Frankfurts Sicherheitsdezernentin: „Ordnungsrechtlich sind wir im Bahnhofsviertel durch“
Im Interview spricht Frankfurts Sicherheitsdezernentin Annette Rinn (FDP) über Cracksucht, fehlende Toiletten und den Opportunismus der CDU.
Frankfurt – Die Corona-Pandemie und der Umbau der B-Ebene des Frankfurter Hauptbahnhofs haben die Probleme des Bahnhofsviertels nicht nur verstärkt, sondern auch verstärkt sichtbar gemacht. Wirklich viel verändert hat sich seitdem in den Augen der Öffentlichkeit nicht. Redakteurin Sarah Bernhard sprach mit Sicherheitsdezernentin Annette Rinn (FDP) darüber, ob das stimmt, warum die Cannabislegalisierung auch Cracksüchtigen hilft, und über die wundersame Wandlung der Frankfurter CDU in der Drogenpolitik.
Frau Rinn, wieder ist ein Jahr vergangen, in dem sich im Bahnhofsviertel gefühlt nicht viel zum Besseren verändert hat.
Das stimmt nicht. Seit vergangenen Dezember arbeiten wir dezernatsübergreifend eng zusammen. Vor allem das Sozial-, das Gesundheits- und mein Dezernat, aber auch die Kollegen von Wirtschaft, Planung und Umwelt. Da ist einiges passiert an internen Terminen.
Aber eben nicht nach außen.
Es gibt viele Beteiligte, die wir unter einen Hut bringen wollen, zum Beispiel Stadt- und Landespolizei, Drogenhilfeeinrichtungen und Gewerbevereine. Und es gibt ja nicht nur die Drogenszene, sondern auch Obdachlosigkeit, Alkoholsüchtige, Partys bis in die frühen Morgenstunden, alles hängt mit allem zusammen. Viele Dinge gehen auch nicht von heute auf morgen. Beispielsweise ist die Arbeit bei OSSIP anspruchsvoll, da ist die Personalgewinnung nicht ganz so leicht. Aber ich denke, was die Menschen im Moment am meisten stört, sind die verelendeten Drogenabhängigen, und da haben wir bereits diverse Maßnahmen ergriffen.
Zum Beispiel?
Wir haben die Öffnungszeiten des Nachtcafés verlängert, das Streetworking ausgeweitet und das Angebot an Notschlafbetten nachts, aber auch tagsüber erweitert. Cracksüchtige schlafen nämlich nicht nur nachts, sondern immer mal zwei oder drei Stunden, dann sind sie wieder unterwegs.

Frankfurts Sicherheitsdezernentin Rinn: „Vieles hat sich verbessert, seit man mehr Polizei sieht“
Das erklärt immerhin, warum mehr Menschen auf der Straße liegen als früher. Was haben Sie noch fürs Viertel getan?
Wir haben die Einsatzkräfte der Stadtpolizei in den Wasserstraßen in etwa verdoppelt, sowohl in Uniform als auch in zivil. Und auch die Landespolizei hat ihre Einsatzkräfte massiv verstärkt, viele Kontrollen durchgeführt, und die Rückmeldung bekommen: Vieles hat sich verbessert, seit man mehr Polizei sieht. Außerdem prüfen wir eine Waffenverbotszone, die in den Nachtstunden gelten soll.
Aber eine öffentliche Toilette gibt es immer noch nicht.
Wir planen sowohl zusätzliche Toiletten und Dusch- und Waschmöglichkeiten in den Hilfeeinrichtungen als auch eine öffentliche Toilette.
Die im Toilettenkonzept allerdings eher vage bleibt, im Gegensatz zu vielen anderen Toiletten, für die schon konkrete Planungen vorliegen.
Eines der Probleme ist, dass die Standortfrage noch nicht gelöst ist. Ich denke, die Toilette muss da sein, wo die Musik spielt, also eher in den Wasserstraßen als hinter dem Bahnhof. Aber wo?
Zur Person
Annette Rinn studierte Anglistik, BWL und Amerikanistik an der Goethe-Universität, bevor sie zusammen mit ihrem Bruder die Firma ihrer Eltern in Preungesheim übernahm. Zum ersten Mal politisch aktiv wurde die Ur-Frankfurterin 1993 im dortigen Ortsbeirat 10. Von 2001 bis 2011 war sie Stadtverordnete für die FDP, ab 2007 zusätzlich Fraktionsvorsitzende und Geschäftsführerin. Seit September 2021 ist die 62-Jährige Dezernentin für Ordnung, Sicherheit und Brandschutz. Sie lebt mit ihrem Lebensgefährten in Preungesheim. (sab)
Frankfurts Sicherheitsdezernentin Rinn: „Es wird sogar fast permanent gereinigt“
Dabei hatte Bernd Reisig doch schon zugesagt, einen Toilettenwagen aufzustellen.
