„Es haben leider nicht alle an einem Strang gezogen“

Grünen-Chef Omid Nouripour über die OB-Wahlniederlage, Klimapolitik in Krisenzeiten und die Ukraine
Für viele Frankfurter Grüne war er der Wunschkandidat fürs Oberbürgermeister-Rennen. Doch Omid Nouripour (47), Bundesvorsitzender der in Frankfurt zuletzt stets erfolgreichen Partei, entschied sich anders. Redaktionsleiterin Stefanie Liedtke und Redakteur Dennis Pfeiffer-Goldmann blicken mit dem glühenden Eintracht-Fan zurück und voraus.
Woran hat es gelegen, dass es die grüne Kandidatin Manuela Rottmann nicht in die OB-Stichwahl geschafft hat, Herr Nouripour?
Wir haben uns zu Recht gute Chancen ausgerechnet. Manuela Rottmann hat einen fantastischen Job gemacht und wirklich alles gegeben. Ich hatte aber das Gefühl, dass es leider auch Einzelne in der Partei gab, die ihr nicht die volle Rückendeckung gegeben haben. Das ist schwer zu verstehen und hat sich dann auch in dem knappen Rennen um Platz zwei niedergeschlagen.
War sie denn die richtige Kandidatin?
Natürlich war sie das. Ihre ausgleichende Art, ihr Weitblick, ihr Einsatz für den Klimaschutz und ihre Erfahrung haben sie für das Amt qualifiziert.
Es gab auch noch andere Kandidatinnen: Bürgermeisterin Eskandari-Grünberg und Stadtverordnetenvorsteherin Arslaner.
Es gab eine Findungskommission und die hat einen guten Job gemacht. Der Wahlkampf wird noch aufgearbeitet werden müssen, aber ich kann schon sagen, dass leider nicht alle an einem Strang gezogen haben.
Worauf führen Sie das zurück?
Das werden wir gemeinsam aufarbeiten. Wir haben hier in Frankfurt schon viele Erfolge gefeiert, bei den letzten Wahlen erfolgreich abgeschnitten. Bei der Bundestagswahl habe ich hier ja auch den Wahlkreis direkt gewonnen. Ich bin zuversichtlich, dass wir an diese Erfolge anknüpfen werden.
Haben Sie einen Verdacht?
Der Kreisvorstand hat Mitgliederabende einberufen, in denen das besprochen wird. Warten wir die einmal ab.
Es sind noch zwei Kandidaten im Rennen. Wer wäre Ihnen lieber als Oberbürgermeister?
Die Frankfurterinnen und Frankfurter sind klug genug, das selbst zu entscheiden. Uwe Becker ist zwar vorne, hat aber bisher nicht gestrahlt in diesem Wahlkampf. Mit Mike Josef koalieren wir im Römer, doch stelle ich mir die Frage, wie ernst es der SPD mit der Aufarbeitung der Awo-Affäre ist, angesichts neuer Erkenntnisse über den Sozialdemokraten Tarkan Akman. Den Rest müssen die Menschen in Frankfurt entscheiden.
Jetzt geben Fraktion und Partei den Wählern unterschiedliche Empfehlungen für die Wahl am Sonntag. Warum gibt es keine einheitliche Linie und welche Eindruck hat der Wähler da von den Grünen?
Meine Leute sind im Römer mit der SPD in einer Koalition. Da wächst verständlicherweise im Alltag eine Nähe. Von der Parteiseite aus halten wir uns mit Empfehlungen zurück. Die Wähler werden weise entscheiden.
Auf Bundesebene sind die Grünen sehr erfolgreich. Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Zehn Tage, nachdem ich zum Bundesvorsitzenden gewählt wurde, begann der brutale russische Angriff auf die Ukraine. Wir haben in der Folge mit großer Wucht vorgeführt bekommen, dass Deutschland nicht ausreichend krisenfest ist. Wir haben kurz durchgeatmet, dann unser Programm zur Seite gelegt und gesagt: Jetzt müssen wir Probleme lösen. Es war nie das Ziel, LNG-Terminals zu bauen, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen oder Gas in Katar einzukaufen, aber wir haben uns dafür entschieden, damit Deutschland gut durch die Krise kommt. Denn: Die Menschen in unserem Land stehen an erster Stelle. Wenn die Energieversorgung bedroht ist, dann braucht es Lösungen. Dass wir diese Lösungen schnell gefunden haben und gleichzeitig die langfristigen Ziele nicht aus den Augen verlieren, das zeichnet uns aus und das honorieren die Menschen.
