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Ärger über neue Knöllchenpraxis: Strafzettel, wo es nie welche gab

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Joachim Koch zeigt auf die überbreite Anwohnerstraße in Preungesheim. Dort herrscht nun akute Parkplatznot. FOTO: Rainer Rüffer
Joachim Koch zeigt auf die überbreite Anwohnerstraße in Preungesheim. Dort herrscht nun akute Parkplatznot. © Rainer Rüffer

Jahrzehntelang wurde es geduldet, doch jetzt greift die Stadt Frankfurt immer öfter gegen illegales Gehwegparken durch.

Frankfurt - Besonders dort, wo es überhaupt keine Probleme gab, reagieren die Anwohner stocksauer. So wie Joachim Koch. Der Unternehmer wohnt in der Straße Niemandsfeld in Preungesheim und parkte dort, wie alle, seinen Wagen mit zwei Reifen auf dem Gehweg. Koch und seine Nachbarn waren überrascht, als die Stadt plötzlich anfing, Knöllchen zu schreiben. Zeitgleich wurden Haltverbotsschilder auf einer Straßenseite aufgestellt. Denn: die verbliebene Gehwegbreite war ein paar Zentimeter zu schmal. Und das Gehwegparken ohnehin formal unzulässig.

In der Tat sieht die Straßenverkehrsordnung 2,50 Meter vor, die Stadt akzeptiert gar 2,20 Meter. Das schaffen die Trottoirs im Niemandsfeld nicht, wie wohl in kaum einem Wohngebiet. „Es gab hier 50 Jahre lang kein Problem deswegen“, sagt Joachim Koch. Er kenne viele Nachbarn und wisse von keinen Beschwerden. Selbst eine Mutter mit Doppelkinderwagen sage, dass sie stets gut durchgekommen sei.

Ärger über neue Knöllchenpraxis in Frankfurt

Klar: Auf dem Gehweg geparkt werden darf nur, wo es per Bodenmarkierung oder Verkehrszeichen 315 erlaubt ist - so erklärt es die Stadt. Nachdem sie Verstöße jahrzehntelang geduldet hat, setzt sie das Gesetz nun oft rigoros durch, mit Knöllchen ohne Vorwarnung. Der vorige Verkehrsdezernent Stefan Majer (Grüne) hatte das mehrfach verteidigt: Ankündigungen würden „Bemühungen um eigenverantwortliches Handeln und die Beachtung der Straßenverkehrsordnung konterkarieren“.

Darunter, dass die Stadt plötzlich durchgreift, leiden nicht nur die Preungesheimer:

Im Marbachweg ließ die Stadt Anfang 2021 einen Radweg zu einem überbreiten Radweg ausbauen, direkt neben einem breiten Gehweg. Dutzende Gehwegparkplätze fielen weg. Anfangs gab es 55-Euro-Knöllchen für jene, der neuerdings Falschparker war - ohne jede Warnung.

Dann traf es die östliche Offenbacher Landstraße in Oberrad , die Schönbornstraße in Ginnheim , die Straße Am Weigelsgarten in Eschersheim , die Ebersheimstraße im Dornbusch , in Unterliederbach die Hunsrückstraße, in Sachsenhausen einen Teilabschnitt des Ziegelhüttenwegs, in Bergen-Enkheim zuletzt den Klingenweg, Am Weißen Turm und die Usastraße.

Politisch motiviert? Frankfurter Mobilitätsdezernent widerspricht

In Rödelheim entfernte die Stadt sogar das offizielle Gehwegparken in der Breitlacherstraße nach einer Anwohnerbeschwerde, da der Gehweg zu schmal ist. Das Gehwegparken entfiel aber nur in einem kurzen Abschnitt, sonst blieb es erhalten, bei gleicher Situation.

Warum aber geht die Stadt so plötzlich so massiv gegen etwas vor, das seit Jahrzehnten kein Problem war? „Das ist politisch motiviert“, vermutet Joachim Koch, wie wohl viele andere auch. Eine örtliche Grünen-Politikerin habe ihm gesagt, dass es politischer Wille sei, Autos aus Frankfurt herauszudrängen.

Dem widerspricht der neue Mobilitätsdezernent Wolfgang Siefert (Grüne). „Wir werden nur auf Wunsch von Ortsbeiräten hin oder nach Beschwerden tätig.“ Auch habe es Hinweise der Landespolizei gegeben. Wo es keine Hinweise gebe, toleriere die Stadt das Gehwegparken weiterhin, beteuert Siefert. „Wir werden nicht von uns aus aktiv.“

Parken in Frankfurt: „Immer öfter melden Bürger illegale Situationen“

Allerdings räumt er ein: „Immer öfter melden Bürger illegale Situationen.“ Dann sei die Stadt verpflichtet, tätig zu werden. Dass es mehr Beschwerden gebe, „hat sicher mit einem veränderten Empfinden der Bürger zu tun“, schätzt der Dezernent. Immer mehr Menschen forderten freie und breite Gehwege ein.

So recht zufrieden ist Anwohner Joachim Koch nicht mit dieser Erklärung. „Das ist doch eine Ausrede.“ Er solle aufs Auto verzichten, habe ihm die Grünen-Politikerin geraten. „Das kann ich nicht.“ Zu seiner Firma in einem Marburger Stadtteil verkehre nur zweimal am Tag ein Bus. Auch müsse er oft viele, schwere Akten transportieren.

Wenn Joachim Koch abends mit dem Wagen heimkommt, kurvt er nun stets viele Runden durchs Wohngebiet auf der Suche nach einer Lücke. Oft vergebens. Vor Verzweiflung fuhr er einmal sogar bis zum Parkplatz des Hauptfriedhofs. Und nahm von dort ein Taxi nach Hause. (Dennis Pfeiffer-Goldmann)

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Der Ärger vieler Anwohner ist verständlich: Jahrzehntelang wurde es geduldet, dass sie ihr Auto zwar nicht legal, aber auch nicht störend ein wenig auf dem Gehweg parkten. Nun greift die Stadt plötzlich durch, es hagelt 55-Euro-Tickets ohne Warnung. Muss das sein? Prinzipiell schon, die rechtliche Lage ist eindeutig. Sicher ist es auch dort richtig, wo Fußgänger auf einem allzu schmalen Durchgang behindert werden. Die jüngsten Fälle aber eint: Fast nirgends war der Rest-Weg allzu schmal, noch gab es laute Beschwerden.

Dass sich Bürger über einen plötzlichen Wechsel der Gangart der öffentlichen Hand ärgern, hat sich die Stadtpolitik selbst eingebrockt. Und auch, dass sie politische Gründe dahinter vermuten. Sich bloß auf die rechtliche Lage zu berufen, wenn man jahrzehntelanges Handeln über den Haufen wirft, ist nicht die feine englische Art. Besser wäre Empathie, Änderungen anzukündigen, zu erklären, für Verständnis zu werben, Alternativen aufzuzeigen. Oder Letztere gar zu verbessern durch ein dichteres Netz von Bahn und Bus. So ließe sich vielleicht mancher vom Auto weglocken. Dann wäre die Parkplatznot gelindert. Und mit ihr auch die Wut vieler Bürger. (Dennis Pfeiffer-Goldmann)

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