Fasziniert von Frankfurt: Die nächsten Stadtteilhistoriker gehen ans Forschen

Das Vergangene im Heute erklären und festhalten für die Zukunft - das machen nicht nur professionelle Historiker, sondern seit 2007 auch Bürger aus allen Berufen.
Frankfurt -Der Rahmen ist würdig im voll besetzten großen Saal der Evangelischen Akademie auf dem Römerberg. Goldfarben glänzt der Staffelstab, der am „Tag der Geschichte“ von 24 ausscheidenden an 24 neue Stadtteil-Historiker überreicht wird. Jetzt ist es an den „Neuen“, sich 18 Monate lang in Lokalgeschichte einzuarbeiten, zu recherchieren und am Ende ihre Ergebnisse zu veröffentlichen.
„2007 waren die Stadtteil-Historiker eines der ersten operativen Projekte der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main. Jetzt gehören sie zur DNA der Stiftung“, so Prof. Frank E.P. Dievernich, der seit Oktober 2022 ihr Vorstandsvorsitzender ist und sich begeistert zeigt von den Themenvorschlägen der Männer und Frauen zwischen Mitte 20 und 80 Jahren.
„Gehören zur DNA der Stiftung“
Seit Beginn sind es Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen, die sich ein Thema suchen und sich intensiv damit befassen. Gemeinsam ist ihnen das Interesse für die Geschichte. Sie befassen sich individuell mit Menschen, Orten oder Geschehnisse, die sonst verborgen blieben und sind dadurch ebenso mit der Geschichte verbunden, wie die, die sich für die Arbeiten interessieren.
Michael Köhler erforscht zum Beispiel die 15 Fotografien von Barbara Klemm, die seit den 1980er Jahren im U-Bahnhof Bockenheimer Warte hängen. Wer sind die Abgebildeten, was wurde aus ihnen? Michelle Heyer befasst sich mit der Niddastraße zwischen einst und jetzt, Susanne Roether arbeitet die Lebensbedingungen von Dienstboten im Nordend im frühen 20. Jahrhundert auf, David Moskovits beschäftigt sich mit Schwulenlokalen in der Innenstadt ab 1954. Andere recherchieren über Siedlungen, Offiziershäuser oder Schulen. Die Themen der neunten Staffel sind ebenso bunt und vielfältig wie Frankfurt es immer schon war. Die hochkarätige Jury aus Thomas Bauer vom Institut für Stadtgeschichte, Jan Gerchow, dem Direktor vom Historischen Museum und Andrea Hohmeyer, Leiterin der Corporate Archives Evonik Industries hat aus 32 Bewerbungen die 24 Vorschläge nach Originalität, Qualität des methodischen Ansatzes und nach Umsetzbarkeit ausgewählt.
Faszination für Frankfurt wecken
Das „Wir“-Gefühl soll nicht nur bei den Stadtteil-Historikern aufkommen, sondern durch die Arbeiten auch in der Stadt. „Menschen in Verbindung zu bringen, eine Faszination für die Stadt zu entwickeln führt zu starken Bindungen, die insgesamt robust machen“, sagt Projektleiterin Katharina Uhsadel, die gemeinsam mit Oliver Ramonat die Stipendiaten begleiten wird. Werkstatttreffen, ein Fachvortrag, Praxisworkshops und Monatstreffen gehören zur fachlichen Begleitung. Jeder Stadtteil-Historiker erhält außerdem 1500 Euro für Kopier- und Fahrtkosten, oder um eine Broschüre, eine Präsentation oder einen Film zu erstellen.
Zur Staffelübergabe gibt es Urkunden für die Vorgänger. Für sie war es wegen Corona besonders schwierig. Treffen gab es nur virtuell, Interviews waren wegen der Einschränkungen schwierig. Die Ergebnisse hat es nicht geschmälert. Kirsten Schwartzkopff zum Beispiel hat die Geschichte des Rudervereins Germania in der NS-Zeit beleuchtet und die Biografien der jüdischen Mitglieder zutage gebracht. Christoph Busch hat die Herkunft des Einzelhandels in Rödelheim unter die Lupe genommen. Beide motivieren ihre Nachfolger nach der Staffelübergabe mit Einblicken darüber, wie sie ihre Recherchen geführt haben. Noch weiter zurück in die Geschichte Frankfurts geht bei der feierlichen Veranstaltung der Historiker Prof. Dieter Hein von der Goethe-Universität, der über die Revolution in Frankfurt von 1848/49 spricht. Tiefgreifend und mit Verbindung zu noch früherer Zeit und heute. Und von dem Tag, als am 18. Mai vor 175 Jahren die erste Deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche zusammenkam. Geschichte lebendig zu halten ist der Weg, lokale Eigenheiten zu verstehen und Menschen aus aller Welt näher zusammen zu bringen. Ein Ziel, das sich die Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt gesetzt hat und mit Stadtteil-Historikern lebendig macht.