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Die „Blaue Wand“ soll Tabus brechen

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Vor der Wand haben Platz genommen (v.l): Victor von Boltenstern, Jochen Dworeck, Christina Möser, Sonja und Anja Yakovleva.
Vor der Wand haben Platz genommen (v.l): Victor von Boltenstern, Jochen Dworeck, Christina Möser, Sonja und Anja Yakovleva. © Alexandra Flieth

Eine Ausstellung am Mainufer thematisiert psychische Erkrankungen.

Frankfurt. Die „Blaue Wand“, ein Ausstellungformat, das am Niederräder Ufer unweit des Licht- und Luftbades umgesetzt wird, thematisiert derzeit „Psychische Erkrankungen“ aus der Perspektive von fünf Künstlern, die selbst Berührung hierzu haben - als Betroffene oder Angehörige. Über die künstlerische Auseinandersetzung sollen Zugänge zu dem Thema geschaffen werden, das für zahlreiche Menschen in Deutschland immer noch mit Stigmata behaftet ist - und damit verbunden ein Tabu, über das man nicht spricht. Victor von Boltenstern, Christina Möser, Sonja und Anna Yakovleva und Sarah Böttcher brechen mit ihrem Werk an der „Blauen Wand“ damit und laden Passanten am Mainufer ein, ins Gespräch zu kommen.

Initiiert hat das Kunstprojekt Jochen Dworeck, Ergotherapeut an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Uniklinikums Frankfurt. Das Projekt ist Teil der Veranstaltungen der Frankfurter Psychiatriewochen, die noch bis zum 15. September laufen. „Wir gehen gerne mit unseren Patienten am Mainufer spazieren“, erzählt er.

Aufruf auf Instagram

Hierüber habe er auch die „Blaue Wand“ kennengelernt und den Kontakt zu Janine Maschinsky gesucht. Sie betreut die 2016 erstmals initiierte Ausstellungsplattform, die für alle da sein soll, die kreativ arbeiten und ihre künstlerischen Ergebnisse im öffentlichen Raum ausstellen möchten.

Auch beim aktuellen Projekt stand der Gedanke im Mittelpunkt, dass nicht ein, sondern mehrere Künstler ihre Perspektiven auf das Thema sichtbar machen. „Jochen Dworeck hat mich angesprochen und ich habe einen Aufruf auf Instagram gemacht“, erzählt Viktor von Boltenstern. Im April dieses Jahres hätten sich die Künstler erstmals per Videokonferenz getroffen und die Vorbereitungen begonnen.

Die von Victor von Boltenstern gefertigte Darstellung an der „Blauen Wand“ zeigt einen Teddybären, der Spaghetti mit Fleischbällchen in sich hineinstopft. Eis, Schokopudding und Kekse gibt es noch mit dazu. Der Teddy isst, ohne sein Essen zu genießen. Als „Binge-Eating-Störung“ wird die psychische Erkrankung genannt, die dahinter steckt. Das bedeutet so viel wie exzessives Essen, ohne dass man eine Grenze findet.

Victor von Boltenstern kennt dieses Verhalten genau, da er selbst betroffen war und manchmal noch ist, wie er in einem begleitenden Text zur Ausstellung ganz offen schreibt - und damit die Erkrankung auch für Nichtbetroffene nachvollziehbar macht. Er schäme sich danach und fühle sich in seinem Körper komplett unwohl, formuliert er weiter. Wenn es ihm nicht gut gehe oder ihn etwas bedrücke, dann stille er diesen Kummer mit einem „Fress-Rausch“.

Die Künstlerin Christina Möser möchte mit ihrer Arbeit „Clustered Desires“ mit Collagen ein Bewusstsein für die Herausforderungen schaffen, mit denen Menschen mit Essstörungen und Sucht konfrontiert sind. Auf einer ihrer Collagen ist eine Schwimmerin abgebildet, die jedoch nicht ins kalte Wasser springt, um ihre Bahnen zu ziehen, sondern mit ihren Füßen vielmehr auf der Flamme eines Gasherdes steht. Statt in einem Schwimmreifen, steckt die Figur in einem Donut, der als vermeintlicher „Rettungsring“ fungiert. Mit dieser Collage visualisiert sie Konsequenzen dieser Form von psychischen Erkrankungen: der Sucht nachgeben und den Donut essen oder innerlich verbrennen.

Mit ihrer Arbeit „Eierlegende Wollmilchsau“, die Bezug nimmt auf die gleichnamige Redewendung, greifen die Schwestern und Künstlerinnen Sonja und Anna Yakovleva das Thema „peripartale Depression“ auf, die nach einer Geburt auftreten kann.

Was dies bedeutet, weiß Anna Yakovleva, die vor neun Monaten Mutter geworden ist. Sie erzählt, dass ihre Schwangerschaft sehr schwer gewesen sei und die Geburt ihr und ihrem Sohn beinahe das Leben gekostet habe. Als sie danach auf der Intensivstation gelegen habe, habe sie fühlen können, dass ihre Schwester noch viel mehr Angst um sie gehabt habe als sie selbst.

Ihr Gemeinschaftswerk greift die Ambivalenz auf, die es gibt zwischen dem, was die Gesellschaft vom Muttersein erwartet und dem, was Frauen mit „peripartaler Depression“ nach der Geburt fühlen und erleben. Alexandra Flieth

Noch bis 8. Oktober

Die Ausstellung an der „Blauen Wand“, Niederräder Ufer 2, läuft noch bis zum 8. Oktober.

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