Spezialteam der Frankfurter Stadtreinigung: „Du musst in dem Job abgehärtet sein“
Melanie Otte arbeitetet seit zwei Jahren in einem Spezialteam der Frankfurter Stadtreinigung. Ihr Job ist kein Kinderspiel – dennoch macht sie ihn gerne.
Frankfurt – Es ist noch nicht einmal 13 Uhr, doch am Liebfrauenberg wird bereits angestoßen. Dutzende Menschen haben sich an diesem Samstag neben der Kleinmarkthalle eingefunden, um den Start ins Wochenende zu begießen. Es ist eng. Die Feiernden stehen so dicht, dass die drei Gestalten mit den schweren Arbeitsschuhen und orangenen Kappen trotz ihrer neonfarbenen Warnwesten nur bei genauem Hinsehen zu erkennen sind. Dunkle Tonnen hinter sich herziehend, gehen sie durch die Menge. Dann und wann bleiben sie stehen und sammeln leere Zigarettenpäckchen, Pappbecher und andere Party-Überbleibsel vom Boden auf. Unaufgeregt werfen sie den Müll in die Tonnen. Von der feucht-fröhlichen Stimmung lassen sie sich nicht beeindrucken.
Spezialteam der Frankfurter Stadtreinigung ist täglich am Liebfrauenberg: „Das ist unsere Partymeile“
Melanie Otte und ihre Kollegen kennen den Liebfrauenberg schließlich gut. „Wir sind jeden Tag hier. Das ist unsere Partymeile“, sagt sie. Die 43-Jährige ist Stadtreinigerin bei der Frankfurter Entsorgungs- und Service Gesellschaft (FES). Gemeinsam mit 21 weiteren Kollegen der Sondereinheit #cleanffm Express sorgt sie für Sauberkeit an neuralgischen Punkten - vor allem in der Innenstadt. Ein Job, der keine Pause kennt und gönnt. „Wir sind 24/7 unterwegs. Am Wochenende und abends. Zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter.“

Otte arbeitet an fünf Tagen in der Woche. Meist beginnt ihre Schicht um 11.30 Uhr. „Das heißt umgezogen und im Fahrzeug“, sagt sie. Heute steht der Kehrichtsammelwagen (KeSaWa) - ein weißer Mehrtonner mit einer von Netzen abgedeckten Ladefläche - um Punkt 12 Uhr in der Elefantengasse. Otte hat ihre Arbeitsklamotten an. Sie trägt ein blaues Vlies unter der Weste, die ebenso orange ist wie die Arbeitshose und das Baseball-Cap. Die Ärmel hat die Frau mit dem Pferdeschwanz leicht hochgekrempelt. Unter dem Stoff lugt am rechten Unterarm ein Tattoo hervor.
Gute Laune ist Grundvoraussetzung bei Frankfurter Stadtreinigung
Das Handy klingelt. Am anderen Ende ist FES-Pressesprecher Stefan Röttele. Otte ist gut gelaunt. „Da sind zwei nette Männer gekommen. Die dürfen Sie gern wieder schicken“, sagt sie, kichert und legt auf. Es wird eine von vielen kecken Bemerkungen in den kommenden eineinhalb Stunden sein. Otte ist eine Frohnatur, lacht gern und viel.
Das ist vielleicht nötig, wenn man in einem Beruf arbeitet, der darin besteht, Mülleimer auszuleeren und den Dreck aufzusammeln, den andere Leute auf der Straße hinterlassen. Ekel empfinde sie dabei nicht, sagt die gebürtige Frankfurterin. „Man gewöhnt sich an alles. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.“ Das wiederholt sie häufig. Sie hat sich damit abgefunden, dass sie und ihre Kollegen von „normalen Bürgern“, wie sie es formuliert, gerne mal abgestempelt werden. „Wer mit Müll zu tun hat, wird als niedriger angesehen, so denken einige“, weiß Otte. Ob sie das stört? „Nein“, antwortet sie sofort. „Du musst in dem Job abgehärtet sein.“

Start bei der Stadtreinigung: „Erstmal ging es ums Geld“
Der KeSaWa setzt sich in Bewegung. Otte sitzt am Steuer. Wie immer. Sie ist auch als Berufskraftfahrerin bei der FES angestellt, fuhr noch vor einigen Jahren im Winterdienst die Lastwagen bei der FES-Tochter FFR. Vorher war sie dort in der Gärtnerei. Das Gärtnern hat sie Mitte der 1990er-Jahre im Botanischen Garten gelernt. Danach arbeitete sie in „vielen kleinen Betrieben“, war auch mal im Straßenbau im Main-Spessart-Kreis tätig. „Der Arbeitsweg war mir irgendwann zu lang, und außerdem wurde man erst ab der Baustelle bezahlt“, erklärt sie den Wechsel zur FFR.
