ich fühlte mich als ein Mammut, das im Eise steckt.“ Eis hält frisch (selbst Mammuts), frisch wie die Erkenntnislust, mit der uns die Ausstellung unverhofft packen kann. Liest man hier und da etwa von „dem“ Scherben, dann ist das kein Grammatikfehler, sondern ein Fachbegriff für jedes gebrannte Stück Keramik: unversehrte Vasen, zerbrochene Schalen oder Testplättchen.
Ein richtig imposanter „Scherben“-Haufen also, der im Zentralraum Werkstatt-Flair ausstrahlt und im Umlauf, in Hufeisenform, von Kramers Studium und Anfängen bis zur eigenen Lehre führt. In der Mitte aber warten die lang nur abgestellte, jetzt hervorgeholte Töpferscheibe Kramers und ein großes Foto vom gefüllten Brennofen – als gehe es jeden Moment wieder los. Dazu Tische und Vitrinen mit oft wunderschönen Objekten oder Gussformen.
Wagner K beschreibt die Auffindung des gesamten Werks in einem kleinen Raum der HfG so, als habe er sich wie Howard Carter am entsiegelten Grab Tutanchamuns gefühlt.
Sparsame Texttafeln
Lore Kramer zitiert gern Horaz und dessen Poetik: „prodesse et delectare: nutzen und erfreuen“. Um einen Großteil der Lebensproduktion zu zeigen und auch noch die Einflüsse der Weltkeramik anzudeuten, ohne dass es überladen wird, setzt die Ausstellung auch mediale Mittel ein. Hunderte durchnummerierter Fotos etwa sind neben sparsamen Texttafeln, Fotos der Künstlerin und Vitrinen zu sehen.
Rechts vorn poltert eine Diaschau instruktiv durch Höhepunkte der Keramik, wie Kramer sie mit den Studenten in Museen der Welt aufsuchte. Gleich daneben hinter Glas: Keramikobjekte aus Ost-, Südost- und Vorderasien („heller Scherbe mit transparenter, türkisfarbener Glasur“, 12. Jahrhundert). Da möchte man verweilen und wundert sich später, eine Riffelung oder Farbidee in der Moderne wiederzufinden.
Museum Angewandte Kunst
Schaumainkai 17, Frankfurt. Bis 26. August, geöffnet Di/Do–So 10 bis 18 Uhr, Mi 10 bis 20 Uhr. Eintritt 6 Euro. Telefon (069) 21 24 45 39. Internet