Frankfurts Firmen suchen dringend gute Leute: „Wir haben einen enormen Fachkräftebedarf“
Der neue Arbeitsagentur-Chef Björn Krienke im Interview über Wunsch und Wirklichkeit auf dem Stellenmarkt in Frankfurt.
Frankfurt - Seit Anfang des Monats ist Björn Krienke neuer Chef der Frankfurter Arbeitsagentur. Mit dem Arbeitsmarktexperten hat Redakteur Thomas Remlein über die Lage gesprochen.
Was ist spezifisch für den Frankfurter Arbeitsmarkt?
Er ist sehr dynamisch. Wir haben eine gute Mischung bei der Branchenstruktur: von Handwerk bis Industrie. Wer Frankfurt hört, denkt immer an Banken und Versicherungen, aber Frankfurt ist auch Industriestandort, wir haben auch Logistik, und viele Menschen pendeln nach Frankfurt.
Arbeitskräfte sind gesucht wie selten zuvor. Wer ist denn derzeit überhaupt noch arbeitslos?
Wir haben im Moment eine insgesamt günstige Situation. Sogar im Januar sind wir unter der Sechs-Prozent-Marke geblieben, bei 5,9 Prozent. Im Moment haben wir etwas mehr als 25 000 Arbeitslose in der Stadt; ein sehr positiver Wert für die Jahreszeit. Es gibt aber Menschen, die gesundheitliche Probleme oder keine abgeschlossene Ausbildung haben. Das ist weit über die Hälfte in unserem Bestand. Nicht alle Arbeitslosen sprechen gutes Deutsch. Mehr als die Hälfte kommt aus anderen Ländern.
Haben Sie eine Zahl, wie lange jemand durchschnittlich in der Arbeitslosigkeit verharrt?
Das ist natürlich sehr, sehr unterschiedlich und deshalb schwer an einer Zahl festzumachen. Der Durchschnittswert lag 2022, wenn man sich ausschließlich auf den bei der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldeten Personenkreis bezieht, bei rund 150 Tagen. Bezieht man sich dabei auf diejenigen darunter, die ihre Arbeitslosigkeit in dem Jahr beenden konnten, waren es rund 130 Tage. Sie sehen, diese Frage ist nicht pauschal mit einer einzigen Zahl zu beantworten.
Möglicherweise bleiben ja Über-60-Jährige bis zur Rente zwei Jahre in Arbeitslosigkeit.
Nein, das würde ich nicht mehr sagen. Vor ein paar Jahren hätte ich das noch bejahen können. Mittlerweile stellen wir fest, dass die Erwerbsbeteiligung der unter 65-Jährigen angestiegen ist, gerade auch in qualifizierteren Berufen.
Arbeitsmarkt in Frankfurt: „Bei den Jungs ist immer noch der Kfz-Mechatroniker hoch im Kurs“
Landauf, landab wird ja der Handwerkermangel beklagt. Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern?
Wir beobachten den Trend zum weiterführenden Schulbesuch. Der Klassiker, Realschulabschluss, duale Ausbildung im Handwerksbetrieb und dann gehe ich arbeiten, das ist nicht mehr die klassische Karriere. Nur sechs Prozent aller Haupt- und Realschüler in Frankfurt am Main nehmen eine duale Ausbildung auf. Das Ziel vieler Schülerinnen und Schüler ist, weiter zur Schule zu gehen, um das Abitur zu erwerben und studieren zu gehen. Andererseits haben wir eine massive Nachfrage nach Handwerks-, aber auch anderen Berufen.

Trotzdem kann ja jemand mit Abitur einen Handwerksberuf ergreifen. Lidl und Aldi bieten berufsbegleitende Studien an. Scheint von vielen wahrgenommen zu werden.
Auch im Handwerk kann man nach abgeschlossener Ausbildung den Meister erwerben und hat dann automatisch eine Hochschulzugangsberechtigung.
Wird in Deutschland die akademische Ausbildung zu sehr gegenüber der betrieblichen favorisiert?
