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Ein offenes Ohr beim Schritt ins eigene Leben

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Von: Katja Sturm

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Guter Draht zu jungen Menschen: Timo Tratzki.
Guter Draht zu jungen Menschen: Timo Tratzki. © Sauda

Die Careleaver-Beratung der Stiftung Waisenhaus ist einmalig in Frankfurt - eine zweite Stelle ist geplant.

Frankfurt. Manchmal, wenn sie im Café zusammensitzen, plaudern sie auch über „Schönes“. Über Eintracht Frankfurt beispielsweise, den Fußballverein, für den sie beide eine Leidenschaft pflegen. „Das muss auch mal sein“, sagt Fabian. „Man kann nicht nur über Probleme reden.“

Einmal pro Woche trifft sich der 22-Jährige mit Timo Tratzki, seinem Betreuer in der sogenannten Careleaver--Beratung der Stiftung Waisenhaus. Seit September 2021 gibt es dieses Projekt in Frankfurt. Es ist dafür da, jungen Menschen, die einen Teil ihres Lebens in einer stationären Jugendhilfemaßnahme verbracht haben, beim Übergang in die Eigenständigkeit und in allen Fragen und Nöten, die damit verbunden sind, zu helfen. Unabhängig von den Fristen, die ansonsten damit verbunden sind. Denn von staatlicher Seite aus endet eine solche Nachbetreuung nach spätestens sechs Monaten.

Bei Tratzki können sich die jungen Leute noch deutlich länger melden, egal, ob sie regelmäßige Treffen wünschen oder nur einmal, in einer Krisensituation, Unterstützung benötigen. „Bei uns ist immer jemand erreichbar“, sagt der 42 Jahre alte Diplom-Sozialarbeiter. Obwohl es derzeit nur eine, seine Stelle bei Careleaver gibt; eine zweite ist geplant. Der Bedarf wächst, bislang ist das Angebot, dessen Bezeichnung aus dem Englischen stammt und so viel wie „Fürsorge-Verlasser“ bedeutet, einmalig in der hessischen Großstadt. Tratzki hatte 2022 mit 50 jungen Erwachsenen persönlichen Kontakt; die Telefonanfragen zählt er nicht mit.

Als „wichtige Stütze“ bezeichnet Fabian Tratzki, als neue Vertrauensperson in einer Phase, die in mehrfacher Hinsicht einen großen Umbruch darstellte, in der er plötzlich lernen musste, allein zurechtzukommen, und in der er sich oft einsam fühlte. „Als wäre mir alles genommen.“

Den „Einschnitt“, der sein Leben von Grund auf verändern sollte, hatte Fabian 2014 erlebt. Damals war sein Vater sieben Monate nach einer Krebsdiagnose gestorben. Der Sohn verlor den Halt, hatte zu nichts mehr Lust, ging nicht mehr zum Fußball, nicht mehr in die Schule und zockte nur noch vor dem Computer. Nach zwei Klinikaufenthalten war klar, dass sich etwas ändern musste. „Zu Hause habe ich mich nicht gut gefühlt“, erzählt Fabian. Er drohte dort wieder in die „schlechten Muster“ zu fallen.

2017 zog er in eine therapeutische Wohngruppe um. Bei neun Bewohnern und sieben Betreuern war Tag und Nacht jemand da, mit dem er sprechen konnte. Im Mai, mit Vollendung seines 23. Lebensjahres, hätte der Fachabiturient ausziehen müssen. Er beschloss, den Abschied vorzuziehen. „Irgendwann nerven einen die ganzen Regeln“, sagt Fabian.

Statt wie erhofft in eine Wohnung der Waisenhaus-Stiftung im Gallus und damit in die Nähe zweier früherer Mitbewohner umziehen zu können, wurde ihm ein Ein-Zimmer-Appartement in Schwanheim zugewiesen, das er selbst renovieren musste. Der Vorteil sei gewesen, dass er nicht von einem Tag auf den anderen aus der WG musste. Aber die erste Woche, die er allein verbrachte, „war vielleicht die schlimmste in meinem Leben“. Er habe Panikattacken und Angst gehabt, das alles nicht zu schaffen.

Umso „glücklicher“ war er über das Angebot der Nachbetreuung. Und darüber, in Tratzki eine neue Bezugsperson gefunden zu haben, mit der ihn ein anderes Verhältnis als mit seiner WG-Betreuerin verbindet, die er als eine Art „Zweitmutter“ bezeichnet.

Ob es darum geht, mit seinen Finanzen oder der Bürokratie zurechtzukommen, um sozial-emotionale Fragen, auch in der Ausbildung, oder jene in Alltagsdingen - Tratzki steht für alle Angelegenheiten zur Verfügung. Nur nicht für Therapeutisches, „dafür bin ich nicht ausgebildet“. Ein monatlicher Brunch für alle ergänzt das Angebot; demnächst soll eine gemeinsame Bildungsreise nach Weimar stattfinden. Es sei gut, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, sagt Fabian.

Um nachzuvollziehen, wie wichtig eine solche Hilfe ist, müsse man sich einfach nur daran erinnern, welche Probleme man selbst beim Schritt ins eigene Leben gehabt habe, sagt Tratzki. Zudem seien die jungen Menschen aus Einrichtungen oft schon früh mit Dingen konfrontiert, die für andere nicht aufploppen oder bei denen noch die Eltern helfen.

An seine WG-Betreuerin könnte Fabian sich zwar weiter wenden, genieße aber nicht mehr „Priorität“. Mit seiner Mutter versteht er sich wieder besser. Dennoch will der angehende Kaufmann für Büromanagement sich weiterhin mit Tratzki treffen. Und dabei immer seltener über Probleme reden. Katja Sturm

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