Christina Klose: "Die Männer haben sich geändert"

Die 68er wehrten sich gegen alte Autoritäten. Doch auch ihre eigene Bewegung war zunächst männerdomniert, die Frauen mussten sich ihre Mitsprache erst erkämpfen. Die 72-jährige Frankfurterin Christiana Klose erinnert sich an diese Zeit, die ihr ganzes Leben geprägt hat.
Bevor die Tomaten flogen, war die Rollenverteilung noch klar. „Die Männer machten die Revolution, die Frauen durften Flugblätter kopieren und sie verteilen. Das war eine Einstellung, die anfangs in der 68er Bewegung durchaus verbreitet war“, erinnert sich die Frankfurterin Christiana Klose. Doch das bleibt nicht so.
Am 13. September ist sie dabei, als die Feministin Sigrid Rüger auf der Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Frankfurt aus Protest Tomaten auf den Aktivisten Hans-Jürgen Krahl wirft. Denn die Männer wollen das Thema der Diskriminierung der Frau einfach übergehen. „Eine Befreiung der Gesellschaft ohne die Selbstbestimmung der Frau ist nicht möglich“, ist Christiana Klose ebenso überzeugt wie Rüger. Ihr Engagement für die Emanzipation, direkt aus der 68er Bewegung geboren, wird zum Leitmotiv ihres Lebens.
Fasziniert vom Verstoß gegen die Regeln ist die heute 72-Jährige schon früh – und vielleicht liegt es auch daran, dass sie heute immer noch viel jünger wirkt. „Ich bin aus der Klosterschule rausgeflogen, weil ich mich geweigert habe, an den Schulmessen teilzunehmen“, erzählt sie mit einem verschmitzten Lächeln.
Noch in Köln wird sie durch die sozialistische Jugendorganisation „Die Falken“ und die Ostermarsch-Bewegung politisiert. Und obwohl ihr katholisches, bildungsbürgerliches Elternhaus dieser Entwicklung mit Toleranz begegnet, möchte sie selbständig sein und ihr eigenes Leben führen – in Frankfurt.
Sie studiert bei den Sozialphilosophen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Jürgen Habermas. „Horkheimer hat manchmal Adorno bei gemeinsamen Veranstaltungen über den Kopf gestreichelt“, erinnert sie sich. „Adorno war faszinierend, aber autoritär“.
Insgesamt sei das Studium sehr männlich dominiert gewesen, der Inhalt verstaubt. In selbst organisierten autonomen Seminaren versuchen die Studenten, ein Gegengewicht zu schaffen, lesen etwa Karl Marx oder über die Psychoanalyse. „Fast alles erschien im Raubdruck“, so Klose. Doch auch in diesen Diskussionen melden sich kaum Frauen zu Wort, sind an exponierter Stelle fast nur Männer tätig.
Kein Leben am Herd
Klose will das ändern, schon weil für sie selbst von Anfang an klar ist: „Ich studiere und werde berufstätig sein.“ Heiraten und danach Zuhausebleiben – damals immer noch der klassische weibliche Lebensentwurf – ist für sie keine Alternative. Schon ihre Mutter habe ihr gesagt: „Jede Frau braucht einen Beruf.“
Sie geht als Diplom-Pädagogin in die Sozialarbeit, gründet mit anderen zusammen den ersten Mädchentreff im Frankfurter Gallusviertel. Mit ihrem damaligen Lebensgefährten Bernd Koch, einem Rechtsanwalt, diskutiert sie viel – er verteidigt RAF-Mitglieder. „Das haben damals alle linken Anwälte getan“, betont Klose. Sie selbst habe aber Terror nicht als Lösung der Probleme gesehen.
Klose gerät in den Fokus des Verfassungsschutzes, warum genau, weiß sie bis heute nicht. Zum Problem werden ihr dabei die befristeten Verträge an der Uni – solange die zweijährige Überprüfung des Verfassungsschutzes nicht abgeschlossen ist, wird ein Vertrag nicht verlängert. „Ich war deswegen zwei Jahre ohne Stelle“, berichtet sie, „habe trotzdem ohne Bezahlung weitergearbeitet.“ Später führt eine Klage gegen diese Praxis in zweiter Instanz zum Erfolg.
Sie heiratet erst mit Mitte 50, zieht erst mit ihrem ebenfalls politisch engagierten Mann Herwarth Achterberg zusammen, als die hohen Frankfurter Mieten getrennte Wohnungen zu teuer machen. Ihr ganzes Leben lang kämpft sie für Frauenrechte, sowohl als Sozialarbeiterin als auch an der Universität und in ehrenamtlichen Projekten. Der Fokus ihres Engagements liegt zuletzt auf dem Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“
Immer noch sieht sie in einigen Bereichen Verbesserungsbedarf. Dennoch: „Vieles, was erreicht wurde, ist heute selbstverständlich und nicht mehr zurückzudrehen“, ist ihre positive Sicht auf die Emanzipationsbewegung, „auch die Männer haben sich geändert.“
Streben nach Freiheit
Und welches Fazit zieht sie aus der gesamten 68er-Bewegung? „Es war sehr positiv, dass alte Regeln radikal in Frage gestellt und die NS-Zeit aufgearbeitet wurde“, ist Klose überzeugt. Die Freiheit des Individuums, sein Leben selbst zu bestimmen, sei in den Fokus gerückt, die Frau als Subjekt endlich in Erscheinung getreten. „Nicht gleich zu Beginn der Bewegung, aber es fing damit ein.“
Gleichzeitig, so räumt sie ein, „führt eine solche radikale Infragestellung immer dazu, dass auch mal Schritte in die falsche Richtung gegangen werden.“ Das völlige Negieren einer universitären Ausbildungsordnung etwa würde sie heute nicht mehr befürworten. „Es wäre auch traurig, wenn ich mich in 50 Jahren nicht verändert hätte“, schmunzelt die bunt gekleidete Seniorin. Aber das Streben nach Freiheit, nach persönlicher Unabhängigkeit hat sich tief in ihre Seele geschrieben. Sie ist sich sicher: „Da haben mich die 68er eindeutig geprägt.“