Ähnlich pragmatische Gründe hatte ihr Einstieg bei der Stadtreinigung. Vor zwei Jahren suchte die FES eine Arbeitsgruppenleiterin für die neu ins Leben gerufene Sondereinheit #cleanffm. Otte bewarb sich und wurde genommen. „Ganz ehrlich: Erstmal ging es ums Geld“, sagt sie. „Wir sind nach TVÖD eingeteilt, bei der FFR ist das privat.“
Nur vier Frauen in der Stadtreinigung Frankfurt
Otte ist jemand, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht und weiß, wie man sich in einer Branche behauptet, die von Männern dominiert wird. In ganz Frankfurt arbeiten gerade mal vier Frauen in der Stadtreinigung. Als Außenseiterin fühlt sie sich trotzdem nicht. „Wir werden mehr, und außerdem will ich den Jungs zeigen, dass wir Frauen genauso anpacken können.“ Da mag sie es gar nicht, wenn ihr ein Kollege ab und zu mal beim Tragen schwerer Gegenstände helfen will und das mit ihrem Geschlecht begründet. „Ich steh’ selber meinen Mann“, sagt Otte. Nach wenigen hundert Metern hält sie an. Zur Rechten liegt der Peterskirchhof der Jugend-Kultur-Kirche Sankt Peter - das erste „Objekt“ auf der Route. Ottes Kollegen steigen aus, holen zwei Mülltonnen von der Ladefläche und gehen in Richtung der Grünanlage. „Die Jungs machen drinnen die Müllkörbe leer, ich sammel den groben Müll vom Boden, damit es wieder ansehnlich ausschaut“, erklärt sie.
Aus dem Seitenkasten nimmt Otte eine Pickerzange und hebt einen Plastikbottich von der Ladefläche. Durch ein Loch in der Seite ist ein abgeschnittenes Elektrokabel gezogen. „Not macht erfinderisch“, sagt sie. Das Kabel in der Hand zieht sie den Bottich hinter sich her, der ein schabendes Geräusch auf dem sandigen Parkweg macht. Viel muss sie nicht auflesen. „Sieht gut aus. Man merkt, dass es heute Morgen geregnet hat. Bei besserem Wetter sind mehr Leute draußen und dann liegt mehr Müll herum“, sagt sie. In der Nähe einer Parkbank geht die Stadtreinigerin zu einer quadratischen Mülltonne. „Schön, dass du mich gefunden hast“, steht nebst einem Smiley und dem Schriftzug #cleanffm auf dem grünen Untergrund der sogenannten Müllgarage.
Schwerpunkte der Stadtreinigung in Frankfurt: Bahnhofsviertel, Innenstadt, Grünanlagen
Aufgestellt wurde der Behälter im Rahmen der gleichnamigen städtischen Sauberkeitsinitiative. Auch Ottes Sondereinheit ist Teil davon. 1,8 Millionen Euro geben die Stabstelle Sauberes Frankfurt und das Umweltamt für die 22 Zusatz-Stadtreiniger aus - neben dem kommunalen Stadtreinigungsbudget. Das Express-Team wird vor allem nachmittags sowie an den Wochenenden oder feiertags an besonderen Schwerpunkten eingesetzt, sagt Pressesprecher Röttele. Derzeit gehe es ums Bahnhofsviertel, die Innenstadt und Grünanlagen. Jeden Monat werden die Schwerpunkte neu festgelegt.