Der Trend ist ungebrochen. Es schafft aber dann halt nicht jeder, ein Studium aufzunehmen oder abzuschließen. Da sind wir mit unserer Berufs- und Studienberatung unterwegs, um Wege außerhalb des Studiums aufzuzeigen. Wir haben einen enormen Fachkräftebedarf in den nächsten Jahren.
Es gibt Menschen, die können mit dem abstrakten Uni-Lernen nichts anfangen. Die wollen nicht alleine vor sich hinbrüten, sondern wollen schnelle Ergebnisse sehen und arbeiten gerne im Team. Wer eine Seminararbeit schreibt, ist weitgehend allein. Kann man diesen Personenkreis stärker ansprechen?
Eine gute Aufklärungsarbeit, schon an der Schule, ist wichtig. Wir haben über 300 anerkannte Ausbildungsberufe in Deutschland. Wir arbeiten unter anderem mit der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer eng zusammen, um auf die Vielzahl von Möglichkeiten hinzuweisen.
Gibt es bei der Wahl der Ausbildungsberufe immer noch geschlechtsspezifische Vorlieben?
Ja.
Und wie sehen die aus?
Bei den Jungs ist immer noch der Kfz-Mechatroniker hoch im Kurs, und bei den Mädchen die Friseurin oder Erzieherin oder der Bereich der Krankenpflege. Auch da versuchen wir, beim Girls’ Day oder Boys’ Day dafür zu werben, über den Tellerrand zu gucken. Gerade im Handwerk sehen wir viele erfolgreiche Handwerkerinnen, die tolle Karrieren hingelegt haben.
Eine Freundin meiner Tochter ist das Superhirn der Klasse, Einser-Abitur, Mathe-Genie. Raten Sie mal, welchen Beruf die junge Frau gewählt hat?
Tischlerin?
Nein, Erzieherin. Ein ordentlicher Beruf. Aber mit diesen Fähigkeiten?
Das kann auch nur der Einstieg sein. Viele Erzieherinnen machen eine Weiterbildung oder spezialisieren sich. Das Wichtigste bei der Berufswahl ist: etwas zu finden, was einem Spaß macht. Dann ist das Risiko, arbeitslos zu werden, sehr, sehr gering. Weil ich mich dann immer weiterentwickle. Die beste Prävention gegen Arbeitslosigkeit.
Und in einem freien Land haben wir freie Berufswahl.
Das ist so.
2015 kamen im Zuge der Flüchtlingswelle viele ungelernte Arbeitskräfte nach Frankfurt. Wie sieht es mit deren Integration in den ersten Arbeitsmarkt aus?
Rein statistisch können wir es nicht ausweisen. Es gibt Einzelbeispiele für gute, erfolgreiche Integration. Viele haben auch erstmal einen Helferjob angenommen, weil sie Geld verdienen wollten. In Frankfurt gibt es auch im Helferbereich viele Möglichkeiten.
Laut der Neuen Züricher Zeitung haben von den 2015 angekommenen Geflüchteten nach mehr als sieben Jahren gerade mal die Hälfte der rund 1,2 Millionen Menschen den Weg in den regulären Arbeitsmarkt gefunden. Können Sie diese Zahlen für Frankfurt bestätigen?
Frankfurt: „Der klassische Weg für Flüchtlinge ist erst einmal der Deutschkurs“
Die Zahl können wir nicht bestätigen, aber die lange Dauer der Integration. Der klassische Weg für Flüchtlinge ist erst einmal der Deutschkurs. Was bringe ich aus dem Herkunftsland mit? Kann das hier anerkannt werden? Wir haben Förderprogramme wie „Deutsch während des Berufes“. Jemand, der aus Syrien kommt, hat andere Voraussetzungen als jemand, der aus der Ukraine kommt.
Sie haben gerade die Ukrainer erwähnt: Wegen des russischen Überfalls auf das Land leben derzeit rund 5000 geflüchtete Ukrainer in Frankfurt. Wie sieht es mit deren Integration in den Arbeitsmarkt aus?
