Die Ruhe vor dem Sturm

Auch wenige Tage vor der geplanten Rodung ist der Fechenheimer Wald noch besetzt
Frankfurt. -Hinter dem Parkhaus an der Borsigallee herrscht am Dienstag reges Treiben. Dort, wo später einmal die Trasse des geplanten Ausbaus der Autobahn 66 bis zur Autobahn 661 entlangführen soll, rattern am Nachmittag vollbeladene Lastwagen übers Baustellengelände. Bauarbeiter hämmern im Halbkreis geformte Metallbögen in die Erde. Ein Bagger schaufelt Erde von einem großen Haufen auf die Ladefläche eines Anhängers. Besonders ins Auge sticht vor allem das wuchtige Gebilde in der Mitte des Areals. Mehrere Dutzend Container sind an- und übereinandergestapelt und ergeben das Bild einer Art rechteckiger Wagenburg.
Der Eindruck täuscht nicht. Tatsächlich dienen die Container der Aufbewahrung und Sicherung von Gerätschaften und Materialien für den Bau des Riederwaldtunnels und ihre spezielle Anordnung mit abgeschlossener Freifläche im Inneren soll vorsätzliche Beschädigungen der Geräte durch Dritte verhindern. Das bestätigt die Autobahngesellschaft des Bundes, Bauherrin des Großprojektes, auf Anfrage.
Von ungefähr kommt das nicht. Schließlich wird der Autobahnbau von all jenen, die seit rund 15 Monaten den angrenzenden Fechenheimer Wald in einem Teilstück südöstlich der U-Bahnstation Kruppstraße besetzt halten, vehement abgelehnt. Die Container seien eine „Machtdemonstration“, sagt einer der Besetzer. „Das soll einschüchtern“, ist der 23-jährige Mann aus Südhessen überzeugt. Seit Mai im vergangenen Jahr schläft er in einem der wohl rund 20 Baumhäuser, die neben einer Vielzahl weiterer Hindernisse, Traversen, Seilkonstruktionen und einem etwa 40 Meter hohen Gestell die angedachte Rodung des Waldes blockieren sollen.
Baustraßen werden eingerichtet
Denn lange wird es nicht mehr dauern bis im Wald die Bagger anrücken werden. Auf einem Gebiet von 70 bis 140 Meter Breite und 230 Meter Länge plant die Autobahn-Gesellschaft Baustraßen für den Autobahn-Ausbau. Eigentlich sollte bereits im Vorjahr gerodet werden. Fehlende privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Vereinbarungen verzögerten dies ebenso wie der Umstand, dass im Sommer der Heldbock - eine geschützte Käferart - im Wald nachgewiesen wurde. Nachdem die Autobahn-Gesellschaft ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, das zu dem Schluss kam, dass der Käfer in den 47 Eichen im Rodungsgebiet leben könnte, weshalb diese Eichen bei der Rodung erst einmal ausgespart werden, soll es endlich losgehen.
Die Rodungsarbeiten stünden unmittelbar bevor, vermeldete die Bundesbehörde in der vergangenen Woche und teilte gleichzeitig mit, das Rodungsgebiet zwischen dem heutigen 6. Januar bis voraussichtlich zum 31. Januar für die Öffentlichkeit zu sperren. „Die Autobahn-Gesellschaft untersagt die Nutzung der Flächen, insbesondere auch den dauerhaften und auch nur vorübergehenden Aufenthalt in den dort errichteten Baumhäusern und sonstigen Einrichtungen“, heißt es von Seiten der Landesbehörde, die Besitzerin des Grundstücks ist und von einer Sperrbefugnis laut Hessischem Waldgesetz Gebrauch macht. Das bedeutet: Die Polizei wird das Gebiet wohl demnächst räumen.
Manch Anwohner befürchtet gewaltsame Auseinandersetzungen. „Ich glaube nicht, dass es friedlich bleibt. Es sind immer welche dabei, die Randale wollen“, meint eine ältere Dame, die am Nachmittag mit ihrem Rollator auf der Birsteiner Straße unterwegs ist. Kritisch sieht die Sache auch eine 81 Jahre alte Fechenheimerin, die gerade in ihr Auto steigt. „Ich frage mich, woher die das Geld haben um nicht arbeiten gehen zu müssen“, sagt sie und prognostiziert. „Die sind so fanatisch. Das bleibt nicht friedlich.“ Andere haben eine konträre Meinung. „Da sind keine Gewalttäter dabei. Das sind Menschen, die sich für etwas einsetzen, das auch in meinem Sinne ist“, meint ein Mann aus Enkheim. Er lehne Riederwaldtunnel und Autobahnausbau ab. „Jede neue Straße bringt neuen Verkehr“, sagt er.
Klar scheint: Ein eindeutiges Stimmungsbild gibt es bei den Anwohnern nicht. „Ich finde, den Ausbau eigentlich ganz gut. Der Verkehr am Riederwald ist extrem und muss entlastet werden“, sagt ein Fechenheimer. Den Wald zu roden, sei zwar nicht schön, aber „wenn es sein muss, dann geht das eben nicht anders“. Die Waldbesetzer verurteile er nicht. „Dagegen sein gehört in einer Demokratie dazu“, findet der 40-Jährige.
Der Konflikt scheint dennoch programmiert. „Freiwillig gehen wir nicht“, stellt ein Besetzer klar. Wie das Ganze ablaufe, hänge von der Polizei ab, fügt er an. Prinzipiell seien sie gewaltfrei, „aber natürlich steht es jedem offen, wie weit er geht“, erklärt der junge Mann. Er selbst werde sich in seinem Baumhaus verbarrikadieren und auf die Ordnungskräfte warten.
Ein anderer wird konkreter. „Ich lasse mich raustragen: Das ist ja der Sinn einer Besetzung“, meint der 17-Jährige, der aus dem Norden Deutschlands stammt. Seit zwei Wochen ist er an Ort und Stelle. „Es kann nicht sein, dass im Jahr 2023 noch Wälder für Autobahnen gerodet werden“, erklärt er seine Beweggründe dafür, den langen Weg nach Frankfurt auf sich genommen zu haben.
Tag der Räumung noch unklar
Wann geräumt wird, ist unklar. Für kommenden Montag, 9. Januar, hat die Polizei zu einem Info-Gespräch ins Polizeipräsidium geladen. Sollte geräumt werden, hoffen die Aktivisten auf viel Unterstützung. Plakate seien in Druck, es werde im Netz mobilisiert, zudem sei man eng vernetzt mit linken Gruppierungen in Frankfurt und den zahlreichen Initiativen, die sich gegen den Ausbau wenden. Insgesamt hätten bereits 200 Leute angekündigt auf jeden Fall zivilen Ungehorsam zu leisten, sagt Ursula Mayer-Eppelsheimer (80), die zwar nicht im Wald campiert, die Besetzung aber „von Anfang an“ unterstützt. Für den 7. Januar haben die Besetzer zu einer Demo mit Start um 10.30 Uhr am DGB-Haus Wilhelm-Leuschner-Straße 69-77 aufgerufen. Florian Neuroth