Mit einem Dreikant schließt Otte die Müllgarage auf und kippt den Inhalt des Plastikbehälters in den Bottich. Ein Mann kommt vorbei. In der Hand hat er einen leeren Kaffeebecher. „Darf ich?“, fragt er. „Na klar“, sagt Otte. Mit einem Klack trifft der Becher auf Brottüten, Fast-Food-Verpackungen und Bananenschalen. Das höfliche Verhalten ist kein Einzelfall. Immer wieder bedanken sich Passanten bei ihr, berichtet die Stadtreinigerin - und an der Kleinmarkthalle helfen die Leute manchmal sogar mit. „Das find’ ich gut“, meint Otte. „Einer macht den Anfang, und dann ziehen alle nach. Typisches Rudelverhalten“, sagt sie und lacht mal wieder.
Stadtreinigung Frankfurt: „Dafür muss man geboren sein“
Manche seien hingegen „so frech und stellen sich auf den Besen“, andere „werfen den Müll direkt vor uns auf den Boden“. Otte zuckt mit den Schultern. „Das müssen wir akzeptieren.“ Immerhin werde sie dadurch nicht arbeitslos. Andererseits ärgere sie das achtlose Wegwerfen von Müll schon. „Man sollte einfach auf seine Umwelt achten.“
Handgreiflich werde aber nie jemand. Außer am Hauptbahnhof. Da haben die Stadtreiniger stets die Polizei dabei. „Aber es wird besser. Die gewöhnen sich langsam an uns“, meint sie. Am Hauptbahnhof ist Otte jeden Tag. „Die erste Woche war schon hart. Da hatte ich nachts Alpträume.“ Auch heute wird sie noch in Frankfurts schmuddeligste Ecke fahren: „Um 15 Uhr haben wir ein Date mit der Polizei“, sagt sie fröhlich.
Vorher geht’s erst zur Katharinenkirche, dann ab an die Kleinmarkthalle. „Der Job ist viel ins Auto rein und wieder raus. Dafür muss man geboren sein.“ Wie ihr Sohn. 23 Jahre ist er alt und macht in Oberursel eine Ausbildung zum Stadtreiniger. „Vorher war er bei uns. Da hat er gemerkt, dass das was für ihn ist“, sagt Otte stolz. Auch ihren Verlobten lernte sie bei der FES kennen. In zwei Monaten wird geheiratet.
Süffisante Grüße von der Ladung
Am Liebfrauenberg steht Otte neben dem Wagen. Ein Kollege schüttet den eingesammelten Müll auf die Ladefläche und schiebt den Haufen mit einer Schaufel nach vorne. Plötzlich vibriert das Smartphone. Otte schaut aufs Display. „Ein Sonderauftrag kam gerade rein“, sagt sie. Ein Bürger hat angerufen und die Zentrale darüber informiert, dass zerbrochenes Glas im Brockhaus-Brunnen auf der Zeil liegt. Auf dem kurzen Stück dorthin beginnt es im Wagen leicht zu müffeln: Die Ladung sendet süffisante Grüße. Otte nimmt das nicht wahr. „Das rieche ich nicht mehr. Nur nach dem Urlaub ist der Geruch mal für eine Woche in der Nase.“

Am Brunnen - derzeit eigentlich außer Betrieb - haben sich ob der morgendlichen Regenschauer braune Süppchen gebildet. Dazwischen liegt allerhand Unrat. Kippenstummel und -päckchen, Getränkedosen, ein Weinkorken und eine zerbrochene Flasche. Die Splitter schwimmen in der Flüssigkeit. „Gefährlich. Hier spielen Kinder“, sagt Otte. Seelenruhig steigt sie mit den Stiefeln ins schmutzige Gemisch. Ein kleines Mädchen schaut der Stadtreinigerin fasziniert dabei zu, wie sie mit einer Zange im Abfluss herumstochert. „Ja, jetzt läuft’s“, sagt Otte und hält einen Flaschendeckel in die Höhe. „Das war der Übeltäter.“
Einen der Abflüsse kriegen sie nicht frei, dafür müssen Spezialisten anrücken. Die Stadtreiniger ziehen in der Zwischenzeit weiter. Roßmarkt, Hauptbahnhof und weitere Punkte in der Innenstadt, bis 19.30 Uhr. Langweilig wird ihnen nicht. Denn zu wenig Arbeit haben sie nie. „Müll gibt es an sieben Tagen die Woche, 24 Stunden“, sagt Otte und lacht: „So ist das. Leider.“ (Florian Neuroth)
Im nächsten Teil:
Kommende Woche erzählen wir von schaurigen Funden im Müll und wer in 150 Jahren Entsorgung den undankbarsten Job hatte.