Der ehrenamtliche Vormund glaubt an seinen Schützling

Kinderschutzbund sucht Bürger, die dort einspringen, wo Eltern ausfallen
Frankfurt -Wenn die Eltern von Kindern - aus welchen Gründen auch immer - ausfallen, dann ist das schlimm. Es fehlen Liebe, Sicherheit, Geborgenheit, Wärme und Verlässlichkeit - es fehlen aber auch ganz praktische Dinge, die unverzichtbar sind. Wer stellt die Erziehung sicher? Wer vertritt das Kind oder den Jugendlichen in rechtlichen Fragen, bei der Beantragung von Hilfen? Wer stimmt der Teilnahme an einer Klassenfahrt zu? Wer kümmert sich um die Gesundheitsvorsorge? Oder wer unterschreibt die Unterlagen für einen Schulwechsel?
Es gibt vieles zu tun, für das Kinder und Jugendliche vor Erreichen der Volljährigkeit nicht selbst einstehen können und dürfen. Gibt es keine Erwachsenen, die sich dieser Fragen annehmen können, sind die Heranwachsenden verloren. Oder - wenn denn Ämter davon Kenntnis erhalten und handeln - es werden Vormünder eingesetzt.
Tristan Berberich-Häbel ist so ein Vormund - und zwar ehrenamtlich. Das heißt, er bekommt dafür - im Gegensatz zu Amtsvormündern - kein Geld und übernimmt die Aufgabe, die bei den Eltern angesiedelt gewesen wären, in seiner Freizeit. Und da gibt es noch einen wesentlichen Unterschied: Er kümmert sich um ein Mündel, und nicht - wie oft bei Amtsvormündern - um Dutzende.
Vom Bänker bis zum Handwerker
Der 69-Jährige knüpft mit der ehrenamtlichen Einzelvormundschaft an seinen Beruf des Sonderpädagogen an. Eine derartige berufliche Vorbildung ist aber keine Voraussetzung. Jeder kann - bei entsprechender Eignung - ehrenamtlicher Vormund werden. Innerhalb von zehn Jahren hat der Kinderschutzbund Frankfurt 229 ehrenamtliche Vormünder ausgebildet - Bänker ebenso wie Handwerker. Der Kinderschutzbund ist ständig auf der Suche nach Bürgern, die dieses Ehrenamt übernehmen. Noch in diesem Monat beginnen wieder Vorbereitungskurse für diese Aufgabe.
Berberich-Häbels Ausbildung zum ehrenamtlichen Vormund liegt zweieinhalb Jahre zurück. Seitdem kümmert er sich um einen Jugendlichen, von dem er fürchtete, dass er kaum eine Chance haben würde. Aber er glaubte an ihn.
Der Junge lebt bei einer Verwandten, die nicht lesen und nicht schreiben kann und selbst mit ihrem Leben zu kämpfen hat. Die Eltern haben ihn weggegeben. Die Wohnbedingungen sind gelinde gesagt mäßig. Als Berberich-Häbel den Jungen kennenlernte, hatte er kein Bett, schlief auf einer Couch. Sein Gesundheitszustand war ebenso bedenklich wie sein Bildungsstand. Einen Zahnarzt hatte er noch nie besucht, die Schule nur unregelmäßig. Hinzu kam noch eine starke Adipositas.
Der ehrenamtliche Vormund kümmerte sich um alles. Ein Bett, Arztbesuche, einen Stepper und ein Konstrukt, das es dem Jungen unmöglich macht, die Schule zu schwänzen. Berberich-Häbel ist so gut wie immer für den Jungen erreichbar, aber der Jugendliche ruft selten an. Sie waren sogar mal zusammen im Fußballstadion, aber ein ausdrückliches Danke komme kaum.
Jeder habe seine Vorgeschichte, weiß der 69-Jährige zu erklären, warum ein Mündel dem Vormund nicht unbedingt um den Hals falle. Zeichen der Dankbarkeit und des Lächelns seien zarte Pflänzchen, die man nicht einfordern könne, die man selbst erkennen müsse oder die eben auch nicht sprössen. Die Erfahrung einer Verlässlichkeit im Leben ist für derart vernachlässigte Heranwachsende womöglich eher irritierend und wird hinsichtlich ihrer Stabilität mit Skepsis betrachtet. Das bedeutet Beziehungsarbeit auf einer besonderen Ebene, auf der man „auch etwas aushalten können müsse“, so Berberich-Häbel.
