Bembel, Deckel und Geschichten

Sammler hat über 200 Krüge - Von einem Apfelweindoktor, der das Stöffche mit Milch versetzte
Wer bislang noch zweifelte, kann sich nun sicher fühlen: Ebbelwei ist wirklich eine Medizin. „Denn der Apfelweindoktor Petsch hat im 19. Jahrhundert tatsächlich auf die Heilkunst des Stöffches geschworen und damit sogar in Berlin Karriere gemacht“, erklärt Stefan Krämer (58) augenzwinkernd. Auch wenn Petsch sich dafür so manches Mal rechtfertigen musste und dabei ordentlich zur Kasse gebeten wurde.
Postkarten und Gerippte
Krämer muss es wissen, denn zu seiner hauseigenen Frankfurter Ebbelweisammlung mit über 200 Bembeln sowie zahlreichen Gerippten, Schoppedeckeln, Postkarten, Apfelweinzeitungen, Büchern und sonstigen Kunstwerken zählt auch ein antiquarisches Büchlein „Licht und Wahrheit, Gebiete der praktischen Heilkunde“, das dem Doktor dereinst „über die heilsamen Wirkungen und segensreichen Folgen unverfälschten Apfelweins“ gewidmet wurde.
Liebevoll hat Krämer Pechts Karriere und Prozesse sowie die Geschichte früherer Apfelweingaststätten wie der Bornheimer „Eulenburg“ auf seiner Homepage https://ebbelwoi-frankfurt.de/ veröffentlicht. Er wohnt im westlichen Gallus, nicht gerade ein Hotspot Frankfurter Apfelweinkultur. „Doch ich bin in Unterliederbach aufgewachsen, mein Opa hat noch selber gekeltert und ich hab als junger Bursch im Höchster ,Deutschen Haus’ Äpfel und Trester geschleppt, um mir etwas dazuzuverdienen“, sagt er.
Derzeit hat er seine Sammlung jahrhundertealter Krüge, Gerippter und Bronzefiguren in Gestalt von Wirten noch in seinem Arbeitszimmer aufgebaut. Darunter auch so manche Kuriosität wie ein goldener Bembel, den er vor drei Jahren mit einer befreundeten Goldschmiedin veredelte, und ein großes, bembelähnliches Gefäß, das mit seiner Aufschrift „Nobel Kaffee“ wohl eher einem traditionellen Kaffeehaus im Ruhrgebiet zuzuordnen ist.
„Ich war früher auch bei der Freiwilligen Feuerwehr, da wurde viel Bier getrunken. Doch ich spürte bald, dass das mein Magen nicht so gut verträgt und bin dann schnell zum Apfelwein zurückgekehrt“, erinnert sich der frühere Rettungssanitäter.
Sein Hobby begann vor 13 Jahren mit dem Erbe der elterlichen Bembelsammlung, die er systematisch bei Antiquaren, auf Flohmärkten und im Internet erweiterte: Die ältesten Krüge stammen nach seiner Schätzung aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, manche davon mit schmaler Öffnung und bauchiger Form wurden wohl auch für Wein oder andere Zwecke verwendet.
Hier beginnt für den Sammler eine echte Herausforderung: „Denn das Alter für die Krüge oder Gläser genauer einzugrenzen, ist häufig schwer, da weder ein Herstellungsjahr noch ein Markenzeichen eingraviert wurde“, räumt er ein. Denn Geschichte und Geschichten, das fließt beim Stöffche oft regelrecht ineinander über. Ebenso die Grenzen zwischen Original und Fälschung sowie hochwertiger Handtöpferei und Keramik, die eher in Serie am Fließband produziert wurde.
Heinz Schenk und der Blaue Bock
„Da muss man bei Bembeln von der Fernsehserie Zum Blauen Bock schon genauer hinschauen, um zu erkennen, ob sie mit Unterschriften von Otto Höpfner und Heinz Schenk wirklich als Einzelstücke hergestellt und handsigniert wurden“, räumt Krämer ein. Apropos: Wann und wie diese Sendung zu ihrem Namen kam - nach Zeitzeugenberichten soll das Sachsenhäuser Lokal „Zum Grauen Bock“ dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben - gehört ebenfalls zu Krämers Forschungsthemen.
Parallel wächst die Sammlung an Schriftzeugnissen, wozu neben historischen Postkarten und Reklamemarken auch eine Frankfurter Apfelweinzeitung von 1987 mit Geschichten rund ums Stöffche gehört. „Lange konnte sie sich leider nicht halten“, stellt Krämer fest. Außerdem recherchiert er neue Informationen zur Geschichte des Stöffches als einfachen, urwüchsigen Streuobstwein, der seinen Siegeszug als Frankfurter Kultgetränk erst allmählich ab dem 16. Jahrhundertbegann. Zu den historischen Kuriositäten auf der Internetseite zählt auch ein rekordverdächtiger Betonbembel in Neu-Isenburg, der 1931 vor der Gaststätte „Zur Erholung“ aufgestellt und 1971 saniert wurde. „Seinen 50. Geburtstag erlebte er noch, aber danach stürzte er dann ein“, bedauert Krämer. Vorerst will er sich in seiner Wohnung ein Ebbelwei-Stübchen einrichten. „Wenn eine der Wirtschaften, in denen ich gerne meine Leute treffe, meine Bembel ausstellen könnten, wäre das toll.“ Ob Krämer schon mal ein Rezept des Apfelweindoktors ausprobiert und sein Stöffchen mit frischem Quellwasser und Milch aufgegossen hat? Krämer schüttelt lachend den Kopf: „Nein, so krank kann ich gar nicht werden.“
Gernot Gottwals