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Der Fall Tristan: „Die Akte bleibt auf dem Schreibtisch“

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Von: Sylvia Amanda Menzdorf

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Tristan Brübach wurde nur 13 Jahre alt. FOTO: archiv
Tristan Brübach wurde nur 13 Jahre alt. © Keine Angabe

Auch nach 25 Jahren geben die Ermittler die Hoffnung nicht auf

Frankfurt -Eines der grausamsten Verbrechen in dieser Stadt jährt sich in diesem Tagen zum 25. Mal: der bestialische Mord an dem 13-jährigen Tristan Brübach aus Unterliederbach. Am 26. März tötete ein bis heute Unbekannter den Jungen auf unvorstellbar grausame Weise im Liederbachtunnel. Die Unterführung am Bahnhof Höchst, heute mit Gittern unzugänglich gemacht, war ein unbeleuchteter Durchgang, den nur Ortskundige kannten und gelegentlich als Abkürzung nutzten. Unter Kindern und Jugendlichen galt es mitunter als Mutprobe, durch den gut 100 Meter langen Tunnel zu laufen.

Auch Tristan kannte den schmalen und auch bei Tage düsteren Abkürzungsweg. Die Gegend um den Höchster Bahnhof war ihm vertraut. Hier stromerte er öfters nach der Schule umher. Der Junge war oft sich selbst überlassen. Seine Mutter war gestorben, als er zehn Jahre alt war. Der Vater arbeitete im Schichtdienst am Hauptbahnhof. Die Großmutter, die ebenfalls in Unterliederbach wohnte, stand der kleinen Familie zur Seite.

Tristan Brübach besuchte die Meisterschule. Der blonde Junge mit dem Pagenschnitt galt als selbstbewusst und freundlich. Er hatte Freunde, mit denen er seine Freizeit verbrachte. Der 26. März 1998, ein Donnerstag, war der letzte Schultag vor den Osterferien. Tristan hatte bereits nach dem gemeinsamen Mittagessen gegen 13.15 Uhr die Schule verlassen. Er wollte sich wegen Rückenschmerzen beim Hausarzt vorstellen, hatte er seiner Lehrerin gesagt.

Was sich anschließend zutrug, hat die Frankfurter Polizei anhand von Zeugenaussagen, von Videoaufzeichnungen an öffentlichen Plätzen und schließlich anhand zahlreicher Spuren am Tatort rekonstruiert. Eine Videoaufnahme zeigt Tristan am Bahnhof Höchst an einem Kiosk. Um 15.20 Uhr war Tristan mit einer Frau, die ihren Hund ausführte, ins Gespräch gekommen. Tristan streichelte den Hund. Die Hundehalterin hatte später beobachtet, wie sich zwei Männer neben den Jungen auf die Bank gesetzt hatten.

Wann genau Tristan sich auf den Weg zum Liederbachtunnel machte, ob er in Begleitung war, verliert sich im Dunkel. Später rekonstruierte die Polizei, was dort an jenem Donnerstagnachmittag geschah: Am Tunneleingang überwältigt der Täter den Jungen. Er schlägt und würgt ihn bis zur Bewusstlosigkeit, schneidet ihm mit einem Messer die Kehle durch, lässt den Kinderkörper in den Liederbach ausbluten. Anschließend zieht er Tristans Leiche tiefer in den Tunnel hinein. Dort entkleidet er den Jungen teilweise, schneidet Muskelfleisch aus Gesäß und Oberschenkel, entfernt die Hoden. Die Körperteile nimmt er mit. Die Polizei findet die Kinderleiche auf dem Betonpodest im Tunnel, in Bauchlage und bizarr drapiert: mit über den Kopf gelegter Jacke, mit notdürftig und unzureichend heraufgezogener Hose, mit seinen auf dem Gesäß abgestellten Turnschuhen.

