Beim ihm erwacht Stadtgeschichte zum Leben

Mirco Becker betreibt auf Instagram einen Kanal zur Frankfurter Historie - und hat mehr als 16 000 Follower.
Frankfurt. Die Rivalität zwischen Frankfurt und Offenbach ist legendär, obwohl wahrscheinlich nur wenige Menschen die Gründe für die Spannungen kennen, die sich nicht nur auf den Fußballsport beschränken. Tatsächlich stritten beide Städte schon im Mittelalter übers Burgrecht, hatten später konkurrierende Messen, und auch ein freilaufender Hund soll einst für Verstimmung gesorgt haben.
Das zumindest schreibt Mirco Becker im sozialen Netzwerk Instagram. Auf dem Geschichtskanal „Damals in Frankfurt“ postet er dort zur Stadtgeschichte und versorgt seine 16 200 Follower mit Beiträgen über die Genese von Plätzen, Straßen und Bauwerken, erklärt die Entwicklung bestimmter Stadtteile oder fasst wichtige Ereignisse zusammen. Der Beitrag über den Städtezwist am Main ist sein bisher erfolgreichster. Mehr als 1000 Nutzer drückten „Gefällt mir“.
Warum Vergangenheit nicht egal ist
Seit wann ist der Römerberg bebaut, was stand früher einmal auf dem Gelände der Paulskirche und wie entwickelte sich die Zeil zur einkaufsstärksten Straße Frankfurts - Antworten auf diese und viele weitere Fragen sowie unzählige historische Bilder gibt es auf Beckers Kanal. „Ich finde es wichtig, ein Verständnis für die Geschichte der Stadt zu schaffen“, sagt er. Die Vergangenheit sei nicht egal. „Zusammenhänge von heute kannst du nur verstehen, wenn du weißt, wie es dazu kam“, findet der 34-Jährige.
Mit dieser Erkenntnis startete seine Reise durch die Stadtgeschichte. Am Anfang stand ein heruntergekommenes Haus an der Arnsburger Straße/Ecke Habsburgerallee. Oft kam Becker an der spätklassizistischen Stadtvilla vorbei und fragte sich stets dasselbe: „Warum wohnt hier niemand?“ Er begann zu recherchieren und tauchte immer tiefer ein in die Geschichte des Hauses und seines Erbauers, des jüdischen Nähmaschinenfabrikanten Joseph Wertheim - einst der größte Arbeitgeber in Bornheim. „Ich fand das spannend. Wenn man sich damit beschäftigt, wird klar, was für eine Geschichte dahintersteckt“, sagt Becker.
Von der Villa Wertheim und dem Fabrikgelände kam er schnell auf andere Themen und Aspekte der Geschichte Frankfurts. Becker recherchierte im Internet, las viel Literatur, ging in Stadtteilarchive oder das Institut für Stadtgeschichte. Nicht mit einem konkreten Hintergedanken, sondern weil es ihn interessierte. Rund sechs Jahre ist das her. Im Laufe der Zeit reifte der Gedanke, seine Recherchen mit anderen zu teilen. „Ich wollte das einer breiteren Zielgruppe zur Verfügung stellen“, erklärt er. Becker bereitete seine Notizen digital auf. Er will auch junge Menschen für Geschichte begeistern - und die „sind heutzutage im Netz unterwegs“. Im vergangenen Juni lud er den ersten Beitrag hoch. Viele folgten, denn sein Arbeitspensum ist enorm. Pro Tag erscheinen vier neue Beiträge in verschiedenen Kategorien. Zu schaffen ist das für den Unternehmensberater, der seinen Kanal neben dem Beruf betreibt, nur mit eiserner Disziplin. Jeden Tag steht er um Viertel vor vier Uhr morgens auf und geht „erst einmal laufen. Danach setze ich mich dann direkt ins Büro und arbeite drei bis vier Stunden für den Channel“.
Ein Puzzleteil, das bisher gefehlt hat
Was sich nach einem zweiten Job anhört, macht er aber gerne. Becker lacht. „Das fühlt sich nicht nach einem Job an. Das ist mein Hobby“, sagt er und spricht von einem Puzzleteil, das ihm vorher in seinem Leben gefehlt habe. „Es ist einfach erfüllend, mich morgens damit zu beschäftigen.“ Angst, dass ihm bei einem solchen Tempo die Themen ausgehen, hat er nicht. Er ist überzeugt: „Theoretisch ist ja schon der gestrige Tag Geschichte. Da schlummert noch so viel.“
Herzstück des Kanals sind unzählige historische Fotografien. Mehrheitlich verwendet Becker gemeinfreie Bilder, aber für manche fallen auch Lizenzgebühren an. Für einen Beitrag übers WM-Halbfinale 1974 im Waldstadion bezahlte er mehr als 200 Euro. Deshalb verkauft er die historischen Motive auch online als Drucke oder Postkarten und wird im Juni zudem einen Frankfurter Geschichtskalender herausgeben. „Die Einnahmen gebe ich vollständig für Lizenzgebühren aus, und der Rest geht als Spende an die Stadtteilarchive“, versichert er. Mit letzteren arbeitet er eng zusammen und weiß daher, dass dort vieles noch analog läuft und das Geld für eine Digitalisierung der Archivalien fehlt. Das sei aber wichtig für „die nachfolgenden Generationen“. florian neuroth