Bei den Ukrainern ging es erst mal um die humanitäre Hilfe. Es ist nach wie vor so, dass viele Frauen und Kinder geflüchtet sind, nur wenige Männer. Die Geflüchteten haben ein höheres Bildungsniveau. Das Bildungssystem ist dem westlichen System angenähert. Wir sehen Abschlüsse im Bereich Erziehung, Pflege, auch in der IT. Von den 5000 Geflüchteten sind im Moment 1200 arbeitslos gemeldet.
Und welche Jobs suchen sie?
Manche nehmen erst mal einen Helfer-Job an, um Geld zu verdienen, um über die Runden zu kommen, weil sie auch wieder zurück und die Zeit überbrücken wollen. Aber im Erziehungs- oder IT-Bereich haben einige schon die Arbeit aufgenommen.
Während der Corona-Zeit ist es zu Lieferketten-Problemen gekommen. Ist das noch ein Thema?
Stand jetzt, gibt es noch Kurzarbeit. Aber es hat sich wesentlich vermindert. Wir hatten im Januar in den vergangen drei letzten Monaten nur noch im zweistelligen Bereich Kurzarbeit. 39 Betriebe hatten Kurzarbeit. Im September 22 wurde in 20 Betrieben tatsächlich kurzgearbeitet. Wir hätten gedacht, dass es wegen des Ukrainekrieges und der Energiekrise mehr negative Auswirkungen geben kann. Das sehen wir aber überhaupt nicht.
Und welche Branchen sind noch betroffen?
Maschinenbau und Produktion.
Welche Probleme sehen Sie aufgrund der Verrentung der Babyboomer, also der Jahrgänge 1955 bis 1964, auf den Arbeitsmarkt zukommen?
Das ist eine der wesentlichen Aufgaben für die nächste Zeit. Wir haben eine enorme Nachfrage nach Arbeitskräften. Die Babyboomer haben ja jetzt erst angefangen, in Rente zu gehen. Der große Schwung liegt noch vor uns.
Allein der Jahrgang 1964. Vier Millionen Menschen.
Wir sehen jetzt schon, dass wir einen wahnsinnig hohen Stellenbestand im 5-stelligen Bereich haben. Durch das inländische Erwerbspotenzial allein werden wir den Bedarf nicht bewältigen können, auch die Fluchtbewegungen reichen nicht aus. Wir brauchen also perspektivisch eine andere Art von Zuwanderung, um das Erwerbspersonal bereitstellen zu können.
Wir bräuchten qualifizierte Zuwanderung. Es ist in der politischen Diskussion, ein Punktesystem für Einwanderer einzuführen. Wäre das hilfreich?
Hilfreich ist es, sich Gedanken zu machen, wie Zuwanderung stattfinden kann. Wie das politisch umgesetzt wird, ist nicht unsere Aufgabe zu beurteilen. Es muss aber über die bisherigen Einwanderungen hinausgehen, um den Bedarf zu decken.
Könnte der Einsatz von künstlicher Intelligenz zumindest teilweise Abhilfe schaffen? Jeder, der seine Versicherung anruft, landet erst einmal beim Sprachroboter.
Die Frage lässt sich nicht abschließend beantworten. Wie hoch ist das Substituierbarkeits-Potenzial? Welche Arbeitsplätze könnten durch KI ersetzt werden? Das heißt aber nicht automatisch, dass sie durch KI ersetzt werden. Ich mach’s mal am Reiseführer fest. Sie können es mit dem Smartphone machen oder Sie wollen doch jemanden haben, der Sie persönlich betreut? Die Frage ist, was möchte die Menschheit in Zukunft?
Die Google-Gründer Larry Page und Serge Brin haben gesagt: Menschen müssen darüber nachdenken, was sie wirklich können. Sie sehen in ihrem Programmierer-Optimismus 80 Prozent aller menschlichen Tätigkeiten für ersetzbar: Juristen, Ärzte, Journalisten.
Wie gesagt, die Frage ist, was ist technisch möglich und was will die Menschheit? Aber gerade Berufe mit hoher Empathie, Erziehende, Pflegende; Lehrende oder Handwerker, da kann Maschine immer helfen, aber nicht die Menschen ersetzen.
Corona, Fachkräftemangel und Inflation besiegeln das Aus der Metzgerei Ebert in Frankfurt. Bis Ende August ist das Geschäft noch geöffnet.