24 000 Spuren und ein Phantombild

Kriminalpsychologen, die sich mit dem außergewöhnlichen Tatbild beschäftigten, ordneten dies als „Undoing“ ein, als ein von Sadisten bekanntes Verhalten, mit dem der Täter seine Tat gleichsam ungeschehen machen wolle. Bis heute ist dies eine Annahme von vielen. Spekulationen kennzeichnen bis heute die Suche nach dem Motiv des Täters. Auch,wa weil bislang weltweit kein vergleichbarer Fall je aktenkundig wurde. Auch die zunächst vielversprechenden Zeugenaussagen mit der Beschreibung des möglichen Täters, obwohl eine auffällige Erscheinung, brachten bis heute keinen Erfolg. Einen hageren, ungepflegten Mann mit blondem Zopf wollen die Zeugen beobachtet haben, mit einer Narbe an der Oberlippe wie von einer Lippen-Gaumen-Spalte. Die Polizei fertigte ein Phantombild für die Öffenlichkeitsfahndung an, die freilich erfolglos blieb.

Als ein Jahr nach der Tat der Schulrucksack von Tristan im Wald bei Niedernhausen entdeckt wurde, glaubten die Ermittler der Frankfurter Polizei mit dem Kommissar Uwe Fey an der Spitze sich dem Durchbruch näher denn je. Sie hatten in dem Rucksack eine Deutschlandkarte in tschechischer Sprache gefunden. Aber auch dies brachte die Fahnder am Ende nicht weiter. Bis heute ist die einzige wahrscheinlich direkt vom Täter stammende Spur ein blutiger Fingerabdruck auf einem der Schulhefte des Jungen, die am Tatort verstreut lagen.

Uwe Fey war ein zäher, unnachgiebiger Ermittler. Er ließ 14 500 Männern aus der Umgebung Finderabdrücke abnehmen, arbeitete akribisch 24 000 Spuren und Zeugenaussagen ab. Als 2008 zwei Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Höchst den Hinweis gaben, dass ein Mann mit starker Ähnlichkeit zum Phantombild dort eingesessen habe, arbeitet Fey sich durch die Akten von Häftlingen, die in Höchst gesessen und schließlich entlassen worden waren. Ohne Erfolg.

Auf die Akten von Häftlingen, die von Höchst in andere Gefängnisse verlegt worden waren, hatte er indessen keinen Zugriff. Also schickte der Kommissar an alle rund 400 Justizvollzugs- und Maßregelvollzugsanstalten in Deutschland das Phantombild vom Mann mit dem Zopf, verbunden mit der Frage, ob dieser Mann inhaftiert sei oder war. Nicht mal 80 der Anstalten sollen auf seine Anfrage reagiert haben.

War der Mörder an Tristans Grab?

Die Ermittler mussten sich daneben mit falschen Verdächtigen und windigen Hinweisen beschäftigen. Nicht einer führte auch nur in die Nähe des Mörders von Tristan. In einer Folge der ZDF-Sendung „xy ungelöst“ bat die Frankfurter Polizei die Öffentlichkeit um Hinweise. Uwe Fey erklärte dort, was für ihn als erfahrenen Ermittler feststand: dass Tristan seinen Mörder kannte. Dass der Mörder wusste, zu welchen Zeiten sich der Schüler am Höchster Bahnhof aufhielt, wann man ihn dort finden konnte. Fey erklärte ganz Deutschland, dass der Liederbachtunnel die versteckteste Ecke am Bahnhof Höchst war.

Ein halbes Jahr nach dem Fund von Tristans Rucksack bekommen die Ermittler einen bizarren Hinweis. Das Grab des Kindes auf dem Friedhof Höchst war bei Nacht und Nebel geöffnet, Erde und Blumen waren säuberlich auf einer Plastikplane abgelegt worden. Doch auch diese Spur bringt die Ermittler nicht weiter.

20 Jahre nach Tristans Beerdigung wurde das Grab aufgelöst. Wenige Meter entfernt findet sich nun eine Gedenkstätte. Tristans Vater Bernd hat das nicht mehr erlebt. Er starb 2014 im Alter von 59 Jahren als gebrochener Mann.

Kriminalkommissar Uwe Fey ist inzwischen im Ruhestand. Nun kümmern sich Nachfolger bei der Mordkommission um den Fall. „Die Akte kommt nicht ins Archiv, die bleibt auf dem Schreibtisch“, sagte ein Polizeisprecher. Mord verjährt nicht, auch nicht nach 25 Jahren. Sylvia A. Menzdorf

Podcast zum Fall

Alle Details des Kriminalfalls sind in diesem Podcast nachzuhören:

https://podcasters.spotify.com/pod/show/von-mord-und-totschlag/episodes/Gegen-das-Vergessen--Mord-an-Tristan-Brbach-I-ungelst-emppkb/a-a3tnti2

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