Als Studenten in Frankfurt den Aufstand probten

Noch lange vor 1848 gingen Frankfurter auf die Barrikaden 175 Jahre ist es im kommenden Jahr her, dass das erste frei gewählte Parlament in Deutschland in der Paulskirche zusammentrat. Diese Versammlung stand am Ende von gut drei Jahrzehnten, in denen sich revolutionäre Gedanken immer mehr den Bann brachen - in den Jahren des Vormärz, also den Jahren vor der März-Revolution von 1848.
Schon in dieser Zeit spielte Frankfurt eine wichtige Rolle für das ganze Land. Und ganz besonders ein Frankfurter Arzt.
Es ist ein Mittwoch, der 3. April 1833, als sich in Frankfurt ein Volksaufstand erhebt. Gegen 21.30 Uhr schlagen die Revolutionäre los mit dem Sturm auf die Konstablerwache und die Hauptwache. Nach Freiheitsprotesten sind dort Burschenschaftler eingekerkert, die wollen sie befreien. Und mehr noch: „Ihr Ziel war es, eine Revolution anzuzetteln“, sagt Historiker Markus Häfner vom Institut für Stadtgeschichte. Es soll der Umsturz im ganzen Deutschland werden, hin zur demokratischen Freiheit.
Allen voran stürmt der Arzt Gustav Bunsen, 1804 in Frankfurt als Sohn eines Münzrates geboren. Sein Vetter Robert Wilhelm erfindet den Bunsenbrenner. Beim Studium in Würzburg und Heidelberg schließt sich Gustav Bunsen studentischen Burschenschaften an. Als Verfechter der Nationalstaatsidee waren sie damals ganz vorn in den Freiheitskämpfen dabei. Im polnischen Unabhängigkeitskrieg 1830 gefangen genommen, schließt sich der Mediziner zurück in Frankfurt dem „Preß- und Vaterlandsverein“ an, einem Zusammenschluss von Liberalen und Demokraten, gehört zu dessen Leitungszirkel. Diesen Verein, der auch für die freie Presse eintritt, so wie viele andere verbietet der auf Restauration ausgerichtete Deutsche Bund. Im Untergrund radikalisiert sich der Verein.
Die Grundlage für die Wut einiger Bürger reicht weiter zurück. 1815 hatte der Wiener Kongress jeglichen revolutionären Tendenzen einen Riegel vorschieben wollen - es war die große Restitution nach der Französischen Revolution von 1789 und den Napoleonischen Kriegen seit 1792. Statt einen starken, deutschen Nationalstaat zu schaffen, wurden die europäische Landkarte neu gezeichnet und die Fürstentümer gestärkt.
Ihr recht lockerer Zusammenschluss, der Deutsche Bund, bekam seinen Sitz in Frankfurt. Im Palais Thurn und Taxis, damals noch ein viel größerer Komplex als heute, tagten die Gesandten der Mitgliedsstaaten im Bundestag. Diese vermeintlich beruhigende Ordnung und damit die feudale Herrschaft zu erhalten, war durchaus im Sinn einer Mehrheit in der Bevölkerung: Sie war Umsturz, Veränderungen und Krieg satt.
„Frankfurt war nun keine freie Reichsstadt mehr“, erinnert Markus Häfner. Immerhin erhielt die Metropole mit ihren damals rund 40 000 Einwohnern den Status einer „Freien Stadt“ - was es nur vier Mal im Deutschen Bund gab. Die Stadt bestand auch nur aus dem heutigen Stadtkern etwa innerhalb des Anlagenrings samt Sachsenhausen - etwa dem heutigen Nord-Sachsenhausen. Höchst oder selbst Bockenheim waren noch eigenständig und gehörten zu benachbarten Fürstentümern.
Fortschrittlich freiheitlich lenkt das Bürgertum selbst die Geschicke der Stadt: seit 1816 mit einem gewählten Senat. „Frankfurt galt als Liberalennest“, erklärt Häfner. Was damals aber als sehr liberal und freiheitlich gilt, „kann man nicht mit heutiger Demokratie vergleichen“.
Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung dürfen die städtischen Gremien wählen: 6000 Männer, die das Bürgerrecht haben, weil sie sich und ihre Familie selbstständig ernähren können. „Das war eine Honoratiorengesellschaft, aber schon keine Patriziergesellschaft mehr“, erläutert der Historiker. Frauen, Juden, Tagelöhner und Zugereiste bleiben außen vor.
In vielen der Fürstentümer gibt es derlei demokratische Ansätze wie in Frankfurt noch nicht. Doch sind es zunächst Armut und Hunger, die zu Aufständen führen - etwa gegen Zölle, die bei Grenzübertritten entrichtet werden mussten. Am 25. September 1830 protestieren Bauern, Handwerker und Händler beim Mautkrawall an der Mainkur. Im Jahr darauf folgte der Sperrbatzenkrawall als Protest gegen die Schließzeiten der Stadttore.
Wirtschaftliche Freiheit entwickelt sich zu einem Wunsch der breiten Bevölkerung. Während des Vormärz wird das Alltagsleben ebenso von den Anfängen der Industrialisierung geprägt wie der von ihr verursachten Armut. Frankfurt baut 1834 eine moderne Wasserversorgung, 1835 kommen die ersten dampfbetriebenen Fabriken auf. 1838 legt das erste Dampfschiff am Main an, 1839 wird die erste Eisenbahnstrecke eröffnet, nach Höchst. Immer stärker steigen die Lebensmittelpreise an, die unteren Klassen und die Handwerker verarmen.