Wir haben das geprüft. Aber eine öffentliche Toilette im Bahnhofsviertel muss rund um die Uhr sehr gut überwacht werden, weil Drogensüchtige viele Dinge einfach hineinwerfen und die Toiletten sonst ständig verstopft wären. Das zu gewährleisten, würde Millionen kosten. Deshalb erhoffe ich mir am meisten von den Toiletten in den Drogenhilfeeinrichtungen. Immerhin hat der Magistrat erkannt, dass das Problem sehr drängend ist und auf den Weg muss.
Vermüllt ist das Viertel auch immer noch. Warum?
Wissen Sie, es gibt Leute, die kommen zu mir und sagen: ,Reinigt da doch mal täglich!‘ Ach! Das machen wir, es wird sogar fast permanent gereinigt, aber es wird genauso schnell wieder dreckig. Einen großen Teil zum Müllproblem trägt bei, dass Müllcontainer zu falschen Zeiten draußen stehen und dann durchwühlt werden. Das ist nicht erlaubt, aber Sie müssen mit Ordnungskräften daneben stehen, wenn es jemand macht, um es sanktionieren zu können. Das ist ein bisschen kompliziert. Genauso gibt es auch Gewerbetreibende und Restaurantbesitzer, die drinnen fegen und den Müll dann auf die Straße kehren. Auch da muss man dann aber nebendran stehen.
[Rinn überlegt, ringt mit sich.]
Und außerdem haben wir ein Problem, wenn Menschen kostenlos Essen oder Kleidung verteilen. Die Leute wollen dankbare Augen sehen, aber das ist eine völlig falsch verstandene Form der Nächstenliebe. Die kommen teilweise mit Koffern voller Klamotten. Und Drogensüchtige nehmen erstmal alles, was sie kriegen können, auch wenn sie es gar nicht brauchen. Der Rest liegt dann herum. Laut FES werden auch etwa 80 Prozent des gespendeten Essens weggeschmissen. Und selbst wenn es gegessen wird, ist es kontraproduktiv, weil man die Menschen mit Essen in die Hilfeeinrichtungen locken kann, wo man dann auch mal sagt: Geh duschen oder zum Arzt.
Wieso muss man die Menschen denn überhaupt locken? Sollten die nicht froh sein, wenn sich jemand kümmert?
Das kann unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht ist ihnen dort mal etwas geklaut worden oder Frauen haben schlechte Erfahrungen gemacht. Hilfe nicht annehmen zu können, ist oft auch Teil der Suchterkrankung. Bei Crack kommt noch dazu, dass es nur etwa 20 Sekunden dauert, eine Crack-Pfeife zu rauchen. Dazu muss man nicht in eine Einrichtung, das geht in einem Hauseingang. Und wir können keinen, der es nicht will, in eine Einrichtung zwingen. Jeder Mensch darf im Bahnhofsviertel stehen und elend aussehen, wenn er das will. Solange er nicht zum Beispiel auf die Straße uriniert, haben wir keine Handhabe.
Frankfurts Sicherheitsdezernentin Rinn: „Crackabhängige sind da, wo sie Crack kriegen“
Einer der großen Unterschiede zum „Züricher Modell“, über das alle so gerne reden.
Richtig. In der Schweiz darf die Polizei die Drogenabhängigen zum Beispiel auch dem Bürgermeister der Heimatgemeinde vor die Tür setzen. Hier ist das Freiheitsberaubung. In Zürich wird außerdem der sogenannte Ameisenhandel toleriert, also das Dealen mit Kleinstmengen in den Einrichtungen. Das ist klug, denn Crackabhängige sind da, wo sie Crack kriegen: Dort in den Einrichtungen, hier auf der Straße. Denn bei uns ist Ameisenhandel rechtlich nicht möglich. Aber der Magistrat ist bereits im Austausch mit dem Bundesdrogenbeauftragten, um da was hinzukriegen.
Das gilt genauso für das Thema Cannabislegalisierung.
Genau. Eine Legalisierung würde nicht nur die Polizei entlasten, die endlich effektiver gegen harte Drogen vorgehen könnte. Wir hatten in Frankfurt vor Kurzem auch eine Crack-Tagung, die unter anderem gezeigt hat, dass bei Crack-Abhängigkeit eine medikamentöse Behandlung mit Cannabis sinnvoll sein kann. Man geht davon aus, dass die Menschen ruhiger werden und nicht mehr so schnell die nächste Pfeife brauchen.
