Als "hinne drauße" noch eine Neubausiedlung war

Geschichtsverein Griesheim zeigt eine Ausstellung über die Jahre von 1935 bis in die frühen Fünfziger
"Das ist meine Kindheit und meine Schulzeit", sagt Uta Endreß. Die Vorsitzende des Geschichtsvereins Griesheim hat schon vor zweieinhalb Jahren eine Ausstellung zusammengestellt, die nun das erste Mal zu sehen ist - Corona hat das bislang verhindert. Diesen Sonntag öffnet der Geschichtsverein von 14 bis 17 Uhr seine Türen in der Autogenstraße, um ein Schlaglicht auf die Jahre von 1935 bis in die frühen Fünfziger zu werfen.
Parallel dazu ist die Fotoschau "Unser Griesem is doch schee" zu sehen, die Uta Endreß zusammen mit dem Bockenheimer Fotografen Jochen Ickert für die "Stadtteilhistoriker" der Polytechnischen Gesellschaft erstellt hat, um all denen Paroli zu bieten, die den Stadtteil immer schlechtreden.
"Wissen Sie", sagt Uta Endreß, "unser Griesheim ist ja dreigeteilt: Die Leute aus dem alten Ort sagen zu Griesheim-Mitte ,ibber die Bahn', und der Teil zwischen der Mainzer Landstraße und dem Niedwald heißt hier ,hinne drauße'. Aber das hört man dort nicht so gern." Als Uta Endreß geboren wurde, 1935, war "hinne drauße" noch ein Neubauviertel. Sie ging in den evangelischen Kindergarten, wo Schwester Emma eine fröhliche Kinderschar hütete. Von Mitgliedern ihres Jahrgangs hat Uta Endreß viele Exponate bekommen: Babyfotos, Schnuller, Lätzchen, eine anzeige von "Ada-Ada Kinderschuhe" aus Höchst, aber auch einen Teller des Winterhilfswerks. Gespielt wurde auf dem Hof und in der Straße; die Mütter benutzten noch Teppichklopfer und gusseiserne Bügeleisen, die auf dem Herd erhitzt wurden. Gewaschen wurde in der "Wäschbitt". "Im Sommer wurde die rausgestellt, und wenn die Sonne das Wasser etwas erwärmt hat, war das unser Pool", erinnert sich Uta Endreß. Sie berichtet gerne von früher und hat auch einiges zu erzählen. "Sonntags ist man entweder ins Schützenhaus gegangen oder mit der Fähre auf die andere Mainseite nach Goldstein gefahren und dort eingekehrt", erzählt sie. Die Goldsteiner hießen damals noch "die Siedler", und weil es dort noch keine Schule gab, gingen die "Siedlerkinder" in Griesheim zur Schule.
Die ersten Bombenschäden gab es im Oktober 1943; auf den Hochzeitbildern tragen die Männer Wehrmachtsuniform. "Erst freuten sich die Kinder, wenn ihre Väter Heimaturlaub hatten, aber dann kamen viele nicht mehr heim", sagt Ursula Endreß. Sie kam in NS-Kinderlandverschickung nach Groß-Velda im Vogelsberg und durfte das Landleben genießen, während zu Hause das Flakfeuer leuchtete - Fotos davon gehören ebenso zur Ausstellung wie ein Original der von der US-Armee herausgegebenen "Frankfurter Presse" vom 8. Mai 1945, als der Neuanfang begann.
Der Wiederaufbau setzte ein, dokumentiert auch mit Rechnungen von Handwerkern. Daneben hängen Fotos vom ersten großen Fest im Ort, wo die kleine Uta, gerade mal 15, als "Festjungfrau" dabei war. "Das war mein erstes langes Kleid", erinnert sie sich. Ein anderes Foto zeigt den Turnplatz am Main - gesäumt von Ruinen. Kindertheater und Ausflüge, aber auch Englisch-Stunden bot die "German Youth Activity" (GYA) der Amerikaner. "Sie haben sich sehr um uns Kinder gekümmert", erinnert sich Uta Endreß. "Wir haben etwa einen Ausflug an den Rhein nach Bacharach gemacht und sind auf der Yacht von Adolf Hitler gefahren."
Einen Blick in die Griesheimer Geschäftswelt von 1935 können Besucher der Ausstellung an einer weiteren Stellwand tun. Die anzeigen von Einzelhändlern, Handwerkern und Gastronomen stammen aus dem "Griesheimer Anzeiger", der, 1894 gegründet, 1941 unter den Nazis eingestellt wurde wie viele andere Zeitungen auch - angeblich aus Papiermangel. Der Geschichtsverein Griesheim hat die Jahrgänge in seinem Archiv - ein Schatz für Ausstellungen wie diese. Holger Vonhof
Ausstellung und Verkauf
Sonntag, 10. Juli, 14-17 Uhr, Autogenstraße 19, Eintritt frei.