Das „blaue Wunder“ mit Wasserstoffantrieb

Die ersten neuen Züge für die Taunus-Strecken sind da - der Rest kommt verspätet. Der Treibstoff kommt aus Frankfurt-Höchst.
Viele Hände drücken nach vielen Reden gleichzeitig den roten Knopf, und mit einem Knall fällt im Bahnbetriebswerk Griesheim der Vorhang: So also sieht der Wasserstoffzug Coradia i-Lint der Firma Alstom aus, der vom Fahrplanwechsel im Dezember an auf vier Taunus-Linien eingesetzt werden soll. Blau ist er und mit Blubberblasen auf der Seite, die das Element Wasserstoff darstellen. Denn mit Wasserstoff aus dem Industriepark Höchst sollen die vier Linien betrieben werden. „Wenn denn mal alle Züge geliefert sind“, wie RMV-Geschäftsführer Knut Ringat sagt. Denn zum Fahrplanwechsel in vier Wochen werden nur 10 der bestellten 27 Einheiten geliefert sein.
Trotzdem: „Zum Fahrplanwechsel wird die Zukunft Gegenwart“, sagt Evelyn Palla, Vorstand für den Regionalverkehr im DB-Konzern. Der Betrieb mit den Wasserstoffzügen werde zunächst auf der Linie RB 15 (Frankfurt-Brandoberndorf) aufgenommen und sukzessive auf die anderen drei Linien (Höchst-Bad Soden, Frankfurt-Königstein und Bad Homburg-Friedberg) ausgeweitet. Zur Überbrückung werde auf der Höchster und der Bad Homburger Strecke mit den bisherigen Zügen der Hessischen Landesbahn (HLB) weitergefahren. Bis zum Frühjahr sollen dann alle Wasserstoffzüge in Betrieb sein.
Zur Vorstellung des neuen Zugs waren gestern auch Verkehrsminister Volker Wissing und Jens Deutschendorf, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, angereist. „Wasserstoff ist ein Schlüsselelement der Energiewende“, betonte Deutschendorf. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Bundesminister Wissing betonte, dass zum Erreichen dieses Ziels „die Neuausrichtung unserer gesamten Energiewirtschaft“ gefragt sei und der Verkehr dabei „eine besondere Rolle“ spiele.
Der Wasserstoff, mit dem die 27 Züge der Taunus-Flotte angetrieben werden, wird vom Industriepark Höchst geliefert. Joachim Kreysing, Geschäftsführer des Industriepark-Betreibers Infraserv, hat beste Erfahrungen: Seit Jahren werden im Industriepark Busse und Lkws mit Wasserstoff betankt. Für die Zugflotte ist eigens eine Wasserstofftankstelle mit vier Zapfsäulen geschaffen worden (wir berichteten), die einsatzbereit ist. Rund 30 Millionen Euro hat Infraserv in die Tankstelle, die Erweiterung der Gleis-Infrastruktur, Verdichter, Lagertanks, eine mobile Betankungsmöglichkeit und einen Elektrolyseur investiert. Der benötigte Wasserstoff fällt größtenteils bei der chemischen Produktion einer Standortgesellschaft an, ist also nicht „grün“. Der Elektrolyseur, ein Gerät zur Zerlegung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, soll die Öko-Bilanz verbessern - wobei der ohnehin im Industriepark anfallende Wasserstoff nun sinnvoll verwendet wird.
Insgesamt kostet das Projekt mehr als 500 Millionen Euro - inklusive Kauf der 27 Züge, Instandhaltung im DB-Werk Griesheim und Versorgung mit Wasserstoff für 25 Jahre. Der Bund unterstützt das Vorhaben mit 24,3 Millionen Euro, das Land Hessen mit 3,2 Millionen. Die eigens gegründete Firma Regionalverkehre Start Deutschland GmbH, eine 100-prozentige Tochter der DB, setzte sich in der Ausschreibung durch und übernimmt die vier Linien, deren Strecken größtenteils nicht elektrifiziert sind und deshalb mit Dieselzügen bedient werden müssen. Der Wasserstoff ist sogar effizienter als Diesel. Mit einer Dieselbetankung sind bei einem Regionalzug gut 1000 Kilometer drin. Bei einem Test ist der Coriadia i-Lint mit einer Wasserstoff-Tankfüllung von Bremervörde bis München gefahren, mehr als 1175 Kilometer - „und wir hatten noch 20 Prozent Tankfüllung“, freut sich Müslüm Yakisan, Präsident der Alstom-Region Deutschland, Österreich und Schweiz.
In Bremervörde sind in diesem Sommer bereits 14 Wasserstoffzüge in Betrieb gegangen; die Niedersachsen waren schneller, aber die 27 Züge für die Rhein-Main-Region sind - wenn sie alle ausgeliefert wurden - die weltweit größte Flotte mit Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb. Die Züge sind leise wie ein Elektrozug und „lokal emissionsfrei“, weil sie nur Wasserdampf und Wärme an die Umgebung abgeben. Dort, wo der Wasserstoff produziert wird, entstehen allerdings weiter Emissionen, solange nicht komplett auf „grünen“ Wasserstoff umgestellt ist. Das dürfte noch etwas dauern - in Strategien zur Energiewende wird allerdings davon ausgegangen, dass auch mehr saubere Produktionskapazitäten geschaffen werden.