Dieser Verein will nicht nur Eltern die Augen öffnen

Frankfurter Mediziner und Wissenschaftler setzen sich dafür ein, dass Sehschwächen bei Kindern frühzeitig erkannt werden
Dieser Blick aus den riesigen blauen Kinderaugen könnte vermutlich jedes Herz zum Schmelzen bringen. Umso ernüchternder ist der Satz, der neben dem Foto des kleinen Mädchens steht: „Die Augen hat sie vom Papa .... seine Sehschwäche auch“. Mit diesem Plakat wirbt der Frankfurter Verein Augenstern für seine Arbeit.
Vor gut 24 Jahren wurde er von den Augenärzten Alina Zubcov-Iwantscheff und Christian Ohrloff am Universitätsklinikum gegründet, damit Sehschwächen bei Kindern möglichst früh erkannt werden. Denn da liege noch einiges im Argen, sagt Zubcov-Iwantscheff, die den Verein jahrelang als Vorsitzende leitete, bevor zu Jahresbeginn ein neuer Vorstand diese Aufgabe übernahm. Vielen Eltern sei gar nicht bewusst, dass sich etliche Augenfehler mit einer frühen Diagnose und Therapie gut korrigieren oder sogar beseitigen lassen. Dabei habe fast ein Drittel aller Kinder bis zu vier Jahren eine korrekturbedürftige Fehlsichtigkeit, die ohne rechtzeitige Korrektur durch eine Brille zu einer Sehschwäche führen könne.
Diagnosen schon bei Säuglingen möglich
Nur zu gut erinnert sich die Medizinerin daran, wie sie Anfang der 1990er-Jahre aus den USA, wo sie fünf Jahre lang in einer Forschungseinrichtung tätig war, an die Augenklinik am Frankfurter Universitätsklinikum kam. Schon in ihrer ersten Arbeitswoche seien ihr dort mehrere Kinder begegnet, die unter starker Kurzsichtigkeit litten, erzählt sie - „mit minus fünf oder sogar minus sechs Dioptrien“, so dass ihre Augen nur noch maximal 20 Prozent Sehleistung schafften. Beeinträchtigungen, die sich möglicherweise nicht in dieser Stärke ausgeprägt hätten, wären sie rechtzeitig entdeckt worden. Schließlich könne Weit- beziehungsweise Kurzsichtigkeit heute schon im Säuglingsalter festgestellt werden, sagt Alina Zubcov-Iwantscheff. Mit Brillen oder Kontaktlinsen könne Schwachsichtigkeit verhindert werden.
Eine kleine Patientin aus jenen Anfangsjahren ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben: ein eineinhalbjähriges Mädchen, das mit Grauem Star auf einem Auge geboren worden war, was zunächst niemand erkannt habe. Obwohl den Eltern schon früh aufgefallen sei, dass mit den Augen ihrer Tochter etwas nicht stimmen könne: „Sie sind von Arzt zu Arzt gerannt.“ Erst in der Frankfurter Augenklinik habe man die richtige Diagnose gestellt. Das Problem: Für eine erfolgreiche Therapie war das schon zu spät. Die müsse in so einem Fall nämlich in den ersten drei Lebensmonaten einsetzen, sagt die Ärztin. Operiert habe man das Mädchen dennoch, „aber das Sehen konnte sich nicht mehr optimal entwickeln“.
Um andere Kinder davor zu bewahren, setzt der Verein Augenstern auf Aufklärung. Darüber, dass Babys normalerweise mit drei Monaten in alle neun Blickrichtungen schauen und Objekte mit den Augen verfolgen können. Darüber, dass das räumliche Sehen erst mit sechs Monaten beginnt und nur dann gut klappt, wenn beide Augen dieselbe Sehstärke haben. Und darüber, dass das Sehvermögen erst mit sieben Jahren komplett ausgereift ist.
Als tollpatschig verlacht
Umso wichtiger seien die Jahre davor, sagt Zubcov-Iwantscheff, die sich nach einigen Jahren an der Uniklinik mit einer eigenen Praxis in Ginnheim selbstständig machte. In dieser Zeit müssten sich die „Seh-Bahnen“ zwischen Augen und Gehirn ausprägen. Ist dieser Prozess gestört, weil ein Auge weniger gut funktioniert als das andere, wirkt sich das auf die gesamte Entwicklung aus. Babys und Kinder, die stark kurz- oder weitsichtig sind, reagierten beispielsweise verzögert, seien oft unsicher und würden häufig als tollpatschig verlacht.
Auch das Schielen, von dem immerhin fünf Prozent aller Jungen und Mädchen betroffen sind, könne die motorische Entwicklung beeinträchtigen. Dabei lasse sich das bei frühzeitiger Behandlung oft gut korrigieren, erklärt die Medizinerin. Etwa durch stundenweises Abkleben des gesunden Auges. Denn dadurch werde das Gehirn gezwungen, das schwache Auge zu trainieren.
Die Aufklärung von Eltern, Ärzten, Erziehern und Lehrern behält auch der neue Augenstern-Vorstand im Blick: die Augenheilkundler Thomas Kohnen und Yaroslava Wenner von der Frankfurter Universitätsklinik sowie ihr Ulmer Kollege Hermann Gümbel. Denn, betont Kohnen: „Je früher das Augenleiden erkannt und behandelt wird, desto besser sind die Heilungschancen.“ Vor allem Mütter und Väter, in deren Familien bereits Sehstörungen bekannt sind, sollten sich frühzeitig an einen Spezialisten wenden, ergänzt Yaroslava Wenner: „Sind beide Elternteile beispielsweise von Kurzsichtigkeit betroffen, ist Handeln angesagt. Das Kind hat eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, ebenfalls kurzsichtig zu werden.“
Die Gefahr dabei: Kinder, die schlecht sehen, könnten im Kindergarten oder in der Schule schnell in eine Außenseiterrolle geraten, sagt Alina Zubcov-Iwantscheff. Dabei sei es eigentlich gar nicht so schwer, das zu verhindern. Mit einem einfachen Sehtest könne man einem Kind auch sozial wieder eine bessere Perspektive geben, erklärt sie: „Je eher die Sehschwäche entdeckt wird, desto schneller findet ein Kind wieder Anschluss.“