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Debatten-Unkultur

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Von: Mark-Joachim Obert

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Prof. Susanne Schröter ist Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam.
Prof. Susanne Schröter ist Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam. © peter-juelich.com

In Zeiten ständiger Gereiztheit und Shitstorms muss die Meinungselite kühlen Kopf bewahren - Ein unrühmliches Gegenbeispiel

Wie schnell Auseinandersetzungen zu Reizthemen aus dem Ruder laufen, erlebt zurzeit der Frankfurter Sozialdemokrat Jan Pasternack. Hunderte von Hassbotschaften habe er in den letzten Tagen erhalten, berichtet er am Telefon. Auch in diesem bedenklichen Fall wundert das leider wenig. Bedenklich ist er, weil er die Unkultur, Debatten verunmöglichen zu wollen, auf eine Ebene hebt, auf der Debattentauglichkeit zwingend geboten ist. Besagte Unkultur treibt ja ansonsten eher in Sozialen Medien ihr Unwesen, hier und da auch an Universitäten, wo Studenten Meinungsgegner zu Unpersonen erklären und Auftrittsverbote fordern. Politiker, Professoren und sonstige Vertreter der sogenannten Meinungselite sollten da nicht mit schlechtem Beispiel vorangehen.

Jan Pasternack, Vorstandsmitglied der hessischen SPD, Kandidat bei der Landtagswahl, ist das in diesem Fall nicht gelungen. Und auch die Gegenattacken sind keine Einladung zum sachlichen Meinungsaustausch. Pasternack, Jahrgang 1987, einst als Referent im Frankfurter Integrationsdezernat tätig, hat dieser Tage in einer Pressemitteilung und auf Twitter die Besetzung einer Konferenz mit dem Titel „Migration steuern, Pluralität gestalten. Herausforderungen und Konzepte von Einwanderungspolitiken“ kritisiert und damit das veranstaltende Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) der Goethe-Universität. Dessen Leiterin, die Ethnologin und Islam-Expertin Susanne Schröter, hat für die Tagung am 28. April unter anderem den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer eingeladen.

Pasternack schrieb dazu: „Boris Palmer ist objektiv nicht qualifiziert, sich zu diesem Thema fachlich zu äußern. Zudem hat er sich durch wiederholte rassistische Aussagen selbst ins Abseits gestellt. Wer dennoch Boris Palmer zu einem Migrations- und Pluralitäts-Kongress einlädt, betreibt politischen Aktivismus unter dem Deckmantel der Wissenschaft.“

Der SPD-Politiker verbindet mit seinem Zweifel an der Seriosität der Veranstaltung obendrein Forderungen: Erstens solle Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) die Schirmherrschaft abgeben. Zweitens sieht er Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) „in der Pflicht zu prüfen, ob das FFGI noch seinem Forschungsauftrag gerecht werde“.

Denn auch die anderen Teilnehmer erachtet Pasternack in ihrer Zusammensetzung als fragwürdig - unter anderem die Migrationsforscher Ruud Koopmans und Ralph Ghadban kommen, der Berliner Psychologe Ahmad Mansour und die Migrationshistorikerin Sandra Kostner. Allesamt sind sie Fachleute, die in TV-Debatten und Print-Interviews viel gefragt sind, weil sie offensiv auf Konflikte in und mit radikal- islamischen Milieus hinweisen.

Für SPD-Politiker Pasternack stehen sie allesamt für „rechte Positionen“, mithin sei die Konferenz ein weiteres Beispiel für die populistischen Themenschwerpunkte und die Einseitigkeit des Forschungszentrums. Zum Beleg für die „rechten Positionen“ liefert er Zitate der Migrationsexperten. Die allerdings stehen da völlig zusammenhanglos und suggerieren eine pauschalisierende Grundhaltung, die diese Experten nachweislich nicht haben. Dass Zentrumsleiterin und Konferenz-Organisatorin Schröter öffentlich scharf retourniert hat - „totalitärer Geist, der für einen Landtagskandidaten unwürdig ist“ - dürfte nur Pasternack überrascht haben.

Eine heikle Wahl für die Konferenz

Nun ist Boris Palmer in der Tat eine heikle Wahl für eine Konferenz, die den Anspruch erhebt, ein für gewöhnlich emotional aufgeladenes Thema wie Migration und mehr oder weniger gelingende Integration faktenorientiert, differenziert und unaufgeregt zu erörtern. Zwar ist der Tübinger Oberbürgermeister für seinen messerscharfen Verstand bekannt, um so mehr aber verblüfft, zu welch hanebüchenen Aussagen sich der studierte Mathematiker zuweilen hinreißen lässt - besonders über Asylbewerber. Auch deshalb ruht zurzeit seine grüne Parteimitgliedschaft.

