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Den alten Dingen eine Renaissance geben

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Dieter Weiss sitzt mit seinen beiden neuen Büchern in seiner Werkstatt voller alter Dinge in ihrer neuen Gestalt. foto: holger menzel © Holger Menzel

Dieter Weiss ist erst spät Künstler geworden. Zeit ist das durchgängige Thema seiner Kunst.

Im Jahr 2008 hat Neckermann einem Mitarbeiter in einem Frankfurter Reisebüro gekündigt. 56 Jahre alt war der Mann damals. Zu alt, zumindest für den Arbeitsmarkt. "Das war eine schlimme Zeit", erzählt er. "Durch die Wohnung zu laufen, ohne etwas zu tun zu haben." In dieser Zeit fielen ihm in Andalusien zwei Bremsscheiben eines Volvos in die Hand, verrostet und alt. Zu alt, zumindest für die Entschleunigung eines Autos. Der Mann hatte schon als Jugendlicher gemalt. Aber erst in Andalusien, den zwei Wochen mit den zwei Bremsscheiben, wurde Dieter Weiss zum Künstler.

Er schweißte einen eisernen Pfeil auf die Bremsscheibe, sägte und bohrte römische Zahlen in die runde Scheibe, III, VI, IX, XII. Sie gleicht nun einer Uhr. "Zeitscheibe" hat sie Weiss genannt. Seither nimmt er sie auf seinen Reisen, und Weiss reist viel, überall mit, um sie in allem möglichen Kontexten zu fotografieren.

Viele alte Sachen in neuer Gestalt

Wer heute durch seine Wohnung in Bonames, dort am Ende der Rauschenbachstraße, läuft, sieht solche Werke an jeder Wand, auf jedem Schrank, sogar im Vorgarten und in der Hecke.

Im Esszimmer steht eine 50 Jahre alte Parkuhr. Oben in seinem Arbeitszimmer steht ein auf ein Brett genageltes Kreuz, alte Gürtel binden Gipsabdrücke eines menschlichen Körpers daran. "Religion als Fessel", sagt Weiss nur dazu. Eiserne Ofentüren hat er auf farbige Hintergründe gebastelt oder eine alte Diskusscheibe auf ein Stück Holz.

Was die Dinge früher einmal waren

Der ganze Raum ist ein wildes Durcheinander. Manchmal ist schwer zu unterscheiden, was das Material ist, mit dem Weiss noch arbeiten möchte, und was fertige Kunstwerke sind. Aber eines fällt auf: Es sind alles alte Dinge. Zeit ist das durchgängige Thema seiner Objektkunst. Wenn Weiss über seine Werke spricht, sagt er meist nur, was die Dinge früher einmal waren. "Ich gebe den Dingen eine Renaissance", sagt Weiss, und dass er die Dinge gern in einen neuen Kontext stellt. Wie bei dem Kreuz mit den Fesseln oder bei der Bremsscheibe, die zur Zeitscheibe wurde.

Dahinter steckt nicht etwa eine Kritik an der Wegwerfgesellschaft. Weiss sieht sich als Gegenwartskünstler. Doch er überhöht seine Kunst nie. Der Mann in Jeans und Jeanshemd spricht nicht geschwollen, sondern einfach, gerade heraus. So auch, wenn er die Sache mit der Renaissance und dem neuen Kontext erklärt. "Wenn ich etwas sehe, das die Gesellschaft nicht mehr braucht, spornt mich das an, etwas Neues daraus zu machen." So einfach. Weil Weiss "morgens aufsteht, eine Idee hat und einfach loslegt", wie er sagt, konnte es für ihn wohl nicht nur bei Objektkunst bleiben.

Derzeit malt er bunte und verfremdete Stadtpläne. Frankfurts Stadtplan steht im Esszimmer neben der alten Parkuhr. Der Maler Paul Klee habe ihn dazu inspiriert, sagt der 68 Jahre alte Mann, der aussieht wie Ende 50. Auch zwei Bücher hat er in diesem Jahr geschrieben. Albern, könnte man das neueste Buch nennen. "Ohne Sinn und Verstand", habe ein Freund gesagt. "Da hat er recht", sagt Weiss.

Nur einmal klingt er ganz wie ein Künstler. In der Hecke vor seinem Haus hat er den Kopf und die Hand einer ehemaligen Don Quijote-Skulptur gesteckt. Kinder legten oft Blumen in die Hand, erzählt er. "Es freut mich, dass sie es so aufgreifen." "Aufgreifen" dieses Wort wählt er. So wie man eine Idee aufgreift, um damit Neues zu gestalten. So wie er es mit alten Dingen macht. So wie es die Kinder mit seiner Kunst machen. Friedrich Reinhardt

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