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Dezernentin Rosemarie Heilig: "Der neue Stadtteil ist eine Chance"

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?Natürlich werde ich auch von Grünen kritisiert. Aber ich habe als Mitglied des Magistrats auch eine soziale Verantwortung und muss mich der Notwendigkeit stellen, dass wir mehr Wohnraum schaffen müssen?, sagt die grüne Umweltdezernentin Rosemarie Heilig.
?Natürlich werde ich auch von Grünen kritisiert. Aber ich habe als Mitglied des Magistrats auch eine soziale Verantwortung und muss mich der Notwendigkeit stellen, dass wir mehr Wohnraum schaffen müssen?, sagt die grüne Umweltdezernentin Rosemarie Heilig. © Heike Lyding

Wie baut man für tausende Neubürger, ohne die Stadt einzukesseln? Wie geht eine flächenmäßig kleine Kommune mit den Müllbergen und dem allfälligen Abfall um? Was tun mit der Nilgans? Rosemarie Heilig (Grüne), die am Donnerstag im Stadtparlament als Dezernentin für Umwelt und Frauen wiedergewählt wird, steht vor großen Aufgaben. Mit ihr sprach Jörn Tüffers, Lokalchef dieser Zeitung.

War es für Sie zu irgendeinem Zeitpunkt fraglich, sich für weitere sechs Jahre zur Wahl zu stellen?

ROSEMARIE HEILIG: Überhaupt nicht. Als mich die Grünen vor sechs Jahren gefragt haben, ob ich das Umweltressort übernehmen möchte, wusste ich schon: Was Besseres kann mir als Biologin, die in Frankfurt studiert hat, gar nicht passieren. Es ist toll zu erfahren, dass man auf diesem Gebiet etwas bewegen kann – und das sechs weitere Jahre fortführen zu können, ist ein Traum.

Ist es nicht eine undankbare Aufgabe in einer Stadt, in der so viel entwickelt, gebaut wird und Flächen versiegelt werden, die Fahne des Umweltschutzes hochzuhalten? Da kann es doch allenfalls ums Bewahren und kaum ums Gestalten gehen.

HEILIG: Das Umweltressort ist ja viel mehr als die Bewahrung unserer Grünflächen. Wir gestalten konstruktiv die Stadtplanung mit, wir setzen dem Klimawandel vor Ort Alternativen entgegen, wir entwickeln unseren großen Stadtwald nachhaltig und wir stehen in ständigem Kontakt mit der Wirtschaft. Die müssen die Zukunft mit gestalten. So habe ich habe mit ganz vielen Firmen, Dienstleistern und der IHK zu tun, um das Thema Umweltschutz dort noch mehr zu verankern, beispielsweise durch den Nachhaltigkeitsbeirat oder das Projekt Ökoprofit. Da geht es beispielsweise darum, Einzelhändlern zu zeigen, wie sie durch moderne Beleuchtung Energie sparen können.

Sie verstehen auch etwas von Müllverbrennungsanlagen?

HEILIG: Bei der Sanierung und Erweiterung unserer Anlage hier in Frankfurt war ich die technische Geschäftsführerin, und jetzt haben wir das sauberste Müllheizkraftwerk, das es zurzeit gibt. Außerdem bin ich stolz darauf, dass Frankfurt die erste Passivhaus-Klinik in Europas baut. Das zeigt: Im Umweltthema ist unheimlich viel Musik drin!

Ihre Expertise ist ja auch beim Thema Bauen gefragt. Blutet Ihnen als Grüner und als Umweltdezernentin nicht das Herz, wenn Sie die Pläne für den neuen Stadtteil an der A 5 betrachten?

HEILIG: Dieser Stadtteil bietet erstmalig die Chance, einen enkelfähigen, wirklich nachhaltigen und zukunftsorientierten Stadtteil zu schaffen, der alle Fragen der Klimaanpassung aufnimmt. Das beginnt bei der Bauweise – und dafür muss es der Gegenentwurf zum Europaviertel sein – und endet darin, dass die Toiletten mit Brauchwasser gespült werden. Jetzt protestieren ja viele. Aber ich garantiere, dass alle dort wohnen wollen, wenn es einmal fertig ist – nicht zuletzt, weil es so schön grün ist.

Kritiker äußern die Sorge, dass diese Bebauung Frankfurt von der Kaltluft aus dem Taunus abschneidet.

HEILIG: Wir haben im vorigen Jahr einen Klimaplan-Atlas verabschiedet. Darin ist aufgeführt, welche Orte in der Stadt im Sommer überhitzt sind, und wo die Kaltluftgebiete und deren Entstehungsgebiete sind, die wir unbedingt freihalten müssen. Das bedeutet, dass wir uns jede noch so kleine Planung anschauen, ob sie in die große Klimalandschaft rein passt. Das haben wir jetzt beispielsweise beim Innovationsquartier im Nordend gemacht, und so wird es auch im neuen Stadtteil sein.

