Peter Feldmann: „Für jedes Wählersegment ein Extra-Fettnäpfchen“

Politologe Björn Egner spricht über Peter Feldmanns Fehler, die Abwahl des Frankfurter Oberbürgermeisters – und gibt auch überraschende Einsichten.
Frankfurt – Den Oberbürgermeister Peter Feldmann abgewählt, der steht bald wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht und stürzt sich von einem Skandal in den anderen: Was macht der Fall Peter Feldmann (SPD) mit Frankfurt? Wie wirkt er auf die Bürger und deren Blick auf die Politik, welche Folgen hat er für Feldmanns Partei und die ganze Politik? Das schätzt Björn Egner, Politikwissenschaftler von der TU Darmstadt, im Interview mit Redakteurin Sarah Bernhard ein.
Herr Egner, wenn Sie Peter Feldmann wären, was würden Sie jetzt tun?
Mich hinsetzen und ganz relaxed abwarten.
Nicht die Antwort, die ich erwartet hatte.
Na ja, er wird nicht schlecht bezahlt, seine Pension ist sicher, und dass der Bürgerentscheid erfolgreich sein wird, ist eher unwahrscheinlich. Natürlich könnte man sagen: Privat hat er seine Schäfchen im Trockenen, soll er der Stadt dieses Debakel halt ersparen. Und wenn ich Peter Feldmann wäre, hätte ich da vermutlich mehr Einsicht. Auf der anderen Seite wurden die Stadtverordneten und er nun mal in getrennten Wahlen legitimiert. Er musste sich persönlich dem Wähler stellen, er hat die Legitimation.
Thema: Der Frankfurter OB Feldmann – Experte im Interview
Aber er stellt sein persönliches Wohl über das Amt. Ganz Deutschland redet über Frankfurts verrückten OB.
Da haben Sie Recht, das sollte er nicht. Auch Helmut Kohl hatte damals den Parteispenden-Skandal, aber niemand stellt in Abrede, dass er viel Positives erreicht hat. Genauso hat Feldmann die Wahl mit wichtigen Themen gewonnen und der Stadt einiges gegeben. Deshalb ist es ein bisschen schade, dass das Ganze jetzt mit ihm untergeht.
Ist die Direktwahl des Bürgermeisters grundsätzlich eine gute Idee?
Im Prinzip schon, in Hessen nicht. Hier hat man das eingeführt, ohne den Bürgermeister mit den entsprechenden Kompetenzen auszustatten. In Baden-Württemberg beispielsweise ist der Bürgermeister automatisch Vorsitzender und Mitglied des Gemeinderats und Leiter der Verwaltung. In Hessen hat nicht nur das Stadtparlament mehr Macht, sondern es gibt auch noch den Magistrat, in dem der Bürgermeister „Erster unter Gleichen“ ist und jederzeit überstimmt werden kann.
Björn Egner studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie, mittlerweile leitet er den Arbeitsbereich „Methoden der Politikwissenschaft und Wissenschaftstheorie“ am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. Seine Schwerpunkte sind Lokal- und Wohnungspolitik. Der 46-Jährige ist verheiratet und lebt mit seiner Familie in Darmstadt. (Sarah Bernhard)
Man könnte geneigt sein, in diesem Fall zu sagen: Gott sei Dank, wer weiß, was sonst noch passiert wäre.
Aber wenn es so sehr knirscht, dass überhaupt keine Vertrauensbasis mehr da ist, wird es schwierig. Ich frage mich, wie wohl gerade die Magistratssitzungen ablaufen. Da müssen ja Tagesordnungspunkte abgearbeitet werden, wie machen die das, wenn eigentlich keiner mehr mit ihm reden will? Immerhin betreiben Koalition und Opposition die Abwahl gemeinsam. Stellen Sie sich vor, eine Partei würde an ihm festhalten. Das wäre noch schwieriger.
Experte über Frankfurter OB Feldmann: „Es war ein Verhängnis auf Raten“
Welcher Fehler war es, der Peter Feldmann schlussendlich zum Verhängnis wurde?
Ich würde sagen, es war ein Verhängnis auf Raten. Erstmal war da die Frage, ob er überhaupt ein Basisvertrauen genießt. Er ist ja auch kein aalglatter Typ, sondern einer, der aneckt. Und es gibt in Frankfurt einige, die nur auf eine Gelegenheit gewartet haben. Dann kam der Awo-Skandal, dann die Ermittlungen, das ist immer ganz schlecht. Und dann hat er es geschafft, verschiedenen Gruppen gleichermaßen ans Bein zu pinkeln: der Eintracht mit dem Pokal, dem eher progressiven Spektrum mit dem sexistischen Witz. Für jedes Wählersegment ein Extra-Fettnäpfchen.