Zugleich entwickelt sich in der Kultur Widerstand zum hausbackenen Biedermeier. Autoren des Jungen Deutschland bekunden ihren Freiheitsdrang: Lyriker wie Heinrich Heine, der Darmstädter Schriftsteller Georg Büchner etwa oder Ludwig Börne, 1786 im Frankfurter Ghetto geboren, mit seinen „Briefen aus Paris“. Revolutionäre Schriften wie Büchners „Der Hessische Landbote“ gehen auf volle Konfrontation mit der Zensur: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“, fordert er.
Freie Presse gibt es nicht: „Es wurde ja noch jede Publikation behördlich zensiert“, erläutert Häfner. Dieses System ohne Meinungsfreiheit hatten die Karlsbader Beschlüsse von 1819 zementiert. In ihnen wurde auch die revolutionäre Fahne Schwarz-Rot-Gold verboten. „Damit wurden diese natürlich erst recht zu den Farben der Freiheitskämpfer.“
1832 wird der Obrigkeitsstaat selbst 220 Bürgern in Frankfurt zu viel: Sie fordern in einer Petition mehr Pressefreiheit. Angetrieben wird das Aufbegehren landauf, landab von der Juni-Revolution in Frankreich gegen die Monarchie und direkt zuvor dem Hambacher Fest Ende Mai. 20 000 bis 30 000 oppositionelle Bürger waren dort zusammengekommen - es gilt vielen Historikern als Beginn des Vormärz. Die Fürsten reagieren: Sie wollen mit Ausnahmegesetzen die Revolution ersticken. Politische Vereine und viele Zeitungen werden verboten, Tumultgesetze erlassen. Auch Frankfurt übernimmt die Gesetze.
Das allerdings treibt den Widerstand weiter an - und führt letztlich zum Wachensturm. Dafür hatten sich die Revolutionäre bei Zusammenkünften wie am Hambacher Schloss vernetzt. Als politisches Zentrum des Deutschen Bundes ist Frankfurt Protestort erster Wahl. In der Altstadt-Gaststätte „Zum Rebstock“ des Vaters von Friedrich Stoltze tüfteln die republikanischen Verschwörer ihren Plan aus. Der Dichter, zum Zeitpunkt des Wachensturms erst 16 Jahre alt, berichtet darüber zum 50. Jahrestag des „Frankfurter Attentats“: „Sie wollten ein in Freiheit geeinigtes Deutschland.“
Für den Wachensturm reisen selbst aus Mannheim und Gießen Unterstützer an. Auch Gustav Bunsen war im Vorfeld für die Koordinierungsgespräche durchs Land gereist und hatte sogar ein Waffenlager angelegt. In seiner Wohnung an der Ecke Konstablerwache bewaffnet er die Aufständischen an jenem Abend mit Musketen und mit Bajonetten.
Bunsen voran stürmen die jungen Männer von der Katharinenpforte her kommend das Wachlokal der Hauptwache. Nicht nur Freiheit, Gleichheit und Revolution rufen sie, auch gut frankfurterisch: „Ferschte zum Land ennaus!“ Sie können alle politischen Gefangenen befreien.
Doch die Revolution zetteln die Freiheitskämpfer nicht an: Viele Frankfurter verfolgen den Sturm der 33 Männer zwar mit Sympathie, sie machen aber nicht mit - anders als es die Revolutionäre erhofft hatten. Zusätzlich alarmierte Truppen schlagen den Aufstand schon in der Nacht nieder, es gibt Verletzte und Tote.
Die Aufständischen werden gefangen genommen, in einem Schwarzen Buch auch ihre Unterstützer erfasst. Viele werden zu langjährigen Kerkerstrafen verurteilt, manche kommen erst durch Amnestien frei. Gustav Bunsen versteckt sich in der Wohnung seines Bruders Georg und lässt seine Heimat nach wenigen Wochen im Sommer desselben Jahres hinter sich: Er emigriert in die Vereinigten Staaten.
Dort treibt ihn der Drang zur Freiheit dazu, sich drei Jahre später einem Freischärlerkommando im Unabhängigkeitskrieg in Texas anzuschließen. In der Nacht zum 27. Februar 1836 wird er laut Historiker Bernd Häußler bei einem Feuergefecht mit der mexikanischen Armee nahe des Dorfes San Patricio angeschossen. Noch am gleichen Tag erliegt Gustav Bunsen seinen Verletzungen. Laut Häußler erinnert ein Grabstein dort an den revolutionären Frankfurter Arzt.
Die noch massivere politische Verfolgung aber, die nach dem Wachensturm auch in Frankfurt einsetzt, lässt den Keim des Unmuts in der Bevölkerung weiter sprießen. „Das erreicht das Gegenteil“, sagt Markus Häfner. Mehr denn je tauschen sich die Demokraten aus, vernetzen sich. Dafür nutzen sie auch Vereine wie die 1833 von August Ravenstein gegründete Turngemeinde, Vorläufer des Frankfurter Turnvereins 1860. Oder das 1845 gegründete Montagskränzchen: Nach außen gesellig oder sportlich, boten sie der bürgerlich-liberalen Opposition Raum für den Austausch, erklärt der Historiker. So setzt sich auch in Frankfurt der republikanische Freiheitsdrang mehr und mehr in der Bevölkerung fest.
Dritter Teil
In der dritten Folge unserer Serie ordnet Prof. Ralf Roth im Interview die Situation rund um 1848 historisch ein.