Das würde auch das Aggressionslevel senken, das durch den gestiegenen Beschaffungsdruck und die Auswirkungen der Droge im Gehirn ja ebenfalls gestiegen ist.
Richtig. Aber auch das ist momentan gesetzlich noch nicht möglich. Man müsste den rechtlichen Rahmen schaffen und dann ein Pilotprojekt starten. Frankfurt ist eine der Städte, in denen ein solches Projekt am dringendsten wäre.
Unter den Gewerbetreibenden des Viertels ist gerade eine gewisse Euphorie spürbar, weil das Drogenreferat und die Frankfurter Polizei dank deren neuen Leitern nun, „endlich gut zusammenarbeiten“ sollen. Ist Ihnen das auch aufgefallen?
Der neue Polizeipräsident Stefan Müller setzt tatsächlich einen sehr großen Fokus aufs Bahnhofsviertel, genauso wie Artur Schroers, der Leiter des Drogenreferats. Und auch wir als Magistrat haben den großen Vorteil, dass wir uns verstehen und uns einig sind. Der Ameisenhandel beispielsweise war mit der CDU nicht zu machen. Wenn man dann einen Termin hatte und die Magistratsmitglieder sich gegenseitig widersprachen, war das nicht zielführend.
Das Bahnhofsviertel gilt in Frankfurt als Problembezirk – und als beliebter Wohnort. Das könnte sich ändern, wenn die Stadt der Verwahrlosung keinen Einhalt gebietet.
Frankfurts Sicherheitsdezernentin Rinn: „Ordnungsrechtlich sind wir mehr oder weniger durch“
Moment, die CDU hat doch immer für den „Züricher Weg“ geworben und vor kurzem in einem Antrag den Ameisenhandel sogar gefordert.
Ja, eine erstaunliche Kehrtwende der Frankfurter CDU, nicht? Die Partei hat bisher immer den christlich-humanistischen Ansatz vertreten, dass die Leute primär gesund werden sollen. Ich halte das ja schon immer für ein bisschen wirklichkeitsfremd. Und jetzt fordern sie auch noch, in den Einrichtungen „zunächst die baulichen Voraussetzungen“ für den Ameisenhandel zu schaffen. So ein Quatsch! Erst müssen doch erst die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die CDU wirft der Stadtregierung außerdem vor, immer nur auf andere zu verweisen und selbst nichts zu tun. Tun Sie doch mal was, Frau Rinn!
Natürlich könnten wir das Problem ordnungspolitisch lösen, da wären wir in vier Wochen durch. Aber Frankfurt ist verkehrstechnisch extrem gut angebunden. Es ist einfach zu geschickt, wenn ich hier ankomme, meine Drogen auch gleich hier zu verkaufen. Die Szene würde sich also einfach in einen anderen Stadtteil verlagern und das würde nichts helfen. Und noch mehr kontrollieren können weder die Ordnungs-, noch die Landespolizei, weil sonst andere Bereiche vernachlässigt würden. Ordnungsrechtlich sind wir also mehr oder weniger durch.
Deshalb müssen wir die Menschen stattdessen in die Hilfseinrichtungen bringen. Auch das ist übrigens ein wichtiger Bestandteil des SIP Zürich: Es wurde sehr viel Geld- in Sozial- und Gesundheitspolitik gesteckt. Bei uns ist in diesem Jahr viel gemacht worden, aber die Probleme sind schneller gewachsen als die Hilfen. Da sehe ich aber auch Land und Bund in der Pflicht, weil nur etwa die Hälfte derer, die die Einrichtungen nutzen, aus Frankfurt kommt.
Zum Schluss ein anderes Problem: Im Bahnhofsviertel eröffnen immer mehr Kioske, für Süchtige und Partyvolk ist Alkohol rund um die Uhr verfügbar. Kann man da eingreifen?
Das haben wir schonmal für die Nordendplätze geprüft, aber jegliches Alkoholverbot oder die Einführung einer Sperrstunde könnte und würde sicherlich sofort beklagt werden. Und das wollen wir ja auch eigentlich gar nicht, es gibt im Bahnhofsviertel eine tolle Gastroszene, es soll ein lebendiges Viertel bleiben.
Was wollen Sie denn dann?
Vor Kurzem wurde James Ardinast bei einer Veranstaltung gefragt, wie er sich das Bahnhofsviertel wünscht. Seine Antwort: So, wie es vor fünf Jahren war. Das halte ich für ein realistisches Ziel.