Ein Pfarrerssohn der das Fliegen liebte

Dem Piloten Günther Groenhoff gelangen spektakuläre Rekorde Die Wasserkuppe in der Rhön ist als Wiege des Segelflugs bekannt. Dort haben sechs Darmstädter Studenten schon 1911 die ersten bescheidenen Flugversuche mit selbstgebauten Gleitern gewagt. Etwa 20 Jahre später gelangen einer Gruppe herausragender Piloten um den Frankfurter Günther Groenhoff auf Hessens höchstem Berg (950 Meter) spektakuläre Rekorde.
Vor 90 Jahren, am 23. Juli 1932, ging Groenhoffs Leben abrupt zu Ende, als er an der Wasserkuppe mit seinem Flugzeug Fafnir in den Tod stürzte. Der Segelflieger aus Leidenschaft starb mit nur 24 Jahren. Groenhoff wurde in einem städtischen Ehrengrab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beigesetzt.
Es geschah Merkwürdiges am frühen Morgen des 10. Juni 1931 auf dem Jungfraujoch im Berner Oberland. Auf 3466 Metern Höhe zwischen den legendären Schweizer Berggiganten Jungfrau, Mönch und Eiger ging an diesem eiskalten Mittwoch eine Gruppe dick eingepackter Männer mit Schaufeln und Hacken einem mächtigen Schneeberg zu Leibe. Zum Vorschein kam nach einigen Minuten ein Segelflugzeug - der Fafnir von Günther Groenhoff. Der erfahrene Luftsportpionier war einer jener Männer, die am Tag zuvor die Maschine im Schnee vergraben hatten, um sie vor dem stürmischen Wetter zu schützen. Groenhoff war mit seinem vierköpfigen Team auf Einladung des schweizerischen Aero-Clubs zu einer Segelflugexpedition in die Alpen gekommen. Er wollte die Riesenchance nutzen, als erster Pilot in so großer Höhe starten zu können und mit seinem Hochleistungssegler fliegerisches Neuland zu erforschen. Der Fafnir war mit einem Autoanhänger von der Wasserkuppe in die Schweiz gebracht worden. Dort wurde die Maschine zerlegt, mit zwei offenen Wagen der 1912 eröffneten Zahnradbahn zu Europas höchstgelegenem Bahnhof (3454 Meter) am Jungfraujoch transportiert und wieder zusammengebaut.
Das Wetter passte, der Fafnir war startklar. Wie auf der Wasserkuppe üblich, sollte der Gleiter von einer Startmannschaft - sie bestand aus Männern der Jungfraubahn - mit einem Gummiseil angezogen werden. Eigentlich Routine, aber hier oben ging das Manöver völlig schief. Weil der Fafnir über Nacht festgefroren war, löste er sich mit einem gewaltigen Ruck und schoss unkontrolliert nach vorne. Die Männer am Gummiseil warfen sich erschrocken zu Boden und Groenhoff schlitterte mit seinem Flieger machtlos der etwa 100 Meter entfernten Kante des Steilhangs entgegen. In einer verharschten Schneewehe wurde auch noch ein Teil des Höhenruders abgerissen, dann rutschte der beschädigte Segler über die Kante und stürzte in die Tiefe. Groenhoff gelang es irgendwie, den Sturzflug zu bremsen, er konnte schließlich in der Nähe von Interlaken sicher landen. „58 Minuten brauchte ich vom Jungfraujoch bis zur Landung, genügend Zeit, um graue Haare zu kriegen.“ So hat Günther Groenhoff diesen Horrorflug später in seinem Buch „Ich fliege mit und ohne Motor“ (Societäts-Verlag Frankfurt, 1932) beschrieben. Am Abend feierte er mit seinem Team seinen „neuen Geburtstag“ und wagte zwei Tage später noch einmal den riskanten Start vom Jungfraujoch - diesmal klappte alles wunderbar.
Wieder zurück auf der Wasserkuppe, stand für Groenhoff Ende Juli 1931 die nächste Herausforderung an: der 12. Rhönflugwettbewerb. Erneut schrieb der Frankfurter Segelflugpionier Geschichte und gewann den prestigeträchtigen Leistungsvergleich mit einem neuen Streckenweltrekord: Am 28. Juli 1931 flog er von der Wasserkuppe bis in die Nähe von Magdeburg (220 Kilometer).
Günther Groenhoff wurde am 7. April 1908 in Stade an der Un-terelbe geboren. Er war der jüngere der beiden Söhne des evangelischen Pfarrers Georg Groenhoff, der damals in der Hansestadt als Seelsorger tätig war. 1912 zog die Familie nach Frankfurt, wo der Vater bis zu seiner Pensionierung 1940 als Pfarrer der Petersgemeinde in der Innenstadt arbeitete. In seinem Buch schreibt Günther Groenhoff über die ersten Jahre in Frankfurt: „Zum Entsetzen meiner Eltern flüchtete ich schon mit acht Jahren aus der Wohnung und richtete mich auf einem Baum häuslich ein. Mir war nicht wohl, wenn ich nicht freien Himmel über mir hatte und der Wind mir nicht um die Nase wehte.“ Das Pfarrhaus stand gegenüber der Peterskirche an der Bleichstraße, hinter dem Haus „mein Wohnbaum, der herrliche alte amerikanische Nußbaum“. Im Hof hielt Günther ein paar Hühner. Mitunter nahm er eines der Tiere mit hinauf in sein Baumhaus und ließ es von dort oben hinabflattern. Das fanden Nachbarn, die das Treiben des Pfarrerssohns ohnehin argwöhnisch beobachteten, gar nicht lustig und drohten mit dem Tierschutz.
