Ein Platz für Martha Wertheimer

Erinnerung an engagierte jüdische Journalistin.
Die neuen Schilder sind schon montiert, die alten, die noch den Adlhochplatz ausweisen, aber noch nicht abmontiert, nur durchgestrichen: Das ist wohl der Rekordzeit von drei Monaten zu verdanken, in der die Stadt Frankfurt den Platz vor dem Schwanthaler-Carree an der Textorstraße umbenannt hat. Auch eine Gedenktafel ist geplant.
Der Ortsbeirat, dem die Namensbenennung von Straßen und Plätzen obliegt, hatte sich im Februar dieses Jahres einstimmig dafür ausgesprochen, den Platz nach der jüdischen Journalistin, Schriftstellerin und Sportlerin zu benennen. Dieser formelle Akt wurde gestern Abend mit der feierlichen Namenseinweihung vor Ort besiegelt. Mehrere Dutzend Anwohner, Interessierte und Ortsbeiratsmitglieder wohnten der Zeremonie bei und lauschten den Rednern, die ausführlich an das Leben der Frankfurterin Martha Wertheimer erinnerten.
Ortsvorsteher Christian Becker (CDU) bedankte sich für die schnelle Umsetzung durch die Stadt. "Plätze nach Menschen zu benennen, die im Stadtteil gelebt haben, trägt dazu bei, Geschichte besonders auch für junge Menschen erlebbar zu machen", sagte Geschichtslehrer Becker.
Aufopferungsvolle, wegweisende Frau
Marc Grünbaum, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde, erinnerte an das hebräische Gedicht "Jeder Mensch hat einen Namen", und an die jüdischen Tradition, verstorbenen Familienangehörigen zu gedenken, in dem ihr Leben im Familienkreis nacherzählt wird. "Martha Wertheimer und ihre Schwester Lydia haben niemanden, der ihre Geschichte erzählt." Deshalb übernehme dankenswerterweise die Stadt Frankfurt diese Aufgabe, an diese "besondere und wegweisende Frankfurterin" zu erinnern, die sich aufopferungsvoll für ihre Mitmenschen eingesetzt habe. Martha Wertheimer sei ihr Engagement in jüdischen und nicht-jüdischen Belangen wichtig gewesen, wichtiger als ihr eigenes Leben. "Sie hatte die Möglichkeit zu fliehen, blieb aber aus sozialer Verantwortung heraus in Deutschland. Sogar von einer Reise nach Palästina kam sie zurück, um Menschen davon zu überzeugen, dorthin zu fliehen, und um Kinder und Alte, die in der Jüdischen Gemeinde unter ihrer Fürsorge standen, nicht allein zu lassen", so Grünbaum. "Menschlichkeit in Zeiten der Unmenschlichkeit - dafür steht Martha Wertheimer."
Auch heute noch zeige sich die Fratze des Antisemitismus, es sei Verantwortung der Gesellschaft, ihr entgegenzutreten, sagt Grünbaum und verwies auf den jüngsten antisemitischen Kunst-Eklat auf der Kasseler Documenta.
Die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) bedankte sich für die "ausgezeichnete Wahl", die der Ortsbeirat einstimmig getroffen habe, um den Platz nach einer "modernen Frau der zwanziger Jahre" zu benennen, die sich für Frauenrechte einsetzte. "Ich bin sehr froh, dass nur eine Haltestelle von der Heimatsiedlung entfernt, in der sie mit ihrer Schwester wohnte, an zentraler Stelle an Martha Wertheimer erinnert wird", so Hartwig.
Angelika von der Schulenburg, Mitglied der Grünen im Ortsbeirat 5, die Martha Wertheimer als Namensgeberin vorgeschlagen hatte, bedankte sich für die Zustimmung des Gremiums - und für die Arbeit der Frankfurter Historikerin Hanna Eckhardt, ohne die Wertheimer wohl in Vergessenheit geraten wäre. Dank Wertheimers Engagement, die als Leiterin der Jugendfürsorge der Jüdischen Gemeinde Kindertransport nach England organisierte, "überlebten zehntausende Kinder den Holocaust. Ihre Haltung ist uns ein Vorbild in der heutigen Zeit", sagte von der Schulenburg.
Rabbiner Avichai Apel sprach jüdische Gebete auf Hebräisch und Deutsch, die Martha Wertheimer in einem eigens verfassten Gebetbuch für Frauen niedergeschrieben hatte.
Martha Wertheimer
Martha Wertheimer war am 22. Oktober 1890 in Frankfurt als Tochter jüdischer Eltern geboren worden. Die Journalistin, Pädagogin und Schriftstellerin war eine der ersten Frauen, die an der Frankfurter Universität studierten. Die ausgebildete Lehrerin schrieb sich 1914 an der Universität für Geschichte, Philosophie, deutsche und englische Philologie ein. 1919 promovierte sie und arbeitete fortan als Kulturredakteurin bei der "Offenbacher Zeitung". Sie setzte sich als Autorin und politisch für das Frauenwahlrecht ein. Außerdem war sie sportlich: Bei der Frankfurter Eintracht übte sich Wertheimer als Fechterin und war Schriftleiterin der monatlich erscheinenden Vereinsnachrichten.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor Martha Wertheimer nicht nur ihre Wohnung, sondern auch all ihre Anstellungen. Nach dem Novemberpogrom 1938 leitete sie die Jugendfürsorge der Jüdischen Gemeinde und organisierte "Kindertransporte" nach England. So rettete sie zahlreichen Kindern das Leben.
Trotz der Situation engagierte sie sich weiterhin in der Jüdischen Gemeinde und in der Jugendarbeit, etwa für die Sport- und Jugendorganisation Makkabi.
Seit 2015 erinnert ein Stolperstein in der Sachsenhäuser Heimatsiedlung vor dem Haus Unter den Kastanien 1 an Martha Wertheimer. Dort hatte sie bis 1936 zusammen mit ihrer Schwester Lydia gelebt. Die Flucht gelang ihnen nicht mehr. Beide starben 1942, vermutlich im Konzentrationslager Sobibor oder auf dem Weg dorthin. Stefanie Wehr