Muss Frankfurt überhaupt wachsen?

HEILIG: Der Druck durch die Zuzüge ist ja da. Ich kann mich nicht auf die Seite derer schlagen, die fordern, eine Mauer um Frankfurt zu ziehen, damit alles so bleibt, wie es ist. Ich habe selbst Familie und möchte auch, dass sie vielleicht mal nach Frankfurt kommt.

Mit Ihrer Position für den neuen Stadtteil ernten Sie nicht nur Zustimmung.

HEILIG: Natürlich werde ich auch von Grünen kritisiert. Aber ich habe als Mitglied des Magistrats auch eine soziale Verantwortung und muss mich der Notwendigkeit stellen, dass wir in Frankfurt mehr Wohnraum schaffen müssen.

Es ist ja vorbildlich, dass sich Frankfurt beim Umweltschutz vorne sieht. Aber was nutzt das Ganze, wenn CDU/CSU und SPD die Klimaziele schon in ihren Sondierungsgesprächen über Bord geworfen haben.

HEILIG: Auch bei der letzten Bundesregierung war schon klar, dass wir in Sachen Klimawandel keine Unterstützung erwarten durften. Da hat Sigmar Gabriel der Kohle das Wort geredet, und das wird auch jetzt wieder so sein. Dass die neue alte Groko jetzt auch noch die bisherigen Klimaziele über Bord wirft, wird alles noch verschärfen – die Städte werden sich weiter erhitzen, die Gesundheitsbelastung steigen. Aber das wird uns im Verbund mit anderen Kommunen nicht davon abhalten, den Klimawandel weiter anzupacken. Wir können nicht darauf warten, bis in Berlin mal eine andere Regierung dran ist.

Sie sind auch Aufsichtsratsvorsitzende der Entsorgungsbetriebe. Die FES hat zuletzt für negative Schlagzeilen gesorgt: Bei einem Workshop haben Führungskräfte zu tief ins Glas geschaut und über die Stränge geschlagen. Bleibt das ohne Konsequenzen?

HEILIG: Natürlich nicht. Ich habe da ein klares Wort geredet. Es wird keine Führungskräfte-Tagungen mehr über Nacht geben. Außerdem wird sich ab sofort eine Expertin um die Kommunikation und einen Verhaltenskodex bei der FES kümmern. Da besteht großer Nachholbedarf.

Zu den angenehmeren Dingen: Was war Ihr größter Erfolg in den vergangenen sechs Jahren?

HEILIG: Von Herzen gejubelt habe ich, als wir den Grundstein für das neue Krankenhaus in Höchst gelegt und auch, als wir den Vertrag über die Zusammenarbeit der Kliniken in Höchst und im Main-Taunus-Kreis unterschrieben haben. Da war ich ja noch Gesundheitsdezernentin. Bis es so weit war, waren es vier harte Jahre. Da sind in meinem Dezernat alle auf dem Zahnfleisch gegangen. Aber es hat sich gelohnt: Wir kriegen die erste Passivhaus-Klinik. Es wird ein ganz wunderbares Krankenhaus.

Sie haben nach der Kommunalwahl das Gesundheitsressort an Stefan Majer abgegeben und dafür das Frauenressort bekommen. War es schwierig für Sie, sich darauf einzulassen?

HEILIG: Ich gebe zu: Ich war nie eine ausgewiesene Frauenpolitikerin. Aber ich musste nicht lange dafür begeistert werden: Frauen in Frankfurt sind eine lebendige, sehr unterstützungsreiche Welt. Ich hatte Eifersüchteleien und Rivalitäten befürchtet unter den vielen Initiativen. Aber: Nichts davon. Die Frauenthemen sind weltweit aktueller denn je, das macht Mut. Das reicht von Emanzipationsbewegungen in Saudi-Arabien, dem Kampf gegen Sexismus in den USA bis zu wirklich spannenden Diskussion in den europäischen Städten. Es bleibt ja auch wahrlich noch genug zu tun.

Was ist für Sie das drängendste politische Frauenthema?

HEILIG: Wir müssen die Frauenarmut bekämpfen. Es ist ja schön, dass heute wieder vermehrt geheiratet wird; aber leider bedenken viele Frauen nicht, dass sie einen Ehevertrag schließen sollten, der sie in Zukunft finanziell absichert. Haben sie keinen, und die Ehe scheitert, ist es ja in der Regel so, dass die Frauen zu Hause bleiben und die Kinder betreuen und ihren Job nicht machen können. So geraten sie in die Armutsfalle. Ich kenne Frauen, die von 600 Euro Rente im Monat leben müssen. Nicht alle haben das Glück, dass ihre Kinder sie unterstützen. In diesem Zusammenhang treibt es mich natürlich auch um, dass Frauen und Männer immer noch nicht für die gleiche Arbeit denselben Lohn erhalten. Wir leben ja schließlich im 21. Jahrhundert.