Hätte er an einem bestimmten Punkt zurücktreten müssen?
Meine Juristenfreunde sagen immer: Die Staatsanwaltschaft legt eine Anklage nur vor, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es zu einer Verurteilung kommt. Spätestens dann wäre es wohl Zeit gewesen. Aber der Duisburger OB war nach der Katastrophe auf der Love-Parade auch noch eine ganze Weile im Amt. Natürlich kann Feldmann sagen: Wenn der nicht zurücktreten musste, warum ich? Nicht das beste Argument, aber wenn man sucht, findet man immer eines.
Feldmann glaubt offensichtlich, dass er mit seiner Masche durchkommen wird. Sagt das mehr über ihn oder über das politische Klima im Land?
Beides. Er ist cleverer Stratege und er kann rechnen: Beim Bürgerentscheid muss nicht nur die Mehrheit der Abstimmenden für die Abwahl sein, es müssen auch gleichzeitig mindestens 30 Prozent der Wahlberechtigten sein. Das sind wesentlich mehr Leute als bei seiner Wahl 2018 für seine Gegner gestimmt haben. Und warum sollte ich als SPD-Wähler einen OB abwählen gehen, mit dem ich inhaltlich immer noch auf einer Linie liege? Er wird sich also ziemlich sicher sein, dass die Abwahl am Ende scheitert.
Abwahl von OB Feldmann in Frankfurt: Experte über politische Hürden
Und was sagt es übers politische Klima?
Dass die Leute zu bequem sind, ihre demokratischen Rechte auszuüben. In kleinen Kommunen funktioniert das noch eher, weil der soziale Druck zu wählen größer ist. Aber in einer großen Stadt wie Frankfurt – vergessen Sie's. Da stellt sich dann irgendwann die Frage, ob sich ein Bürgermeister im Amt alles erlauben kann.
Dann sollten wir vielleicht darüber nachdenken, die Hürden für die Abwahl direkt gewählter Oberbürgermeister zu senken.
Nehmen wir mal an, das Quorum würde gesenkt. Dann könnten kleine, organisierte Minderheiten, die bei der eigentlichen Wahl nicht zum Zuge gekommen sind, zwischendurch ständig versuchen, den OB durch ein Bürgerbegehren abzuwählen. In Brandenburg gab es in den 1990ern das sogenannte Bürgermeisterkegeln: Weil es dort überhaupt kein Quorum gab, hat die unterlegene Partei nach einer gewissen Zeit auf diese Weise den Bürgermeister rausgekegelt. In der ersten Wahlperiode hat Brandenburg so gut 25 Prozent seiner Bürgermeister verloren.
Okay, nicht so geschickt. Gibt es andere Stellschrauben?
Als Kommunalbeamter bekommt ein Bürgermeister keine Pension mehr, wenn er zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr verurteilt wird. Vielleicht könnte man das senken.
Zum Beispiel, indem die Pension gekürzt wird, sobald ein Verfahren eingeleitet wird.
Das Gegenargument dazu lautet: Da könnte ja jeder Staatsanwalt kommen, dem der Bürgermeister nicht passt, und ein Verfahren einleiten. Außerdem würden wir die Unschuldsvermutung in den Hintern treten. Meine Lösung ist: Entweder man gibt dem Bürgermeister eine größere Machtfülle, dann ist der Bürger vielleicht eher interessiert, ihn abzuwählen, oder wir streichen die Direktwahl und lassen den Bürgermeister wieder vom Gemeinderat oder der Stadtverordnetenversammlung wählen.
Frankfurter SPD: „Krasser Schritt, ihren Frontmann im Regen stehen zu lassen“
Wie wirkt das alles auf die Bürger? Die sind doch eh schon politikverdrossen.
Die Koalition hat die Mehrheit im Magistrat, ich denke, die werden ihr Ding durchziehen, so dass es inhaltlich keine Auswirkungen haben dürfte. Aber wir kriegen natürlich wieder eine Dosis von „die Politik ist korrupt“. Was das betrifft, bin ich gespalten: Einerseits könnte es sein, dass bei der nächsten Wahl die Beteiligung größer ist, weil die Bürger wieder stärker mitentscheiden wollen. Oder sie ist niedriger, weil sie denken: Es kann trotzdem ein Idiot drankommen.
