Innovation aus dem Bankenviertel: Damit Firmen schneller Talente finden

Eine Innovation aus dem Bankenviertel in Frankfurt soll dabei helfen, besonders begehrte Fachkräfte besser zu erreichen.
Frankfurt - Nicht nur einmal im Leben hat Corinna Haas die Welten getauscht: Nach einem "eher zufällig" ergriffenen BWL-Studium rekrutierte die 46-Jährige, die sich selbst als "Arbeiterkind aus dem Schwarzwald" beschreibt, im Bankenviertel von Frankfurt elf Jahre lang hoch qualifizierte Führungskräfte für J.P. Morgan. Und obwohl die beiden Welten unterschiedlicher nicht sein könnten, gab es etwas, das die 46-Jährige in beiden genervt hat: Lebensläufe.
"Die Bewerber stecken so viel Zeit und Hoffnung in ihn und wir Recruiter schauen nur kurz, ob die für uns wichtigen Kriterien erfüllt sind. Das ist nicht ausgewogen." Zumal Jobvermittler mit den sich ständig wiederholenden Aufgaben ziemlich unglücklich seien. "Die meisten sind in diesem Geschäft, weil sie mit und für Menschen arbeiten wollen. Aber dafür bleibt vor lauter Routineaufgaben kaum noch Zeit."
Aus Frankfurt in den Schwarzwald: Wer im Büro sitzt muss keine Reifenwechseln
Ein Besuch daheim im Schwarzwald brachte das Fass zum Überlaufen. "Meine Nichte suchte einen Ausbildungsplatz als KFZ-Mechatronikerin. Handwerklich war sie gut vorbereitet, aber der Lebenslauf war eine Herausforderung. Ich finde das unfair. Wenn sich jemand für einen Bürojob bewirbt, muss er doch auch nicht zum Beweis für die praktischen Fähigkeiten einmal Reifen wechseln."
Haas wurde klar: Oft ist es nur der Widerwille, eine Bewerbung schreiben zu müssen, der viele gewerblich-technische Fachkräfte vom Jobwechsel abhält. Also beschloss sie, die Welt von unnützen Lebensläufen zu befreien.
Und kehrte dafür wieder in ihre Herkunftswelt zurück: zu den "hidden champions", also den verborgenen Leistungsträgern des Mittelstands. "Die brauchen meine Hilfe mehr als Großkonzerne", sagt Haas: Weil sie oft nur eine Komponente für ein Gesamtprodukt herstellen, sind sie als Arbeitgeber in der Regel relativ unbekannt. Dazu kommt, dass die Personalabteilung - so es sie denn gibt - meist kaum Erfahrung mit sozialen Medien hat. Dem Ort also, an dem Fachkräfte einen Großteil ihrer Freizeit verbringen.
Agentur in Frankfurt: „Talente um die man sich in Deutschland kümmern muss“
Auf der anderen Seite stehen Menschen, deren Talente besonders dringend gebraucht werden, weil sie nicht remote aus dem Ausland arbeiten können, die aber meistens schon Familie und ein Häuschen haben, sich also eher lokal umorientieren wollen. "Das sind die vergessenen Talente, um die wir uns in Deutschland kümmern müssen. Ich möchte, dass auch diese Leute morgens aufstehen und gerne zur Arbeit gehen."
Um beide Seiten zusammenzubringen, gründet sie 2017 mit zwei Kollegen die Recruiting-Agentur Inga GmbH - und ersetzt den Lebenslauf durch etwas, das für junge Fachkräfte viel natürlicher ist: ein Chatgespräch. Und zwar mit einem Social Bot, also einem Programm, das automatisiert genau die Dinge abfragt, die ein Arbeitgeber wissen will, dabei aber freundlich klingt. "Hallo! (Knuddelsmiley) Schön, dass du hier bist!", beginnt beispielsweise das Gespräch über eine Stelle als Gesundheits- und Krankenpfleger in einem Münchner Klinikum.
Frankfurt: Über Facebook und Instagram zum Erfolg
In den Chat gelotst werden die Interessenten durch Werbeanzeigen auf Facebook oder Instagram, "weil das die Plattformen sind, die Fachkräfte heute am häufigsten nutzen". Wenn diese auf "Mehr" klicken, geht es los. "Kommt eine Stelle in einer Münchner Klinik für dich in Frage?", fragt der Bot. Klickt man ja, bekommt man eine knappe Auflistung der Vorteile, die der Job bietet. "Viele Kandidaten machen so was in der Pause oder abends beim netflixen. Deshalb müssen die Texte kurz sein."
Dann werden die Grundvoraussetzungen abgefragt. Passen der Bewerber und das Unternehmen - zumindest nach Faktenlage - zusammen, drückt der Kandidat auf "Bewerbung abschicken", und seine Kontaktdaten werden der betreffenden Personalabteilung übermittelt.
Angebot aus Frankfurt: "Im Moment werden wir überrannt"
Wegen des sich verstärkenden Fachkräftemangels nehme das Interesse an Inga stetig zu, sagt Haas. "Im Moment werden wir geradezu überrannt." Kunden seien vor allem Unternehmen, die alles andere bereit versucht hätten. Denn das günstigste Angebot auf dem Markt ist Inga mit knapp 3000 Euro für vier Wochen nicht. Ein Konkurrent mit weniger personalisiertem Konzept beispielsweise verlange für die gleiche Zeit nur etwa ein Sechstel. "Aber in der Theorie kann ja auch jeder singen. Nur manche halt unter der Dusche und manche auf der Bühne."
Als nächstes wollen Corinna Haas und ihr Team einen eigenen Chatbot programmieren, der speichert, an welchem Punkt potenzielle Interessenten das Gespräch abgebrochen haben. „Das kann für das Unternehmen eine wichtige Info sein.“ Zum Beispiel, um herauszufinden, wo es nachbessern muss, um noch attraktiver zu werden. Denn darum gehe es doch eigentlich: Auch diesen Fachkräften die Wertschätzung zukommen zu lassen, die sie tatsächlich verdienen. (Sarah Bernhard)
Die Stadt Frankfurt plant auch im Bereich Wohnraum eine Innovation.