Das Sorgenkind der Eintracht
Der Frankfurter Stürmer Jessic Ngankam kommt nicht so recht auf Touren – die Frage ist, weshalb?
Unstrittig ist, dass Jessic Ngankam, sagen wir, nicht unter einem Mangel an Selbstbewusstsein leidet. Wenn es Elfmeter gibt, ist der 23-Jährige der Erste, der sich den Ball schnappt - unabhängig davon, ob er ein gewiefter Schütze ist oder nicht. Er ist es eigentlich nicht, unlängst hat er zwei Strafstöße verballert, das hat ihn nicht gehindert im Spiel gegen den 1. FC Heidenheim wieder zum Punkt zu gehen. Der Ball flog weit in den Frankfurter Stadtwald. Auch bei der U21-EM gegen Israel war er gescheitert, (wofür er in den Sozialen Medien übelst rassistisch beleidigt wurde), ebenso im Testspiel mit Eintracht Frankfurt gegen Barockstadt Fulda-Lehnerz, damals war der Neuzugang gerade eingewechselt worden, der Fehlschuss war sein erster Ballkontakt. So viel zum Selbstbewusstsein.
Der Trainer Dino Toppmöller hat ihm das Verballern gegen Heidenheim nicht krumm genommen, zumindest öffentlich nicht, er hob den Mut hervor, in solch wichtigen Situationen „Verantwortung übernommen“ zu haben, wie Leichtfertigkeit manchmal genannt wird. Aber so ist er, der Jessic Ngankam, so furchtbar viele Gedanken macht er sich nicht. Das ist manchmal nicht verkehrt, manchmal schon. Und nicht immer sind die Zeitgenossen so entspannt wie Mario Götze: Dem hatte Ngankam an seinem ersten Arbeitstag in der Kabine mal gleich den Spind ausgeräumt, der Berliner Neuzugang sollte sich einen aussuchen, er wählte unwissentlich den von Götze. Der Ältere grinste sich eins.

Ansonsten sind die Fußspuren, die Jessic Ngankam bislang hinterlassen hat, eher klein, ja er ist ein bisschen zum Frankfurter Sorgenkind avanciert, weil die Trainer den Stürmer einfach nicht fit bekommen. Das ist bei einem 23-Jährigen, der die komplette Vorbereitung absolviert hat, merkwürdig. In den letzten Spielen wurde der gebürtige Berliner mit Wurzeln in Kamerun nicht mal mehr in den Spieltagskader berufen. Stattdessen sollte er trainieren und Defizite aufarbeiten, um wettbewerbsfähig zu werden. Es war ein Denkzettel: „Er weiß jetzt: Ich muss einen Tick mehr machen“, begründete Trainer Dino Toppmöller, „wir verlangen von ihm, dass er es besser machen muss.“ Auch in Berlin bei der Hertha hatte Trainer Pal Dardai seinen mangelnden Fitness-Zustand bemängelt.
Manches spricht dafür, dass Ngankam momentan zu viele Kilos auf die Waage bringt. Was keinesfalls mit falscher Ernährung zu tun hat, sondern dass er zu viele Muskelmasse aufgebaut hat. Der Angreifer laborierte lange an den Folgen eines Kreuzbandrisses, erlitt nach seinem Comeback erneut eine Verletzung am operierten Knie. In dieser Zeit arbeitete er viel im Kraftraum. Ähnlich erging es vor vielen Jahren auch Alex Meier, der an Muskelmasse zulegte und dabei zeitweise an Spritzigkeit einbüßte.
In Frankfurt hoffen sie, dass es beim U-21-Nationalspieler bald „klick“ macht. Denn eigentlich bringt der Junge aus Spandau, der 16 Jahre bei der Hertha gespielt hat, alles mit, um ein richtig guter Stürmer zu sein: Er hat die Physis, sich durchzusetzen, verfügt über Schneid und Durchsetzungsvermögen, er bringe „viel Leidenschaft und Power mit“, passe als „entwicklungsfähiger Spieler ideal zu unserer Strategie“, lobte Sportvorstand Markus Krösche bei der Verpflichtung für vier Millionen Euro Ablöse (und Vertrag bis 2028).
Drei Tore hat Ngankam, der in einem Apartment hoch droben im Süden Frankfurts mit atemberaubenden Blick auf die Stadt wohnt, ein besonderes Faible für Sportschuhe hat und Samuel Eto´o und Didier Drogba als seine Idole nennt („sie haben viel gebombt“), bislang für seinen neuen Klub erzielt: Zwei im Pokal beim 7:0 gegen Lok Leipzig und ein wichtiges, das 1:0 im Relegationsspiel zur Conference League gegen Levski Sofia (2:0). Er selbst nennt das den schönsten Moment seiner Karriere, abgesehen natürlich von seinem ersten Bundesligator für die Hertha, 2020, gegen den FC Bayern.
Aus Berlin, seiner Heimatstadt, fortzugehen ist Ngankam natürlich schwer gefallen, sein ganzes Leben hat er dort verbracht, abgesehen von kurzen Abstechern in das Land seiner Eltern, Kamerun. „Mit großen Augen“ ist er da durch die Straßen gegangen, eine völlig andere Welt habe sich ihm da aufgetan. Er fühle sich dadurch „geerdet“, sagte er mal. Seiner Mutter habe er versprochen, ihr in Kamerun, in Douala, ein Haus zu bauen, falls er sich als Profi durchsetze. Momentan wird gerade gebaut.
In Frankfurt hat er sich inzwischen eingelebt, „geile Stadt, geiles Stadion, geile Fans“, umschreibt er typisch seine Gefühle, Aber bis es dauerhaft so weit kommt, wie die Berliner Hip-Hop-Gruppe Etekogang in ihrem Song „Jessic Ngankam“ textet, muss sich der 23-Jährige am Riemen reißen. Dort heißt es: „Ich dribbel‘ mich durch wie Kingsley Coman, ich mach‘ die Tore wie Jessic Ngankam.“