Was können sich die Regierenden in Frankfurt davon abschauen?
Ich brauche keine Ratschläge aus der Ferne zu geben. Ich glaube, dass es uns Politikern generell gut zu Gesicht steht, wenn wir das Allgemeinwohl nach vorne stellen, natürlich auch in Frankfurt. Das muss das oberste Ziel der Politik sein. Ich kann nur empfehlen, den Menschen zu vertrauen und nicht um den heißen Brei herumzureden. Die Deutschen können die Wahrheit sehr gut ab.
Zuletzt hatten die Wähler in Frankfurt offenkundig nicht so viel Vertrauen in grüne Politik, sonst wäre ja Ihre Kandidatin in der OB-Stichwahl. Kommt in der Stadt zu wenig Konkretes für die Bürger rüber?
Das glaube ich nicht. Der Trend zeigt ja: Wir spielen vorne mit, in Frankfurt auch dauerhaft um Platz eins.
Die Inflation lastet auf vielen Menschen. Jetzt kommen von der Bundesregierung noch schärfere Klimaschutzvorgaben für Heizungen - was bedeuten kann, dass für den Einbau einer Wärmepumpe im Altbau das ganze Haus saniert werden muss. Wie erklären Sie, dass das dennoch richtig ist?
Erstmal bleibt für die meisten Menschen alles, wie es ist, funktionierende Heizungen laufen weiter. Gleichzeitig sind wir uns doch alle einig, dass wir unsere Umwelt schützen und klimaneutral werden wollen. Das heißt auch, dass wir aus Öl und Gas aussteigen müssen. Das ist nicht nur ein Gebot des Klimaschutzes, sondern auch der Energieunabhängigkeit Deutschlands. Und für die Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig: Öl und Gas werden in den nächsten Jahren deutlich teurer werden. Was es bedeutet, wenn die Preise plötzlich steigen, haben wir im letzten Jahr ja schon schmerzhaft erlebt. Also ist es auch ein Gebot der Vernunft und auf der Strecke gut für den Geldbeutel. Und damit es sozial ist, wollen wir dafür ausreichend Förderung in die Hand nehmen, damit die Leute, die eine neue Heizung einbauen, sich klimafreundliche Heizungen auch leisten können.
Über Klimaschutz sprechen die Grünen lieber als über anderes, aber seit Sie Parteivorsitzender sind, müssen Sie fast nur noch über den Ukraine-Krieg und die Inflation sprechen. Wie schwer fällt Ihnen das?
Überhaupt nicht und die Einschätzung trifft auch nicht zu. Wir verfolgen beispielsweise die Lage in der Ukraine schon seit Jahren eng. Seitdem Russland die Krim besetzt hat, war ich sehr oft in der Ukraine. Viele Folgen des Krieges, eben auch die Inflation auf Grund der gestiegenen Energiepreise, bestärken uns in unseren Kernanliegen. Wir sind seit Jahren für den Ausstieg aus den Fossilen, haben immer wieder vor der Abhängigkeit von Putins Gas gewarnt. Da gibt es viel Kenntnis bei uns in der Partei, die in der Krise geholfen hat, passende Lösungen auf den Tisch zu legen.
Wer soll Sie denn wählen, wenn Sie nun Kohle- statt Ökostrom, Waffen statt Pazifismus verkaufen müssen? Für ur-grüne Wähler sind die Grünen ja dann nicht mehr wählbar.
Mein Eindruck ist ein ganz anderer. Unsere Mitglieder tragen den Kurs der Partei mit großer Mehrheit mit, zum Beispiel, wenn es um die Lieferung von Waffen geht. Und zur Nato-Mitgliedschaft Deutschlands steht die Partei bereits seit 26 Jahren. Die Frage, wie man zu Frieden kommt, ist immer ein Abwägungsprozess. Friedenspartei sein, kann nicht heißen, daneben zu stehen, wenn ein Autokrat sein Nachbarland angreift, wenn Menschen verschleppt und ermordet werden. Der Ukraine bei ihrem völkerrechtlich verbrieften Recht auf Selbstverteidigung auch mit Waffen beizustehen, ist das Ergebnis unseres Abwägungsprozesses.
Und die Energie aus Kohle?
