Wieder mehr Fluglärm in Frankfurt: „Man hatte sich an die Ruhe gewöhnt“

Die ehrenamtliche Stadträtin Ina Hauck (SPD) ist Frankfurts neue Fluglärmschutzbeauftragte. Corona und Billigflieger haben zuletzt einiges verändert.
Frankfurt – Die ehrenamtliche Stadträtin Ina Hauck (SPD) ist seit Anfang Oktober auch Frankfurts neue Fluglärmschutzbeauftragte. Sie hat das Amt von Ursula Fechter übernommen. Im Interview zieht sie eine erste Bilanz ihrer neuen Aufgaben.
Frau Hauck, seit Ihrer Übernahme der Stabsstelle Fluglärmschutz ist einiges passiert: Die Stadt Frankfurt hat eine neue Regierung, der Flughafen Frankfurt brummt wieder. Haben sich diese Veränderungen auf die Arbeit der Stabsstelle ausgewirkt?
Ich sehe mich ja nicht als neue Amtsinhaberin, die alles auf den Kopf stellt, sondern ich führe die Arbeit der Stabstelle fort, die es ja schon seit fünf Jahren auf Initiative des Oberbürgermeisters gibt. Wir betreuen weiterhin ein umfangreiches Messstellennetz für Fluglärm- und Ultrafeinstaub-Emissionen, wir betreiben ein monatliches Monitoring der Flugbewegungen. Zudem halten wir Kontakt zu den Bürgern, die unter Fluglärm leiden, zu den Bürgerinitiativen gegen Fluglärm und zu Ortsbeiräten. Das wollen wir weiter ausbauen. Fluglärm ist nur ein Teil der Emissionen, die vom Luftverkehr ausgehen, der Schutz der Bevölkerung muss im Vordergrund stehen, auch unter klimapolitischen Gesichtspunkten.
Die Fraport gab jüngst bekannt, dass im Jahr 2021 der Flughafen rund 24,8 Millionen Passagiere zählte, ein Drittel mehr als im ersten Corona-Jahr. Rufen denn inzwischen, seit wieder mehr Flugbetrieb herrscht, verstärkt Bürger in der Stabsstelle an, um sich zu beschweren?
Ja, durchaus. Das Thema Fluglärm ist wieder Thema. Man hatte sich in Sachsenhausen, Niederrad und Oberrad an die Ruhe gewöhnt. Aber auch der Norden Frankfurts ist betroffen und Bürger, die dort wohnen, melden sich zunehmend bei uns. Wir analysieren noch, was die Gründe für den gestiegenen Lärm dort sein können.
Wie kann die Stabsstelle den Bürgern konkret helfen?
Mit Fluglärm einher geht auch immer Ultrafeinstaub- und CO2-Ausstoß. Ziel der Stabsstelle ist es, Maßnahmen zu unterstützen, die Fluglärm und seine Auswirkungen für die betroffene Bevölkerung reduzieren. Mit unseren monatlichen Monitorings und Messungen können wir zudem die Lärmemissionen genau analysieren.
Fluglärm am Flughafen Frankfurt: Messstationen fast durchgängig über Grenzwert
Was genau machen Sie mit diesen Daten, wie können sie genutzt werden?
Wir können zum Beispiel feststellen, wo und wann Grenzwerte missachtet werden oder wann etwa Starts oder Landungen außerhalb der Randstunden nach 23 Uhr oder vor 5 Uhr morgens stattfinden. Diese können dann gemeldet werden und finden hoffentlich zukünftig nicht mehr statt.
Welche Grenzwerte sind das?
Die von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Lärmobergrenzen etwa werden regelmäßig überschritten. Auch aktuell bei noch coronabedingt reduziertem Flugverkehr liegt die Lärmbelastung immer noch über den Grenzwerten. Die WHO empfiehlt einen Wert von 45 Dezibel durchschnittlich ganztags sowie 40 Dezibel für nächtliche Lärmbelastung. Tagsüber liegen etwa an der Martin-Buber-Schule in Sachsenhausen und bei der Friedrich-Fröbel-Schule in Niederrad die Messwerte über dem empfohlenen Grenzwert.
Und nachts?
In den Randstunden nach 22 Uhr und vor 6 Uhr lag etwa in den Monaten Juli bis September 2021 der Messwert bei drei Lärmmessstationen in Oberrad und Sachsenhausen fast durchgängig über dem empfohlenen WHO-Richtwert von 40 Dezibel.
Flughafen Frankfurt: Lockdowns zeigen Möglichkeiten auf Verzicht von Flügen
Wie werden Fraport oder die Airlines dafür belangt?
Die Messungen sollen Fraport dazu bewegen, etwa verspätete oder verfrühte Flüge am Morgen in Zukunft zu verhindern. Denn nach der Entgeltordnung werden bei verspäteten Landungen von Flugzeugen, die nach 23 Uhr eintreffen, die Airlines mit hohen Bußgeldern belegt. Dieser Steuerungsmechanismus wird künftig noch wichtiger werden, hier wollen wir auch die Bürger mehr aufklären.
Welche Ergebnisse bringen die Messungen des Ultrafeinstaubs und wie werden die Daten ausgewertet?
Das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie betreibt zusammen mit der Stadt Frankfurt Messstellen direkt am Flughafen und in Schwanheim. In Oberrad am Alten Friedhof und an der Martin-Buber-Schule in Sachsenhausen hat das Umweltdezernat der Stadt Frankfurt zusätzliche Messstellen eingerichtet. Dort werden die unsichtbaren oder nicht hörbaren Emissionen, der Ultrafeinstaub, gemessen. Die Auswirkungen des Ultrafeinstaubs werden noch erforscht, die WHO muss die Grenzwerte noch benennen. Es gibt etliche Hinweise darauf, dass auch sie die Gesundheit beeinträchtigen.