Lange Zeit hat die Stadtpolitik die Abwahl gescheut, selbst als die Staatsanwaltschaft schon Anklage erhoben hatte. Hätte die Koalition früher aktiv werden müssen?
Egal wie man es macht, am Ende ist es verkehrt. Wenn man zu früh losschlägt, heißt es: Es ist doch noch gar nicht raus, ob da was ist. Wenn man abwartet: Die hätten früher was machen müssen. Zudem muss man bedenken, dass zur Koalition auch die SPD gehört. Es ist ein krasser Schritt für eine Partei, ihren Frontmann im Regen stehen zu lassen.
Hätte die SPD das Problem früher erkennen müssen?
Sie hatten jemanden, der zweimal allen die Butter vom Brot genommen hat, und von dem sie sich erhofft haben, dass er auf sie abstrahlt. Da hofft man eben ganz lange, auch wenn es vielleicht Sachen gibt, die nicht ins Bild passen. Man braucht ja auch ein gewisses Grundvertrauen in seine Leute. Ob es berechtigt war, weiß man immer erst hinterher.
Alles in allem: Hätte man dieses Debakel irgendwie verhindern können?
Wenn sich Feldmann anders verhalten hätte. Ansonsten ist man im Nachhinein ja immer schlauer. Aber die momentane Situation in Frankfurt ist eine absolute Ausnahme, en gros funktioniert die Kommunalpolitik sehr gut. Das sehen Sie auch daran, dass es in Hessen 422 Gemeinden gibt und Sie die Abwahlverfahren an einer Hand abzählen können. Im Großen und Ganzen sind Parteien und Wähler gut darin, geeignete Kandidaten auszuwählen.
Peter Feldmann abgewählt: Wer könnte Frankfurts neuer OB werden?
Apropos geeignete Kandidaten: Wen sollte die SPD bei der nächsten Bürgermeisterwahl ins Rennen schicken?
Feldmanns Themen waren nicht so dumm gewählt, an sich sollte der Kandidat also politisch in dieselbe Richtung marschieren. Dafür wäre natürlich Mike Josef perfekt. Aber dann kann die CDU kommen und sagen: Der Feldmann war ein Depp und Mike Josef ist die Fortsetzung von Feldmann mit anderen Mitteln. Normalerweise schaut man als nächstes, wer für die Partei in Land- und Bundestag sitzt. Aber da hat die SPD gar nicht mehr so viele Leute. Nun rächt sich, dass die Partei so lange intern zerstritten war.
Während die CDU einfach Uwe Becker zurückholen kann.
Er ist ein verdienter Mann, er kennt das Geschäft, gegen den kann man nichts sagen. Und die Grünen hätten Nargess Eskandari-Grünberg, wobei die auch nicht unumstritten ist. Aber anders als die SPD haben die Grünen Bundes- und Landtagsabgeordnete, die infrage kämen. Stellen Sie sich mal vor, dann würde die SPD mit Wohnen und Sozialem Wahlkampf machen, die Grünen mit Umwelt, Klima und Fahrradfahren und die CDU mit alle-fühlen-sich-wohl. Das könnte interessant werden.
Vor allem, wenn die CDU gewinnt und gegen die Koalition den Bürgermeister stellt.
Wenn von Anfang an klar ist, dass es so ist, ist das eine andere Basis, als wenn die Mehrheiten mittendrin wechseln. Aber dieser Ausgang könnte auch alles durcheinanderwirbeln. Vielleicht reden die Parteien dann nochmal über Jamaika oder Schwarz-Grün-Volt. Ich würde das nicht ausschließen.
Ganz soweit sind wir noch nicht. Erstmal haben sich die Stadtverordneten am vergangenen Donnerstag (14. Juli) für die Abwahl Feldmanns entschieden. Wenn er nicht doch noch zurückzieht, könnte es bis zu den Neuwahlen hässlich werden.
Wenn ich die CDU wäre, würde ich sagen: Besser geht's nicht! Wenn der Bürgerentscheid scheitert, können wir die SPD vor uns hertreiben und gegen alles stimmen, was uns nicht passt, einfach mit dem Argument: Kommt von Feldmann, geht gar nicht. Es gab schon langweiligere Zeiten in der Frankfurter Politik. (Interview von Sarah Bernhard)