Sie wünschen sich auch mehr Frauen in Führungspositionen.

HEILIG: Natürlich. Frauen, die in einer Position wie ich sind, sollten Frauen aussuchen. Ich habe das Energiereferat und die Stabsstelle Sauberes Frankfurt mit einer Frau besetzt, für die Leitung des Palmengartens wünsche ich mir eine Frau. Als Dezernentin werde ich dafür sorgen, dass mehr Frauen Führungspositionen übernehmen.

Sollte nicht die Qualifikation entscheidend sein?

HEILIG: Natürlich geht es um Qualität. Aber die Frauen sind ja qualifiziert, sie kommen nur oft nicht zum Zuge. Wir müssen aber nach Ihnen Ausschau halten und sie ermutigen, sich zu bewerben. Männer kommen zu Vorstellungsgesprächen und sagen: „Was auch immer die Aufgabe ist – ich schaffe sie.“ Frauen sind da zurückhaltender und vorsichtiger. Wenn es aber keine qualifizierte Frau gibt, dann nehme ich selbstverständlich einen männlichen Bewerber.

Wie erleben Sie die aktuelle Diskussion um sexuelle Übergriffe?

HEILIG: Dass sich Frauen jetzt endlich trauen zu sagen, dass sie am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden sind, finde ich wichtig. Das hat mit Schauspielerinnen angefangen, andere sind ihnen gefolgt. Aber da sind wir noch ganz am Anfang. Noch gehen Frauen weniger an die Öffentlichkeit, die vielleicht bei einer der großen deutschen Banken hier in Frankfurt arbeitet. Das hat damit zu tun, dass Frauen im Job sich oft in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden und fürchten müssen, entlassen zu werden, wenn sie sich outen.

Zurück zu den Umweltthemen. In den vergangenen Tagen durften wir eine kleine Ahnung vom Frühling erleben. Bald kommt die Zeit, da sich die Menschen wieder viel draußen aufhalten und in Grünanlagen auf Nil- und Kanadagänse mit ihren Hinterlassenschaften stoßen. Im Brentanobad wurden im Vorjahr Gänse gejagt. Soll das auf die Parks ausgeweitet werden?

HEILIG: Nein. Wir wollen im Ostpark mit einem Pilotprojekt zeigen, wie man Bereiche schaffen kann, die von Nilgänsen frei sind, und andere, an denen sich die Tiere aufhalten können.

Wie funktioniert das konkret?

HEILIG: Wir haben uns viel Knowhow von anderen abgeschaut, schließlich besteht das Problem überall dort, wo größere Wasserflächen sind, beispielsweise am Chiemsee. Überall dort, wo es einen Schilfsaum um den See gibt, sind die Nilganspopulationen zurückgegangen. Das hat damit zu tun, dass diese Tiere gerne freie Sicht aufs Wasser haben möchten. Wir werden also einen Saum aus Gräsern anlegen – das passt ganz gut, denn der Ostpark muss sowieso saniert werden. Außerdem stellen wir Zäune auf, damit die Wege kotfrei bleiben.

Und das soll klappen?

HEILIG: Ich hoffe es sehr. Denn wir können nicht im öffentlichen Bereich schießen. Ich bin sowieso nicht davon überzeugt, dass das Töten der Gänse im Brentanobad tatsächlich was gebracht hat. Das werden wir im Frühjahr sehen, wenn es wieder öffnet. Wir müssen aber auch akzeptieren, dass diese Tiere Begleiter unserer Zivilisation sind. Wir haben sie wie in ein Schlaraffenland angelockt. Daher: Bitte nicht füttern!

Was machen Sie gegen den Müll in den Parks und in der Stadt?

HEILIG: Wir werden unsere Kampagne „Cleanffm“ fortsetzen. Dabei folgen wir der Überzeugung, dass wir nicht 25 zusätzliche Streifenpolizisten brauchen, die Bußgelder schreiben. Wenn Faulheit der Grund ist, weshalb Leute ihren Müll liegen lassen, erziehe ich sie auch nicht durch den Griff in ihren Geldbeutel. Wir versuchen durch witzige Botschaften die Leute anzusprechen. So können wir ein Bewusstsein schaffen und Verhalten verändern. Außerdem stellen wir 1000 neue Abfallbehälter auf.

Und dennoch hält es sich, dass Frankfurt so dreckig ist. Nur ein Vorurteil?

HEILIG: Natürlich ballen sich Probleme in einer Stadt, die flächenmäßig nur so groß ist wie Erfurt, aber 700 000 Einwohner und hunderttausende Pendler und Touristen täglich hat. Da braucht es intelligente Lösungen, und wir sind da auch schon recht weit. Und wir können partiell auch von anderen Städten lernen. Ich war neulich in Berlin und ich war ein wenig erstaunt darüber, wie sauber es dort jenseits aller Vorurteile in manchem Kiez ist. Manchmal – nicht immer! Da kann man sich sogar was aus Berlin abschauen.

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