Er habe den Wunsch gehabt, „etwas Sinnvolles zu tun“, erklärt Berberich-Häbel sein Engagement. Er habe sich der Aufgabe auch angenommen, aus Dankbarkeit für sein eigenes gutes Leben, und es sei auch eine Portion Wut dabei`. „Wut über die gesellschaftlichen Zustände: ein Viertel der Kinder in Deutschland lebt in Armut.“ Wut, die er in etwas Gutes, etwas Hilfreiches verwandele. Und er profitiere selbst von der Aufgabe, lerne ständig dazu, bekomme Einblicke in Bereiche - seien es bürokratische, organisatorische, generationsspezifische oder emotionale - die ihm sonst verschlossen blieben. Das rege zur Selbstreflexion an - ohne die gehe es bei dieser Aufgabe nicht. „Es ist nur etwas für jemanden, der noch etwas lernen möchte“, der den Perspektivenwechsel begrüße, betont er.
Das Lernen beginnt bei den Vorbereitungskursen an mehreren Wochenenden, die die rechtlichen Aspekte ebenso behandeln, wie die psychologischen, die pädagogischen; die intensive Auseinandersetzung mit sich selbst, in Gesprächen und Rollenspielen. Begleitend entspinnt sich ein starkes Netzwerk zwischen den ehrenamtlichen Vormündern, die gleichzeitig von den Mitarbeiterinnen des Kinderschutzbundes eng betreut werden, ihnen bei jeder Frage behilflich, jederzeit ansprechbar sind und denjenigen, die Supervision leisten.
Zeitaufwand nicht vorhersehbar
Interessenten für das Ehrenamt wollten oft wissen, wie viel Zeit sie denn dafür aufwenden müssen, weiß Stefan Schäfer, Geschäftsführer des Kinderschutzbundes Frankfurt: „Das kann man nicht genau sagen. Manche wenden 30 Minuten pro Woche auf, andere deutlich mehr.“ Das hängt vom Mündel und seiner Situation ab. Ist es noch ein Baby oder in der Ausbildung, ist es eine Waise, lebt es daheim oder in einer Einrichtung, oder handelt es sich um einen unbegleiteten Jugendlichen, der aus seiner Heimat geflüchtet ist und für den auch noch das Asylverfahren durchgezogen werden muss? Auf jeden Fall müssten Vormund und Schützling zusammenpassen, was sich beim Kennenlerntermin herausstelle.
Grundsätzlich ist für ehrenamtliche Vormünder mehr leistbar als für Vormünder auf professioneller Ebene. Und ihre Motivation ist eine ganz andere. Das spürten auch die Schutzbedürftigen.
Stefan Schäfer erinnert sich an die berührende Aussage einer Jugendlichen über ihren Vormund: „Es ist das erste Mal, dass sich ein privater Mensch um mich kümmert, nur weil er das will.“ Michelle Spillner
Der Vormund: Kinder und Jugendliche benötigen aus unterschiedlichen Gründen einen Vormund: Eltern leben im Ausland oder sind gestorben oder sie sind nicht in der Lage, sich angemessen um ihr Kind zu kümmern. Wird ein Vormund bestimmt, dann entscheidet er anstelle der Eltern um die wichtigen Belange seines Mündels. Wobei die ehrenamtliche Einzelvormundschaft immer Vorrang vor anderen Formen der Vormundschaft hat.
Der Vormund ist für die Kinder und Jugendlichen jemand, dem sie vertrauen können, der sie begleitet und unterstützt, der sich Zeit nimmt und sie in Entscheidungen einbezieht, der sie als feste Bezugsperson durch das Leben lotst und ihre Interessen vertritt. Ehrenamtliche Vormünder sind besonders geeignet, weil der persönliche Kontakt zum Mündel im Vordergrund steht. Als ehrenamtlicher Vormund sollte man bereit sein, ein kontinuierliches und mitunter jahrelanges Engagement zu übernehmen, mit Jugendamt, Familiengericht und anderen Behörden umzugehen, und man sollte über ausreichend zeitliche Ressourcen verfügen für den persönlichen Kontakt zum Mündel.
Wer sich für dieses Ehrenamt interessiert, der wende sich an den Kinderschutzbund Frankfurt, Angebotsleitung Ehrenamtliche Einzelvormundschaft, Dr. Anja Sommer und Brita Einbeck per Telefon unter (0 69) 2 00 62 99 13 oder per E-Mail an vormundschaft@ kinderschutzbund-frankfurt.de. elle