Durch die Corona-Krise gibt es momentan so viel oder besser gesagt: so wenig Flugverkehr wie zuletzt in den 1980er Jahren. Zwischenzeitlich war sogar die Landebahn Nordwest stillgelegt. Ist die Pandemie eine Chance, um dauerhaft mehr Ruhe am Himmel zu schaffen?
Die Lockdowns in den beiden vergangenen Jahren haben gezeigt, dass auf viele Flüge verzichtet werden kann, insbesondere bei den Geschäftsreisen. Außerdem müssen unter klimapolitischen Gesichtspunkten die Kurzstreckenflüge zügig auf die Bahn verlegt werden. Die hierdurch frei gewordenen Slots, vor allem in den Nachtrandstunden, sollten nicht mehr belegt werden dürfen.
Flughafen Frankfurt: „Nachstunden müssen besser geschützt werden“
Was gab es Gutes für fluglärmgeplagte Bürger aus dem vergangenen Jahr zu berichten?
Die Stadt ist Anfang des Jahres 2021 dem Bündnis Zukunft Rhein-Main (ZRM) beigetreten, einem Zusammenschluss von 20 Städten, Gemeinden und Landkreisen sowie dem Bündnis für Bürgerinitiativen und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Hessen und Rheinland-Pfalz, die sich gegen den Flughafen-Ausbau aussprechen. Ziel des Bündnisses ist unter anderem die Ausweitung der Nachtruhe auf 22 bis 6 Uhr.
Warum?
Der wichtigste Punkt ist: Lärm hat negative gesundheitliche Folgen. Der neue Koalitionsvertrag der Stadt zwischen Grünen, SPD, FDP und Volt hat sich erneut für die Stärkung des Schienenverkehrs ausgesprochen, will die Nachtruhe am Flughafen auf 22 bis 6 Uhr ausweiten und sagt auch ganz klar: Die Klimakrise und die Corona-Krise zwingen uns, über die Rolle des Frankfurter Flughafens neu nachzudenken.
Wie soll sich der Flughafen verändern, damit Frankfurter weniger unter Fluglärm leiden und trotzdem der wichtigste Arbeitgeber der Region Arbeitsplätze erhalten kann?
Die Nachtrandstunden müssen besser geschützt werden. Es müssen also weniger bis gar keine Flugbewegungen in dieser Zeit stattfinden. Auch sollen Flüge unter 500 Kilometern auf die Schiene gebracht werden. Das ist in Frankfurt fast jeder fünfte Flug. Das wäre eine tatsächliche Entlastung.
Flughafen Frankfurt: Konzept der Billigflieger kann „nicht langfristig erfolgreich sein“
Gibt es weitere Forderungen?
Auch müssen endlich Grenzwerte beim Ultrafeinstaub festgelegt werden, damit unsere Messungen, und die anderer Studien, eine anwendbare Minimierung der Schadstoffe am Frankfurter Flughafen kontrollieren können. Schadstoffe und Lärm sind sehr gesundheitsschädigend - das sollte von allen Akteuren verstanden sein. Es ist an der Zeit, über einen Strukturwandel im Luftverkehr nachzudenken und diesen aktiv zu gestalten. Weiterhin Wachstumsprognosen zu veröffentlichen, die nicht eingehalten werden, gefährdet langfristig die Arbeitsplätze. Die Strategie Billigflieger anzusiedeln, um die Flugbewegungszahlen zu erhöhen, hat zu einer Lohnkostensenkungsspirale geführt. So etwas darf nicht das Ziel sein.
Das Nachtflugverbot auszuweiten, scheint ein Kampf gegen Windmühlen zu sein. Glauben Sie, dass es gelingen wird?
Eindeutig ja. Bereits die Bürgerinitiativen haben durch ihr jahrzehntelanges Engagement so viel erreicht, dass in Frankfurt nicht 24 Stunden durchgängig geflogen wird. Das hat international Aufmerksamkeit erregt und über Frankfurts Grenzen ist dies bekannt. Heute, mit immer mehr wissenschaftlichen Studien, die die Gesundheitsrisiken von Lärm und Schadstoffen exakt belegen, wird es um so dringender sein, nicht nur den Status quo beizubehalten, sondern sogar noch zu erweitern. Wir sprechen hier für mehr Lebensqualität in und rund um Frankfurt. Die Bevölkerung der Region hat ein Recht auf ein gesundes Leben.
Anfang des Jahres gab Ryanair bekannt, dass die Airline Frankfurt künftig nicht mehr anfliegt. Freut Sie das?
Dass das Konzept der Billigflieger am Frankfurter Flughafen nicht langfristig erfolgreich sein kann, war mir schon vor fünf Jahren klar, als Ryanair zur Fraport AG kam. In diesem Zug muss auch natürlich das extra dafür gebaute neue Terminal 3 am Frankfurter Flughafen hinterfragt werden. Würde ich einen Blick in die Zukunft der Luftfahrt werfen, würde ich mich für den Umweltschutz und unsere Bevölkerung sehr freuen, wenn gerade die Billigflieger, die unsere Nachtruhe stark gefährden, nicht mehr von Frankfurt abheben. Ich hoffe, dass die Fraport AG nach der Ryanair-Erfahrung ihr Konzept nochmals überdenkt.
(Stefanie Wehr)