An ein Beispiel sei erinnert: Da ereiferte er sich im August 2021 auf Facebook über einen jungen Mann, der in der vollen Tübinger Fußgängerpassage in Schlangenlinien radelte - und betonte dabei, dass es sich um einen Mann mit schwarzer Hautfarbe handelte. Von einer Leserin befragt, warum er auf die Hautfarbe abhebe, schrieb Palmer: „Weil der Typ mit nacktem Oberkörper, Kopfhörer und einer unglaublichen Dreistigkeit um die Leute rumgekurvt ist. Das gehört sich für niemanden und für einen Asylbewerber schon dreimal nicht.“ Auf die Nachfrage, woher er denn wisse, dass der Mann Asylbewerber sei, antwortete Palmer: „Weil ich wette, dass es ein Asylbewerber war. So benimmt sich niemand, der hier aufgewachsen ist mit schwarzer Hautfarbe. Das wäre völlig missglückte Integration.“

Für einen Frankfurter Oberbürgermeister wäre eine solche Aussage der politische Knock out. In Tübingen hat Boris Palmer trotzdem die OB-Wahl souverän gewonnen. Der Mann ist da beliebt - auch und nur scheinbar paradoxerweise bei Muslimen, gerade weil auch er Phänomene benennt, unter denen etwa Mädchen und Frauen in radikal-islamischen Familien leiden. In der schwäbischen Universitätsstadt verhält es sich nämlich so wie überall: Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime ist liberal und kritisiert nicht selten besonders scharf fundamentalistische, sich vom westlichen Wertesystem bewusst abgrenzende Strömungen. Segregation lautet das Fachwort zu diesem Phänomen, das freilich nicht alle, aber etliche namhafte Migrationsforscher zunehmend diagnostizieren, vor dem sie warnen.

Das führt zur Kernfrage der Veranstaltung des Forschungszentrums Globaler Islam: Wie müsste Migration organisiert, Pluralität gestaltet sein, um solchen Strömungen entgegenzuwirken? Vor welchen Herausforderungen steht Einwanderungspolitik?

Durchaus sinnvolle Fragestellungen seien das, findet auch Jan Pasternack - wie er überhaupt am Telefon überlegt und differenziert argumentiert. Lange Jahre habe er sich doch im Frankfurter Integrationsdezernat mit der Materie befasst und da schon früh davor gewarnt, dass die Politik sich vor den Karren der muslimischen Verbände spannen lasse. Von daher, sagt er, habe er eigentlich die Arbeit Susanne Schröters und ihres Forschungszentrums Globaler Islam stets geschätzt.

Hass und Morddrohungen

Susanne Schröter plädiert seit langem prominent für einen kritisch-kontroversen Dialog mit den erzkonservativen Islam-Verbänden in Deutschland, deren starken Einfluss auf die Politik sie als hochproblematisch erachtet. So sehen es auch jene liberalen Muslime aus der Forschung und der Publizistik, die zu den häufigen Gästen bei Schröters Konferenzen gehören. Dass ihre Studien, Alltagsbeschreibungen und Schlussfolgerungen bei anderen Migrationsforschern auch auf heftigen Widerspruch stoßen, gehört zum Geschäft. Der Skandal ist, dass besonders muslimische Kritiker des fundamentalistischen Islam nur noch unter Polizeischutz sicher leben können.

Von Hass berichtet Susanne Schröter am Telefon, von Morddrohungen, unter denen viele ihrer Kollegen litten. Sie habe auf die Pressemitteilung Jan Pasternacks und auf Nachfragen auch deshalb nicht gelassen und zurückhaltend reagiert, sagt sie. Einen „Mangel an demokratischer Kompetenz“ hat sie Pasternack in der Bild-Zeitung attestiert, von einem „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ spricht sie. In der FAZ sprang ihr das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ zur Seite, mit dem Schröter, das sei erwähnt, überdies verflochten ist.

Die hessische SPD im Übrigen verhält sich neutral. Man werde die Wissenschaftsfreiheit und die Meinungsfreiheit nicht gegeneinander ausspielen, heißt es auf Anfrage. Aus der hessischen Staatskanzlei wiederum heißt es knapp, Ministerpräsident Rhein sehe keinerlei Veranlassung, seine Schirmherrschaft abzugeben.

Manches würde er jetzt anders formulieren, hat Jan Pasternack im Gespräch mit dieser Zeitung eingeräumt, vor allem nicht mehr auf das Forschungsgeld des Landes abheben. Schröters Attacke gegen ihn versteht er gleichwohl als Angriff auf seine Meinungsfreiheit. Und was sein Rassismusvorwurf gegen Boris Palmer und die Kritik an dessen Teilnahme betrifft: „Dazu stehe ich.“

Die Frage, weshalb Islam-Expertin Schröter ausgerechnet den Tübinger Oberbürgermeister eingeladen hat, wo es zig Landräte und Stadtoberhäupter gibt, die zum Thema Erhellendes liefern können, ist ja durchaus eine spannende. Weil er das Migrationspapier der grünen Gruppierung Vert Realos mitverfasst habe, sagt Susanne Schröter. Das wolle man sich mal genau erklären lassen.

Vielleicht mag sich die Konferenz auch erklären lassen, was Boris Palmer mit seinen rassistischen Ausfällen bezwecken will. In einer Konferenz zur Zukunft der Migration und Einwanderungspolitik wäre diese Debatte mit einem exponierten Politiker mit Provokationslust gewiss erkenntnisreich. Man darf solche Debatten nur nicht verhindern, man muss sie führen.

Jan Pasternack.
Jan Pasternack. © SPD

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