Frankfurter Ärzte über das RS-Virus: „Ausmaß, das wir noch nicht erlebt haben“

Klinikärzte in Frankfurt berichten von einer heftigen Welle des RS-Virus bei Babys und Kleinkindern nach der Corona-Pandemie. Einige Regionen waren besonders stark betroffen.
Frankfurt – Es traf die Kleinsten mit voller Wucht, die Neugeborenen, die Säuglinge und Kleinkinder bis zwei Jahre. Überdurchschnittlich viele von ihnen steckten sich im vergangenen Herbst und Winter mit einem für sie besonders gefährlichen Erreger, dem Respiratorischen Synzytial-Virus an, kurz RSV genannt. Jetzt läuft die Welle aus.
„Die Infektionswelle dauerte von der 40. Kalenderwoche des vergangenen Jahres bis etwa zur fünften dieses Jahres“, erläutert Prof. Johannes Schulze von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Frankfurt. In dieser Zeit, von Oktober 2022 bis Anfang Februar dieses Jahres, seien insgesamt 113 Kinder in der Uniklinik stationär wegen der für sie tückischen Atemwegsinfektion behandelt worden.
Ausbruch des RS-Virus: „Überproportionale Häufung“ in Höchst
Die Symptome sind auffällig: Die Kinder sind blass und kraftlos, trinken oft schlecht, haben Fieber, atmen schnell und mit großer Anstrengung. Zehn der stationär in der Uniklinik behandelten Kleinen waren so schwer krank, dass sie auf der Kinderintensivstation versorgt wurden, zwei von ihnen gar mit der künstlichen Lunge. Zwei weitere mussten maschinell beatmet werden. Sechs Kinder mit durch RSV-Infektion gestörter Atmung erhielten Unterstützung durch externe Beatmung mittels einer speziellen Sauerstoffmaske.
Dramatischer war die Lage in der Kinderklinik des Klinikums Höchst. Die Chefärzte Daniel Lorenz und Christopher Meudt sprechen von einer „überproportionalen Häufung von RSV-Infektionen“. „Insgesamt waren fast 400 Patienten in unserer stationären kinderärztlichen Behandlung. Davon wurden etwa 15 Säuglinge intensivmedizinisch behandelt und mussten künstlich beatmet werden. Über die Hälfte der stationär behandelten Patienten war noch sehr jung, nämlich bis sechs Monate.“
RS-Virus in Frankfurt: Ausmaß des vergangenen Ausbruchs überschritt bisherige Ausbrüche
Auch im Clementine-Kinderhospital blicken Ärzte und Pflegekräfte auf außergewöhnliche Herbst- und Wintermonate zurück: „Die RSV-Saison begann im September und hatte einen nie dagewesenen Peak im November und Dezember“, so eine Sprecherin auf Anfrage dieser Zeitung. Seit sechs Wochen etwa seien allerdings nur noch „einzelne Patienten“ mit RSV-Infektion stationär. Auch in Höchst wurden die letzten beiden Kinder, die noch im März wegen ihrer schweren Erkrankung stationär behandelt wurden, inzwischen entlassen.
Eine periodische Häufung von RSV-Infektionen alle zwei bis drei Jahre ist unter Kinderärzten längst bekannt. „In der vergangenen Saison wurden diese Ausmaße jedoch deutlich überschritten“, so Daniel Lorenz. In den Vorjahren seien jeweils 150 bis 200 Kinder in der Höchster Kinderklinik stationär behandelt worden. In der Uniklinik hat man in den Wintermonaten 2020/2021 fast keine Kinder mit RSV-Infektionen gesehen. Prof. Schulze: „Bedingt durch den Lockdown und die damit einhergehenden behördlichen Auflagen und Distanzregeln traten fast keine Infektionen auf.“
Ausbruch RS-Virus in Frankfurt: Ähnlich schwere Welle im Winter vor vier Jahren
Die hohen Infektionszahlen nach dem Lockdown wurden womöglich vor allem auch deshalb als besonders dramatisch empfunden. Dabei gab es vor vier Jahren eine ähnlich schwere Infektionswelle mit RSV. Prof. Schulze: „Die Anzahl der in diesem Winter hospitalisierten Kinder war annähernd so hoch wie die Anzahl der Kinder im Winter 2018/2019, in dem viele Infektionen auftraten. Es waren noch mehr erkrankt als im Winter 2021/2022. Es fällt auf, dass nach dem Lockdown die Infektionen früher auftraten, etwa ab der 40. Kalenderwoche. Zuvor war der Beginn der Infektionen ab Mitte November. Entsprechend war die Infektionswelle früher zu Ende.“
Auch im Clementine-Kinderhospital erlebte man 2021 „einen vierwöchigen Peak“. In der Wintersaison 2022 sei dieser Höhepunkt indessen höher gewesen und habe viel länger angedauert, so die Sprecherin der Klinik. In der Kinderklinik Höchst war man auf eine größere Zahl behandlungsbedürftiger Patienten offenbar vorbereitet. „Durch die Berichte, Veröffentlichungen und Erfahrungen aus dem australischen Gesundheitssystem rechneten wir bereits vorab mit einer Infektionshäufung und einer RS-Welle nach dem Lockdown“, sagt Christopher Meudt. In der Saison 2021/2022 seien 300 Kinder behandelt worden, allerdings kaum Patienten intensivmedizinisch.
Ausbruch des RS-Virus in Frankfurt: DAK-Gesundheit hat Klinikbehandlungen hessenweit untersucht
„Ganz anders sah es in der nun abgelaufenen Saison aus“, sagt Meudt. In Höchstzeiten waren täglich bis zu 50 Betten in der Kinderklinik mit Patienten belegt, die wegen einer Infektion bedingt durch RS-Viren behandelt werden mussten. Auch langjährig erfahrenes Personal hat dieses Ausmaß, das wir vergangenen Winter zu verzeichnen hatten, noch nicht erlebt.“ Immerhin: Folgen die Intervalle der RSV-Infektionen der von Kinderärzten beobachteten und beschriebenen Gesetzmäßigkeit, dürfte es im kommenden Herbst und Winter nicht so heftig werden.
Als erste Krankenkasse hat die DAK-Gesundheit hessenweit Klinikbehandlungen von Kindern im Hinblick auf RSV-Infektionen bis Ende 2022 untersucht. Die Analyse bestätigt für das ganze Land, was sich in Frankfurter Kinderkliniken abgebildet hat. Der DAK-Untersuchung zufolge haben sich stationäre Behandlungen von infizierten Neugeborenen und Säuglingen im Vergleich der vierten Quartale 2022 und 2018 verdreifacht. So wurden allein im Zeitraum Oktober bis Dezember 2022 mehr Kinder aufgrund von RSV in Krankenhäusern behandelt als in der kompletten Vor-Corona-Saison 2018/19, die ein gesamtes Jahr umfasst. Einen starken Anstieg gab es auch bei den besonders schweren Fällen: So stieg der Anteil der Behandlungen auf Intensivstationen um rund 80 Prozent.
Nach der Corona-Pandemie hat sich der Höhepunkt der RSV-Welle zeitlich nach vorne verschoben. Und es wurden merklich mehr Kinder stationär versorgt: So verdoppelte sich in der Saison 2021/22 der Anteil der hessischen Babys, die mit RSV im Krankenhaus behandelt wurden, im Vergleich zur Saison 2018/19. Hochgerechnet mussten im Winter 2022 rund 1750 Neugeborene und Säuglinge in hessischen Kliniken versorgt werden. (Sylvia Amanda Menzdorf)