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Wer war eigentlich Fritz Bauer?

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ARCHIV - Das Archivbild aus dem Jahr 1961 zeigt den Chef-Ankläger des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, Fritz Bauer. dpa
ARCHIV - Das Archivbild aus dem Jahr 1961 zeigt den Chef-Ankläger des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, Fritz Bauer. dpa © Goettert (dpa)

Am Sonntag kommt das Who-is-who aus hessischer und deutscher Politik, Justiz und Gesellschaftsvertretern zusammen, um einen Mann zu ehren: Fritz Bauer. Am 1. Juli 1968 starb der ehemalige hessische Generalstaatsanwalt. Warum man seinen Namen kennen muss:

Frankfurt in den späten 50er Jahren. Deutschland genießt das Wirtschaftswunder, die Trümmerzeiten sind vorbei, die Zeiten des Krieges gefühlt sehr lange her. Dass Verbrechen im Krieg geschehen sind, will keiner bezweifeln, doch die Schuldigen wurden längst von den Alliierten verurteilt, die Entnazifizierung hat stattgefunden, die Zukunft kann kommen. So zumindest die gefühlte Wahrheit der deutschen Gesellschaft in den späten 50er Jahren. Der Schlussstrich, der bis heute gefordert wird, wäre damals fast gezogen worden.

„Was man nicht ahnte, war, wie viel andere Mitmenschen mit diesen Dingen viel näher verbunden waren, als man ihnen so ansah“, erzählt Gerhard Wiese, Weggefährte von Fritz Bauer, heute. Niemand habe zu dieser Zeit geahnt oder wahr haben wollen, dass es ganz normale Leute, Familienväter, Bäcker, Metzger, Postboten waren, die im System der Nationalsozialisten in den Vernichtungslagern zu tausendfachen Mörder wurden.

Neun Monate im KZ

Zwar wurde die Vergangenheit verurteilt, doch dabei bloß auf einige wenige Namen beschränkt: Hitler, Göring, Heß etc. Das waren die Schuldigen, jene die wirklich Böses taten, so die Annahme. Doch ein Mann wusste es besser!   

Fritz Bauer, 1903 in Stuttgart geboren, arbeitet sich schon vor dem Krieg bis zum Amtsrichter hoch. Als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie erlebte er die Mechanismen des nationalsozialistischen Apparats am eigenen Leib. Mehrfach wurde es von der Gestapo verhaftet. 1933 verbrachte er neun Monate im KZ Heuberg. Er floh nach Schweden und veröffentliche diverse Bücher. Erst 1949 kehrte er nach Deutschland zurück und konnte mit der Hilfe von Kurt Schumacher an seine Kariere anknüpfen. Nach einer Station in Braunschweig wurde er im März 1956 schließlich hessischer Generalstaatsanwalt.   

Arbeiten im Feindesland

Bauer erlebte aus nächster Nähe, wie viele ehemalige Nationalsozialisten es wieder in relevante Ämter gebracht hatten, auch in der Justiz. Als Leidtragender des NS-Regimes zeigte er wie kaum ein anderer die unbedingte Bereitschaft, das Kriegsgeschehen auch juristisch aufzuarbeiten. Mit wie viel Gegenwind er dabei Leben musste, verdeutlicht eines seiner berühmtesten Zitate: „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich Feindesland!“

Von Bauers juristischem Schaffen gilt es vor allem zwei Ereignisse hervorzuheben: 1957 erhielt Bauer Informationen über den Aufenthaltsort des NS-Kriegsverbrechers und Mitorganisatoren des Holocaust Adolf Eichmann. Bauer reagiert pragmatisch: Er gibt seine Informationen an den israelischen Geheimdienst Mossad weiter. Dieser entführt Eichmann 1960 aus Argentinien. 1961 wird Eichmann schließlich in Jerusalem zum Tode verurteilt.

Rückhalt der Auschwitz-Prozesse

1959 kommt es schließlich zu einer Begegnung, die Fritz Bauers Namen bis heute unvergessen werden lässt: der Journalist Thomas Gnielka überreicht ihm Dokumente aus Auschwitz. Diese liefern Beweise über Erschießungen im Vernichtungslager. Der Jurist wittert eine Chance, endlich die Geschehnisse in Auschwitz aufzuarbeiten – juristisch wie historisch.

Bauer war sich dieser Doppelfunktion immer bewusst, es war sogar sein Bestreben, das Geschichtliche im Strafprozess mitaufzuarbeiten, wie Gerhard Wiese im FNP-Interview berichtet. Wiese selbst wurde damals von Fritz Bauer beauftragt, zusammen mit drei weiteren Kollegen als Staatsanwalt die Anklage des ersten Frankfurter Auschwitzprozesses auszuarbeiten. Bauers Motivation war jedoch nicht von heroischem Gerechtigkeitsempfinden geprägt, sondern schlicht von juristischer Korrektheit. In den Lagern wurden strafbare Verbrechen begangen – von jedermann – und diese gehören nun mal bestraft. Mord verjährt nicht.

Die Auschwitzprozesse gingen zu Ende: unbefriedigend. So war es damals noch nicht möglich, dass eine Person allein für die Tatsache, Teil einer Mordmaschinerie gewesen zu sein, bestraft werden kann. Es bedurfte einzelner Beweise für jede konkrete Tat. Entsprechend gering fiel das Strafmaß in einzelnen Fällen aus. Doch der Sinn der Auschwitzprozesse war etwas Größeres, als schlichte Urteile zu sprechen. „Es war nun gerichtlich festgestellt, was in Auschwitz geschehen ist. Das sollte und konnte keiner mehr bestreiten,“ erklärt Gerhard Wiese.

Sehen Sie ein Video-Portrait mit Gerhard Wiese über den Prozess.

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Das Land sähe heute anders aus

Wie würden wir die Ereignisse des zweiten Weltkrieges beurteilen, hätte es Auschwitz nie in den Fokus der Öffentlichkeit geschafft? Welches Bild von NS-Regime hätten wir, wäre nie festgestellt worden, dass es ganz normale Menschen waren, die im Schatten von Befehl und Gehorsam Menschheitsverbrechen begangen? Es darf angenommen werden, dass ohne den Einsatz von Fritz Bauer die deutsche Aufarbeitungsgeschichte ganz anders verlaufen wäre. Ob die Verdrängung der eigenen Schuld je durchbrochen worden wäre, ist ungewiss. Ob Deutschland überhaupt je von einer wirklich Aufarbeitung hätte sprechen können, ebenso.

Um Rache ging es Fritz Bauer dabei übrigens nie. So erklärte er 1961: „Man muss sich bewusstmachen, dass diese Prozesse nicht der Rache und Vergeltung dienen. Für uns ist hier der Gedanke entscheidend, im Prozess die Vergangenheit durchsichtig zu machen und einen Beitrag zur deutschen Geschichte zu leisten.“

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