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Traditionsladen in Frankfurt: Beim Musch trifft sich der ganze Stadtteil

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Von: Friedrich Reinhardt

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Für das Foto ist Klaus-Peter Musch (links) von seinem Platz aufgestanden. Kunde Michael Brosig kommt fast täglich vorbei. FOTO: Reinhardt
Für das Foto ist Klaus-Peter Musch (links) von seinem Platz aufgestanden. Kunde Michael Brosig kommt fast täglich vorbei. © Friedrich Reinhardt

In dem kleinen und urigen Zeitungsladen von Klaus-Peter Musch in Frankfurt lebt noch eine seltene Form des Miteinanders.

Frankfurt - Früh morgens, kurz nach sieben Uhr, geht es bei Musch zu wie abends am Tresen. Frau Demuth tritt hinter die Theke des kleinen Geschäfts an der Eckenheimer Landstraße und zieht sich ihren zweiten Kaffee selbst. Bevor sie ihren Friseursalon öffnet, kommt sie auf ein Zigaretten-Kaffee-Frühstück vorbei. Sie redet schnell und viel für die Tageszeit. Über die gesperrte Steinkleestraße und die Autos, die gegen die Einbahnstraße in die Engelthaler fahren. „Mich würde es so freuen, wenn die da mal kontrollieren würden.“

Währenddessen kommt Herr Klaus, um sich eine Zeitung zu holen. Am Ausgang quatscht er sich mit Muschs Frau und einer Freundin fest. Die drei reden über Eckenheim, wie es früher war, wer wann wo gewohnt hat. Frau Trösch kommt herein, legt wortlos ihren Lottoschein auf den Tresen. „Monstergewinn“, sagt Klaus-Peter Musch. „Sechs Euro“. Trösch nickt. „Na das ist doch besser als nichts.“ Frau Demuths zweiter Kaffee ist leer. Sie drückt die Zigarette aus. Tritt hinter den Vorhang an der Theke, kommt mit Bürste und Spray zurück. Sie kämmt Musch die dünnen Haare. Der hält kurz inne, lässt es geschehen. Dann sortiert er weiter die Abo-Werbung aus den Zeitschriften heraus, weil er an Abos nichts verdient. Frau Demuth muss los. „Machen Sie’s gut, Herr Musch.“ Trotz der Vertrautheit siezen sich die beiden.

Der Zeitungsladen von Klaus-Peter Musch ist eine Institution und ein Überbleibsel einer vergangenen Epoche des Eckenheimer Wirtschaftslebens. 1952 hatte Muschs Mutter das Geschäft auf der gegenüberliegenden Straßenseite eröffnet. „Sie hatte einen kleinen Hocker für die Kunden am Tresen stehen“, erzählt er.

Frankfurt: Anonyme Einkaufshallen verdrängen kleine Geschäfte

Kunden waren regelrecht eingeladen, sich festzuquatschen, erzählt Musch, der auch ein Ur-Fastnachter ist. Früher hat er für den Hessischen Rundfunk die Inthronisation des Fastnacht-Prinzenpaars kommentiert.

Die Eckenheimer Landstraße war mal eine Einkaufsstraße. An der Ecke zur Engelthaler gab es die Metzgerei Maurer, daneben das Lebensmittelgeschäft Baumann, gegenüber das Textilgeschäft Karl und daneben das Fischgeschäft Weber. Spätestens ab den Achtzigern verdrängen Supermärkte die kleinen Geschäfte. Heute gibt es in diesem Teil der Eckenheimer nur noch die Buchhandlung von Dinu Popa und eben Muschs Zeitungsladen.

Mit den kleinen Geschäften ist auch eine Form des Miteinanders im Stadtteil seltener geworden. Räume, in denen getratscht und gequatscht wurde, Neuigkeiten im Buschfunk die Runde machten, sind verschwunden. Verdrängt von anonymen Einkaufhallen, in denen die schnellsten Kassierer die besten sind.

Zeitungsladeninhaber Musch in Frankfurt: Für jeden ein gutes Wort

„Mit Stempel, bitte“, sagen einige Kunden in Muschs Laden, wenn sie die Zeitungen auf den Tresen legen. Sie sind auf dem Weg in den Supermarkt, da gibt es die gleichen Zeitschriften zum selben Preis. Dennoch kommen sie für die bunten Hefte wie „Tina“, „Lisa“ oder „Bild der Frau“ erst zu Musch. Hier bekommen sie etwas, das in keinem Supermarktregal zu finden ist.

Für fast jeden Kunden hat Musch eine persönliche Frage, mit dem er ein kurzes Gespräch eröffnet. Einen fragt er, ob der Riss in seiner Hauswand größer geworden ist, den nächsten nach dem Eintracht-Spiel. Eine Kundin fragt Musch nach einem Nachbarn: „Hast du den zuletzt mal gesehen?“ „Nee“, antwortet sie. Plötzlich steht Sorge im Verkaufsraum. Sie wolle mal bei ihm anrufen, nachschauen, ob alles in Ordnung ist. „Wenn man jemanden jeden Tag sieht und dann plötzlich nicht mehr, dann macht man sich Sorgen“, sagt Musch. Zu der Form des Miteinanders in seinem Laden gehört auch, dass Menschen aufeinander aufpassen.

Zeitungsladen in Frankfurt: „Das Persönliche, nicht dieses Maschinelle“

Auch Michael Brosig lässt sich die Zeitschriften stempeln. Für zwei Nachbarinnen gehe er einkaufen. Vorher trinkt er bei Musch einen Kaffee. Mindestens zweimal die Woche sei er hier. „Nee, mehr. Eigentlich jeden Tag.“ Er witzelt mit Musch über die Werkstattmechaniker, die keine Ahnung von seinem kleinen, dreirädrigen Auto hätten. Zu denen müsse er jetzt fahren. Eine Stunde später kommt er wieder. Weil er vergessen habe, 20 Cent zu zahlen. Er bleibt noch für einen Kaffee.

Das Telefon klingelt. Margarete Sopp ist dran. Die 94-jährige Kundin hat gehört, dass ein Reporter vorbeikommt. Da müsse sie etwas loswerden. Jeden Tag sei sie bei Musch, nur heute könne sie nicht wegen eines Arztbesuchs. Sie kaufe Karten und Geschenke. Was den Laden für sie ausmache? „Das Persönliche, nicht dieses Maschinelle.“ (Friedrich Reinhardt)

Ein weiterer Traditionsladen in Frankfurt: Im Kiosk von Sigrid Fischer in Sachsenhausen wird der Traum von der großen, weiten Welt neben Zeitschriften und Lotto wahr.

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