An erster Stelle steht der Zusammenhalt

Siedlerverein wird 95 Jahre - Schon immer eine Institution - Auch Gartengeräte werden verliehen
Wir schreiben den Mai 1927, der erste Bauabschnitt der Siedlung Praunheim, östlich des alten Hofgutes, ist bereits abgeschlossen. 163 Eigenheime sowie 13 Mietwohnungen hat Stadtbaurat Ernst May dort binnen eines Jahres realisiert. Deren Bewohner eines Morgens eine Einladung in ihrem Briefkasten vorfinden: zur Gründungsversammlung der Siedler-Vereinigung im Gasthaus "Frankfurter Hof" in Praunheim. "Zur Wahrung Ihrer Interessen werden Sie nebst Ehefrau gebeten zu erscheinen", heißt es darin.
Auflage der Stadt
Dieses Schreiben, vor allem die Wortwahl, über die man heute schmunzeln würde, war die Geburtsstunde des Siedlervereins. Der vor 95 Jahren, am 9. Juli 1927 gegründet wurde. Mit dem Zweck, die gemeinsamen Interessen der Reichsheimstättensiedler zu vertreten und die Verhandlungen mit den städtischen Ämtern zu pflegen. "Die Gründung des Vereins war eine Auflage der Stadt. Quasi als Bindeglied zu den Siedlern", erklärt Hartmut Preßler, Schatzmeister des Vereins. Er sitzt am Tisch im Neu-Mayland, dem Pavillon an der Ecke Ludwig-Landmann-Straße/ Am Ebelfeld. Seit 2006 das Zuhause des Vereins, nachdem darin zuvor das Textilgeschäft von Anneliese Vollmond beheimatet war.
Vor Preßler liegt ein altes Buch, die Seiten sind vergilbt, der Deckel dunkelbraun und schwer. Es sind die handschriftlichen Protokolle der Sitzungen des Siedlervereins - von seiner Gründung bis zum Beginn des Nationalsozialismus, der auch bei den Siedlern vieles durcheinander brachte. Der Vorstand wurde abgeschafft, es gab lediglich noch einen Führer, der für Ordnung in der Siedlung sorgen musste. So wurde das Radfahren auf den Wegen verboten, es durfte kein Fußball gespielt werden. "Leider wissen wir aus dieser Zeit nicht mehr viel", sagt der Schatzmeister und klappt das Buch zu.
Dafür aber die älteren Bewohner, die nicht selten ihr ganzes Leben in der Siedlung verbracht haben. "Nach dem Krieg war es eine schlimme Zeit. Wir hatten nichts zu essen. Aber in der Siedlung war es immer schön. Von Anfang an. Es gab viele Familien, wenig Autos auf den Straßen. Stattdessen haben wir dort gespielt. Und der Siedlerverein gehört schon immer dazu", erinnert sich eine Bewohnerin. Ottilie Kochen, deren Mann viele Jahre im Verein engagiert war und im vergangenen Jahr verstarb, wohnt seit 1954 in der Siedlung Im Damaschkeanger, wo sie ihren Mann Günter kennenlernte, der dort geboren wurde und zweiter Vorsitzender war. Sein Vater Otto war bereits Kassierer, dessen Enkel Benedikt gab lange die Gartengeräte aus.
Bunt und fröhlich
"Unsere Familie ist nicht nur mit der Siedlung, sondern auch dem Verein fest verwurzelt. Wobei ich mich schon zu Beginn gefragt habe, wofür der Verein eigentlich notwendig ist", sagt Kochen. Eben weil er da sein musste, erklärt Preßler. Weil es das Reichsheimstättengesetz so vorgesehen hat. Entwickelt hat er sich aber zu einem wichtigen Ansprechpartner für die Siedler, bis heute. Auch wenn die Fragen früher andere waren. So waren es früher oft die vorgesehenen Fassadenfarben der Häuser - wie ochensblutrot oder weiß - die bei Renovierungen nicht eingehalten wurden. Mittlerweile ist die Siedlung, die übrigens nicht unter Denkmalschutz steht, bunt und fröhlich. Ottilie Kochen gefällt das.
Viel Macht, sagt Harald Preßler, habe der Verein aber nie gehabt. "Die Stadt hat uns Informationen gegeben, die wir an die Bewohner weitergeleitet haben. Mehr nicht." Und trotzdem hat sich der Verein immer mehr zu einer festen Institution entwickelt, der die Bewohner untereinander verbindet. Das war auch ein Grund, warum die zweite Vorsitzende Frauke Böttcher, die vor zwölf Jahren nach Praunheim zog, sich irgendwann ehrenamtlich im Verein engagierte.
"Ich finde den Gedanken schön, dass sich jeder, der in die Siedlung zieht, im Siedlerverein anmeldet. Vor allem jetzt, wo ein Generationenwechsel stattfindet. Es ziehen wieder mehr Familien hier hin", sagt sie. Zudem findet sie die Aktionen des Vereins wie die jährliche Pflanzentauschbörse oder Feste auf der Adlerwiese wichtig. Auch hat der Siedlerverein einen Gratulationsservice - Ehrenamtliche besuchen die älteren Bewohner, die einen runden Geburtstag feiern. Zudem gibt es regelmäßige Ausstellungen im Schaufenster des Neu-Maylandes, sowie Sprechstunden für die Mitglieder oder die Möglichkeit, Gartengeräte auszuleihen. "Diese vielen kleinen Dinge sind es, die eine Siedlung zusammenhalten", sagt Böttcher, die sich wünschen würde, wenn sich mehr der jungen Familien im Verein engagierten. Obwohl sie weiß, wie schwierig das ist. Sie ist auch erst dabei, seit die Kinder größer sind. "Wir müssen die Idee des Siedlervereins, der Gemeinsamkeit, weiterleben lassen," sagt Böttcher.
Die Menschen haben es verdient
Dem stimmt Hartmut Preßler zu. Sonst, sagt er, wäre es irgendwann das Ende des Siedlervereins. Was wirklich sehr schade wäre, mein Ottilie Kochen. Die Siedlung ohne Verein? Das könne sie sich "einfach nicht vorstellen". Deshalb, da sind sich die Praunheimer einig, gebe es eigentlich nur eines, was man dem Verein für die nächsten 95 Jahre wünschen könnte: Jede Menge Durchhaltevermögen. Weil er und die Menschen, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist, es verdient haben.
judith dietermann