Wir gehen diesen Weg kurzfristig, weil die Energieversorgung unseres Landes nicht auf die aktuelle Krise vorbereitet war. Das ändert nichts an unserem langfristigen Ziel, so schnell wie möglich klimaneutral zu werden. Darum haben wir im letzten Jahr parallel das größte Programm aller Zeiten zum Ausbau der Erneuerbaren auf den Weg gebracht. Jetzt wird ein Energieeffizienzgesetz kommen und noch viel mehr. Wir legen die Grundsteine, damit wir beim Klimaschutz und den Erneuerbaren deutlich besser werden.
Was sagen Sie dann dazu, dass Klimaaktivisten wie zuletzt im Fechenheimer Wald auch gegen grüne Politik demonstrieren?
Das ist ihr Recht, solange es friedlich ist. Ehrlich gesagt sind viele Proteste der Klimabewegung emotional verständlich. Da haben Menschen Sorge um die Zukunft unseres Planeten. Was natürlich nicht geht, sind Protestformen, bei denen jemand gefährdet wird.
Wie wollen Sie die als Wähler wieder gewinnen?
Alle Menschen wollen doch, dass über Klimaschutz nicht nur gesprochen, sondern auch entsprechend gehandelt wird. Am Ende geht es also darum, dass wir liefern, und das tun wir. Andere Parteien schreiben sich den Klimaschutz gerne auf ihre Fahne, wir arbeiten daran mit Priorität.
Ganz persönlich liegt Ihnen die Situation im Iran am Herzen. Glauben Sie, dass diese Revolution gelingt?
Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass gerade die Frauen bei ihrem Kampf um Freiheit nicht nachlassen werden. Der Mut dieser Frauen, die sich nicht unterdrücken lassen von Gewalt, Vergiftungen an Schulen, von systematischen Vergewaltigungen in Gefängnissen und all den Grausamkeiten dieses Regimes, ist beeindruckend und inspirierend. Sie lassen sich nach 44 Jahren Unterdrückung nicht mehr unterkriegen.
Welche Möglichkeiten haben wir, tätig zu werden als Bundesrepublik oder als Bürger hier in Frankfurt?
Es hilft, weiter die Aufmerksamkeit hochzuhalten und die Leute nicht zu vergessen. Wir sehen, dass zuweilen Leute, die zum Tode verurteilt wurden, erstmal nicht hingerichtet werden, wenn wir sehr laut und deutlich machen, dass wir das nicht hinnehmen. Es gibt auch deutsche Staatsbürger, die davon bedroht sind, wie Jamshid Sharmahd. Man muss den Druck auch auf politischer Ebene aufrechterhalten. Die Außenministerin hat das Thema mehrfach in Brüssel auf die Tagesordnung des EU-Rats gesetzt, und es gab mehrere Sanktionspakete. In Deutschland ist die Schließung des Islamischen Zentrums Hamburg, das quasi ein Spionagenest des Regimes ist, längst überfällig. Da liegt der Ball bei der Bundesinnenministerin. Ich hoffe, das erfolgt bald.
Es wirkt, als ob bei den Sanktionen gegen Iran oder Russland am Ende des Tages nicht viel herumkommt.
Dem stimme ich nicht zu. Die Sanktionen haben in Russland erhebliche Auswirkungen auf die Realwirtschaft und auf die Spielräume des Regimes. Sanktionen wirken langfristig und die andere Seite weiß, dass wir nicht zur Tagesordnung übergehen, solange die Frauen im Iran unterdrückt werden und die Ukraine unter Beschuss steht.
Eine Prognose zur Ukraine: Wann wird der Krieg beendet?
Da müssen Sie im Kreml nachfragen. Jeder Tag ist einer zu viel. Die russische Seite hat es in der Hand, diesen Krieg sofort zu beenden. Sie könnten einfach abziehen. Wenn hingegen die Ukrainer aufhören, zu kämpfen, wäre die Ukraine am Ende. Deshalb hängt es maßgeblich vom Willen im Kreml ab. Was ich in der Ukraine gesehen habe: Die Leute sind erschöpft, der Mut bleibt aber ungebrochen.
Wie erschöpft sind Sie nach all den Herausforderungen?
Was auf mich zukommt, wusste ich ja, bevor ich diesen Job angenommen habe. Deshalb heißt es gelegentlich innehalten, durchatmen, Kräfte sammeln und dann mit voller Kraft weitermachen.
Was ist Omid Nouripour in sechs Jahren: Bundesaußenminister oder Frankfurts OB?
Das ist lange hin, aber irgendwas mit Frankfurt oder Eintracht muss es schon sein.