Als sein zwei Jahre älterer Bruder Hans 1923 von einem Ausflug an den Edersee zurückkehrte und begeistert von einem Abstecher zu den Fliegern auf der Wasserkuppe erzählte, war’s um Günther geschehen. Der 15-Jährige wartete ungeduldig auf die Sommerferien und machte sich dann zu Fuß von Frankfurt auf den weiten Weg zur Wasserkuppe, um seinem Traum vom Fliegen ganz nah zu sein. Weil aber in der Segelflugschule auf der Wasserkuppe nur Fortgeschrittene unterrichtet wurden, ging der pfiffige Lausbub seinen Eltern so lange auf die Nerven, bis sie ihm 1926 endlich eine Ausbildung für Anfänger in der Flugschule Rossitten im fernen Ostpreußen erlaubten. Nach drei Jahren harter Arbeit an der Ostsee kehrte der inzwischen 21-Jährige als Fluglehrer auf die Wasserkuppe zurück und arbeitete zusätzlich als Versuchspilot. Die Segelflugzeuge waren damals alle Unikate, so auch Groenhoffs Wunderflieger Fafnir (siehe unten stehenden Artikel).
1931 war Groenhoffs erfolgreichstes Jahr als Pilot. Am 4. Mai sorgte er mit einem Rekordflug von München nach Kaaden in der Tschechoslowakei (272 Kilometer) international für Aufsehen, weil er dabei in zwei heftige Gewitterfronten geriet und die besondere Thermik wie sonst keiner zu nutzen verstand. Diese achteinhalbstündige Meisterleistung war auch Anlass für die Schweizer Fliegerkollegen, Groenhoff in die Berner Alpen einzuladen.
Und so ging er ein Jahr später als Favorit in den 13. Rhönflugwettbewerb. Doch dann kam der 23. Juli 1932. Gegen 18.30 Uhr startete Groenhoff, obwohl ein schweres Gewitter aufzog. Schon beim Abheben hatte der Fafnir Probleme, das Höhenruder schlug gegen einen Felsbrocken und zerbrach. Dennoch stieg das Flugzeug zunächst, verlor dann aber schnell wieder an Höhe. Im letzten Moment sprang Groenhoff mit dem Fallschirm ab, doch dieser öffnete sich nicht richtig, der Pilot stürzte in den Tod.
Zu dieser Zeit hütete Bauer Josef Kümmel aus Tränkhof seine Kühe auf einer Wiese oberhalb des kleinen Ortes, in der sogenannten „Strutt“ am Rande eines Waldstücks. Wegen des starken Gewitters suchte er Schutz unter einigen Bäumen. Plötzlich sah er ein Segelflugzeug über sich hinwegfliegen, kurz darauf hörte er ein lautes Krachen und wusste, dass die Maschine abgestürzt war. Kümmel: „Ich rannte schnell zur vermuteten Absturzstelle und sah das Segelflugzeug neben einer großen Fichte liegen. Da in und neben dem Flugzeug kein Pilot zu sehen war, sah ich mich um und konnte in circa 30 bis 40 Metern Entfernung einen weißen Fallschirm an einer Kiefer nach unten hängend sehen.“ Für Groenhoff kam jede Hilfe zu spät, er lag mit zertrümmertem Schädel auf dem Boden.
In der überfüllten evangelischen Kirche von Gersfeld wurde am nächsten Tag ein Trauergottesdienst gehalten, während über dem Städtchen etwa 20 Flugzeuge kreisten und Groenhoff die letzte Ehre erwiesen. Zwei Tage später fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung die Beerdigung in Frankfurt statt. Die Grabanlage wurde 1933 vom Frankfurter Bildhauer Carl Stock gestaltet und steht unter Denkmalschutz.
An der Absturzstelle in der Gemarkung Tränkhof, heute ein Ortsteil der Gemeinde Poppenhausen, hängt eine hölzerne Gedenktafel an einer Kiefer. Aus Anlass des 90. Todestages von Günther Groenhoff wurde die verwitterte alte Tafel durch eine neue ersetzt. Dieser denkwürdige Ort ist eine von 14 Stationen des 2018 von der Gemeinde Poppenhausen eröffneten Segelfliegerwegs, der etwa elf Kilometer lang ist und zum sehenswerten Deutschen Segelflugmuseum auf die Wasserkuppe führt. Im Museum wird Günther Groenhoff auf vielfache Weise gewürdigt. Zu den Exponaten zählt auch ein Modell des berühmten Fafnir.