An der Spitze steht die Feuerwehr-Mama

Sandra Müller ist bei Frankfurts freiwilligen Brandschützern die erste Wehrführerin
Größere Geschwister können ganz schön rabiat sein. Das weiß kaum jemand besser als Sandra Müller (35) aus Nieder-Eschbach. Lachend erzählt sie davon, als sie einst als Neunjährige zusammen mit einer Freundin mit ihren Barbie-Puppen gespielt habe - bis ihr drei Jahre älterer Bruder ins Zimmer platzte, den kurvigen Püppchen kurzerhand die Köpfe abriss und den Mädchen beschied, sie sollten doch lieber zur Feuerwehr gehen. Erst seien sie ziemlich sauer gewesen, erinnert sich Sandra Müller. Doch dann kamen sie doch ins Nachdenken: Feuerwehr - das klang spannend. Zumal sich der Bruder ebenfalls dort engagierte.
Was sie damals nicht ahnen sollte: 26 Jahre später sollte sie genau bei diesen Brandschützern, also bei der Freiwilligen Feuerwehr Nieder-Eschbach, die Leitung übernehmen. Damit ist sie die erste Wehrführerin bei den Freiwilligen Feuerwehren im Frankfurter Stadtgebiet. Und führt gleichzeitig eine Familientradition fort. Schon ihr Vater und ihr Großvater seien hier aktiv gewesen, erzählt sie, der Urgroßvater habe einst sogar als Nieder-Eschbacher Feuerwehrkommandant fungiert.
Für ihre neue Aufgabe bringt sie beste Voraussetzungen mit. Nach den üblichen Grundlehrgängen für Brandschützer absolvierte sie auch Weiterbildungen zur Truppführerin, Maschinistin, Atemschutzgeräteträgerin und sogar für die Handhabung der Kettensäge. An der Hessischen Landesfeuerwehrschule in Kassel qualifizierte sie sich schließlich für die Gruppenführung. Sandra Müller sei „eine top-ausgebildete Feuerwehrfrau“, schwärmt Stadtbrandinspektor Dirk Rübesamen deshalb: „Sie hat das von der Pike auf gelernt.“ Auch die Souveränität, mit der die gelernte medizinische Fachangestellte und Rettungsassistentin ihre Arbeit in einer Arztpraxis, ihre Familie - zu der neben ihrem Mann auch die siebenjährige Tochter sowie vierjährige Zwillinge zählen - und ihre Aufgaben bei der Feuerwehr managt, nötigt ihm höchsten Respekt ab: „Es ist super, wie sie Job, Familie und Ehrenamt kombiniert.“
Die „Ober-Chefin“ will lieber die Sandra sein
Bei so viel Lob wird Müller ein wenig verlegen. Sie sei beileibe keine „Super-Woman“ wehrt sie ab. Auch vom neuen Titel, den sich die Kinder der Nieder-Eschbacher Mini-Feuerwehr kürzlich für sie ausgedacht haben, ist sie alles andere als begeistert. „Ober-Chefin“, hätten die Kleinen sie kürzlich genannt, sagt sie: „Das ist furchtbar. Ich bin doch immer noch die Sandra.“
Zu den Minis hat sie übrigens eine besondere Beziehung. Schon als Jugendliche kümmerte sie sich um die Nachwuchs-Brandschützer, mit 18 Jahren übernahm sie dort die Leitung, später kam auch noch die Jugendfeuerwehr hinzu.
Ihr Ziel sei es immer gewesen, Kindern beizubringen, wie sie sich in Brandfällen verhalten sollten, erklärt Sandra Müller, deren Ehemann sich ebenso bei den Brandschützern engagiert wie die siebenjährige Tochter bei der Mini-Feuerwehr. Dass sie zwar Respekt vor den Flammen haben müssten, aber keine Angst. Was so gut ankam, dass sie von den Kleinen bald nur noch „Feuerwehr-Mama“ genannt wurde.
Viele der Minis, die sie einst unter ihren Fittichen hatte, engagieren sich inzwischen in der Einsatzabteilung. Als irgendwann die Frage auftauchte, wer denn die Leitung übernehmen könnte, richteten sich etliche Blicke auf sie: „Sandra, mach du es doch.“ Und Sandra Müller machte. Gleich zwölf Stunden habe sie an ihrem ersten Tag in dem neuen Amt geackert, erzählt sie. Nachdem ihr Vorgänger aus privaten Gründen ausgeschieden war, sei schließlich einiges an Papierkram liegengeblieben.
Ganz so heftig dürfte es nicht weitergehen. Doch zwei Stunden pro Tag seien für dieses Ehrenamt immer drin, weiß Dirk Rübesamen. Denn in der Wehrführung müsse man für alle möglichen Anliegen ansprechbar sein. Mal geht es um Reparaturen an den beiden Löschfahrzeugen oder am Mannschaftstransportwagen, mal darum, wann sich die neun Atemschutzgeräteträger wieder einer Überprüfung stellen müssen. Nicht zu vergessen die 25 bis 30 Einsätze pro Jahr, zu denen die Aktiven gerufen werden.
Ein Ziel der neuen Wehrführerin: mehr Interessenten anwerben. Nicht nur für den rund 250 Mitglieder zählenden Verein, sondern vor allem für die Einsatzabteilung, der auf dem Papier 35 Brandschützer angehören. Durch die Corona-Pandemie habe es allerdings einen Einbruch gegeben, räumt Sandra Müller ein - etliche Aktive ließen sich kaum noch blicken. Das will sie ändern.
Und sie macht auch Frauen Mut, sich bei der Feuerwehr einzubringen. Gleichberechtigung werde hier großgeschrieben: „Frauen dürfen hier genauso anpacken wie Männer.“ Dafür ist sie selbst das beste Beispiel.