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Abschied von der Frankenallee

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Das Verlagshaus der Frankfurter Societät, in dem die Redaktion der Frankfurter Neuen Presse seit 1961 beheimatet war. Das Areal zwischen Gutenbergstraße und S-Bahngleisen wird neu bebaut.
Das Verlagshaus der Frankfurter Societät, in dem die Redaktion der Frankfurter Neuen Presse seit 1961 beheimatet war. Das Areal zwischen Gutenbergstraße und S-Bahngleisen wird neu bebaut. © Rolf Oeser

Zeitungshaus weicht einem Neubau - 110-jährige Baugeschichte endet Die letzten Umzugskisten sind gepackt. In der kommenden Woche wird das Verlagshaus in der Frankenallee 71-81 verlassen sein - ausgeräumt, um 2023 abgerissen zu werden. Dann geht eine mehr als 110-jährige Baugeschichte zu Ende. Wo der Unternehmer Louis Peter von 1910 an in seiner Gummiwarenfabrik Autoreifen produzierte, wo die Frankfurter Societäts-Druckerei seit den 1950er Jahren Zeitungen herstellte und wo die Frankfurter Neue Presse 1961 ihre Heimat fand, wird bis 2027 ein neues Quartier entstehen und das Gallus weiter wandeln.

„Hellerhöfe“ heißt das ambitionierte Projekt, das neue Akzente setzen soll fürs Wohnen und Leben. Das Verlagshaus in der Frankenallee mit seiner markanten Klinkerfassade hat das Viertel geprägt. Es wird fehlen.

Frankfurt -12. April 1968, Karfreitag. Die Feiertagsruhe ist dahin, denn in Berlin ist am Vortag Studentenführer Rudi Dutschke angeschossen und schwer verletzt worden. „,Bild‘ hat mitgeschossen!“ skandieren Studenten, die sich an der Frankfurter Uni treffen, um über mögliche Reaktionen auf das Attentat zu diskutieren. Das Boulevardblatt ist wegen der Hetze gegen die Proteste der jungen Leute ein rotes Tuch für die Studenten. Und so kommt die schließlich gefällte Entscheidung nicht überraschend: Die Auslieferung der „Bild“-Zeitung am Verlagshaus in der Frankenallee soll verhindert werden - dort wird eine Teilauflage des Blattes gedruckt.

Etwa 2000 junge Leute belagern das Gebäude, errichten Barrikaden mit Mülltonnen und Bauwagen, stechen Zeitungsfahrzeugen die Reifen platt. Es kommt zu heftigen Straßenschlachten mit der Polizei. Steine fliegen, Wasserwerfer und Schlagstöcke werden eingesetzt, es gibt zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten. Nach der Blockade spricht die Frankfurter Societäts-Druckerei von einer „terroristischen Kampagne gegen unseren Betrieb“.

Studentenunruhen und Streiks

Acht Jahre später, während des Druckerstreiks im Mai 1976, hat die Frankfurter Neue Presse bundesweit Schlagzeilen gemacht. Ein Leitartikel von Chefredakteur Robert Schmelzer zum Streik brachte Betriebsratschef Peter Schäfer auf die Palme, der Schriftsetzer schickte das Manuskript mit seinen handschriftlichen Korrekturforderungen an den Chefredakteur zurück. Schmelzer wies diese Ungeheuerlichkeit empört zurück und ordnete den Abdruck ohne jede Änderung an. Daraufhin stellte Schäfer den Leitartikel kurzerhand gar nicht auf die Seite und die FNP erschien am 4. Mai 1976 mit einer leeren Fläche auf Seite 2 - ein Skandal! Am 5. Mai wurde nicht nur Schmelzers Leitartikel mit einem Tag Verspätung abgedruckt, sondern ein weiterer Kommentar des Verlegers Werner Wirthle gegen Schäfers Zensur.

