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Die Geschichte des Arbeitersports hautnah erleben

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Finale Bundesmeisterschaften 1928 in Berlin vor circa 20 000 Zuschauern: ATSV Westend unterliegt Adler 08 Berlin 4:5. © Sammlung H. Roos

Arbeitersport oder Arbeiterfußball sind Begriffe, die schon fast vergessen sind. Dabei gibt es noch viele Vereine, die ihre Wurzeln dort haben. Die Wanderausstellung Der andere Fußball – 100 Jahre Arbeiterfußball – 125 Jahre Arbeitersport“ im Landessportbund erinnert daran.

Hessen/Frankfurt – In der Weimarer Republik, die den Arbeiterorganisationen neue Räume öffnete, wurde der Arbeiterfußball zu einer der wichtigsten Sparten im Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB). Man verstand sich als Gegenmodell zum bürgerlichen Sport, indem gegen Konkurrenz und Nationalismus, gegen Personenkult und Meisterschaftshatzen des DFB-Fußballs die Entwicklung von Solidarität und Internationalismus gesetzt wurden.

Nach der Erstinstallation im Deutschen Fußballmuseum gastiert die Wanderausstellung „Der andere Fußball – 100 Jahre Arbeiterfußball – 125 Jahre Arbeitersport“ von heute an bis zum 31. Januar in der Frankfurter Sportschule des Landessportbundes Hessen. Sie kann täglich besucht werden, der Sportkreis Frankfurt bietet begleitete Gruppenführungen an, die BildungsArena Eintracht Frankfurt zudem Führungen für Schulklassen (ab 9. Klasse), Jugendeinrichtungen und Fußballfans.

Vom Beginn des Arbeitersports bis zu seiner Zerschlagung durch den NS-Faschismus 1933

Auf 17 Roll-ups und zwei Wänden wird der Beginn des Arbeitersports bis zu seiner Zerschlagung durch den NS-Faschismus 1933 dargestellt. Hervorgehoben sind Höhepunkte wie die Internationalen Arbeiterolympiaden, Meisterschaftsrunden, die erste Europameisterschaft, aber auch das bis heute durchaus moderne Spielsystem des Arbeiterfußballs. Weitere Themen sind große Spielerpersönlichkeiten, schließlich auch die Spaltung der Bewegung in sozialdemokratische und kommunistische Organisationen, Verfolgung durch und Widerstand gegen den NS-Faschismus. Der Abdruck von Zeitungen und Plakaten vermittelt einen Eindruck der linken grafischen Experimentierfreude der 1920er Jahre.

Zehn Vereine in Frankfurt beziehen sich auf ihre Arbeitersportvergangenheit

Zwei der Aufsteller beleuchten den Hessischen Fußball des Arbeitersports, noch heute beziehen sich circa 125 Vereine auf diese Wurzeln. Gerade in Hessen hat die Ausstellung eine besondere Bedeutung, wurde der Landessportbund doch maßgeblich von ehemaligen Arbeitersportlern gegründet, die die Umsetzung ihrer Ideale nach den Erfahrungen des Faschismus in der einheitlichen Sportorganisation sahen.

In Frankfurt beziehen sich zehn Fußballvereine auf ihre Arbeitersportvergangenheit: SG Frankfurt-Westend (ASV Frankfurt 96), TSG Fechenheim 1860 (FT Fechenheim 04), SG Griesheim (FTSVgg Griesheim), TSG 1888 Nieder-Erlenbach Frankfurt (SV 06 Nieder-Erlenbach), TSG Niederrad 1898 (FT Frankfurt Abt. IV Niederrad), FT Oberrad 07, SG Praunheim 1908 (FT Praunheim 1908), SG Riederwald (SV Vorwärts Riederwald), SV 1894 Sachsenhausen (FSV 1894 Frankfurt/Main-Sachsenhausen) und SG Sossenheim (FT Sossenheim).

Über die historische Darstellung hinaus will die Ausstellung mit der Aktualisierung der Elemente, Werte und Ziele des Arbeiterfußballs Anregungen für aktuelle Positionierungen im Fußball, Positionierungen gegen die zunehmende Rechtsentwicklung geben. So stellt sich die Veranstaltung am 24. Januar auch in den Rahmen des bundesweiten Aufrufs “!Nie wieder – Erinnerungstag im deutschen Fußball“. Neben der historischen Darstellung des hessischen Arbeiterfußballs ist sie eine Würdigung der widerständischen und im Faschismus verfolgten Arbeitersportler.

Die organisierte Arbeiterbewegung sportlicher Art gab es seit 1893. Zunächst turnte man sehr gerne. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Arbeiterfußball populär. Er wurde der Antagonist des DFB, auch als Rotsport bezeichnet. Man spielte ohne Entlohnung und pflegte Werte wie Fairness, Frieden schaffen, Anstand, die Förderung der Gesundheit, die Befreiung der Arbeiterklasse, Solidarität, Integrationsförderung sowie antifaschistische Ansichten.

Im Arbeitersport gab es keine Heldenverehrung

Heldenverehrung war nicht erwünscht. Die Namen der Spieler waren wenig bekannt. Man wählte die bewusste Abgrenzung zu bürgerlichen Vereinen. Im Pritschenwagen fuhr man zum Platz und musste sein Fahrtgeld selbst bezahlen. Damals war Gesellschaft politisch schwierig, ähnlich wie heute.

Von der bürgerlichen Presse wurde man bekämpft. So berichteten eigene Presseorgane über das Geschehen. Man spielte gerne mit einem 1-2-3-5- System, für heute eher ungewöhnlich offensiv. Ebenso ungewöhnlich war die Tatsache, dass man Arm in Arm auf den Platz kam oder Elfmeter absichtlich verschoss. Man bevorzugte das körperlose Spiel.

Ein prominenter Vertreter des Arbeiterfußballs war Erwin Seeler (SC Lorbeer 06 Hamburg), der Vater von Kicker-Legende Uwe Seeler. Mit seinem Klub gewann er 1929 und 1931 die ATSB-Bundesmeisterschaft. Es gab Olympiaden mit Tausenden von Teilnehmern in Wien und Frankfurt. Der ATSB wurde vom DFB lange nicht richtig beachtet. Erste Spiele gegen ehemalige Feinde wie England und die Sowjetunion fanden lange vor offiziellen DFB-Begegnungen statt.

Heute ist die Recherche zu dem Thema schwierig. Der Arbeiterfußball wurde durch die Nationalsozialisten 1933 verboten und alle Immobilien und Sportplätze enteignet, Werte von rund 25 Millionen Reichsmark. Vereinsunterlagen und Fotos hat man verbrannt, die Europameisterschaft (1932-1934) abgebrochen. Viele Spieler wechselten nach dem Verbot 1933 zu DFB-Vereinen.

Ausstellung

Landessportbund Hessen, Otto-Fleck-Schneise 4, vom 11. bis 31. Januar.

(red)

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