Leopold Sonnemann, 1856 Gründer des Frankfurter Geschäftsberichts, aus dem die angesehene Frankfurter Zeitung entstand, gab 1860 seinem Verlag den Namen Frankfurter Societäts-Druckerei (FSD). Diese hatte zunächst in der Großen Eschenheimer Gasse an der Börse ihren Sitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg kaufte die FSD die einstige Gummiwarenfabrik von Louis Peter in der Frankenallee 71-81 und baute sie zum Druck- und Verlagshaus um. 1961 folgte die Redaktion der Frankfurter Neuen Presse von der Innenstadt ins Gallus. Die Societäts-Druckerei hatte die FNP 1958 übernommen. Erstmals erschienen war die Zeitung am 15. April 1946.

In den 1980er Jahren kam im Druck- und Verlagshaus an der Frankenallee zudem das Ende für Gutenbergs bewegliche Lettern - die geniale Erfindung aus dem Jahr 1440 hatte mehr als fünf Jahrhunderte Bestand. Am 17. Dezember 1985 war in der FNP der Hinweis zu lesen, dass der Lokalteil dieser Ausgabe erstmals „bleifrei“ erstellt worden sei. 1986 erfolgte die Umstellung der gesamten Zeitung vom Bleisatz auf das computergesteuerte Redaktions-, Anzeigen- und Produktionssystem des US-amerikanischen Herstellers Atex. Auf klobigen Bildschirmen mit unhandlichen Tastaturen waren die Texte in grüner Schrift auf schwarzem Grund zu lesen. Die technische Revolution in der Zeitungsbranche erforderte gewaltige Investitionen, so auch von der Frankfurter Societäts-Druckerei. Sie nahm Ende 1992 nach zweijähriger Bauzeit das Druckzentrum Mörfelden vor den Toren Frankfurts in Betrieb (Kosten: 350 Millionen Mark). Am 1. April 1993 wurden dort erstmals die FNP und ihre Regionalausgaben gedruckt.

Die letzte Schreibmaschine

Die letzte, die die Schreibmaschine zur Seite stellte und ihre Texte fortan am Bildschirm tippte, war Reporterlegende Jutta W. Thomasius, die vor drei Jahren mit 96 Jahren verstarb. Sie ist als „Mama Leberecht“ in die FNP-Geschichte eingegangen, als gute Seele der Hilfsaktion. Zu ihrem 90. Geburtstag im Mai 2013 richtete das Verlagshaus der populären Journalistin ein großes Fest in der Redaktion aus. Der Name Thomasius ist außerdem in Stein gemeißelt unter einem Porträt am Haupteingang in der Frankenallee zu lesen. Dargestellt ist der Leipziger Jurist und Philosoph Christian Thomasius (1655-1728). Er gab 1688 die erste Zeitschrift in deutscher Sprache heraus. Der steinerne Herr an seiner Seite ist jener Mann aus Mainz, der das Drucken mit beweglichen Lettern erfunden hat: Johannes Gutenberg (um 1400-1468).

Das heutige Gelände der Frankfurter Societät im Geviert Frankenallee, Gutenbergstraße, Mainzer Landstraße, Hellerhofstraße war bis 1892 unbebaut, wie aus Unterlagen des Instituts für Stadtgeschichte (IfS) hervorgeht. Ein Jahr später stand das erste Gebäude an der Mainzer Landstraße 196, es folgte 1806 das Eckhaus Frankenallee 71/Gutenbergstraße 7.

Im Jahr 1910 bestand laut IfS-Unterlagen in der Frankenallee 71-81 erstmals „eine geschlossene Gebäudefront“. Es handelte sich um zwei große Fabrikgebäude, die die Frankfurter Baufirma Philipp Holzmann für den aus Korbach stammenden Unternehmer Louis Peter (1841-1921) errichtete. Peter gilt als Pionier der Gummiwarenindustrie und der Luftbereifung. Er gründete die „Mitteldeutsche Gummiwarenfabrik“, die in der Frankenallee vor allem Motorrad- und Autoreifen produzierte.

1929, acht Jahre nach dem Tod des Firmengründers, fusionierte der in „Peters Union AG“ umbenannte Reifenhersteller mit der Continental Gummiwerke AG. Doch die Weltwirtschaftskrise brachte das schnelle Aus für die einst so erfolgreiche Fabrik im Gallus: 1930 machte der Hannoveraner Konzern die in Frankfurt als „Gummipeter“ bekannte Firma dicht. Für immer. Jürgen Walburg

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