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Nach angekündigtem Binding-Aus: Bier aus Frankfurt wird weiter fließen

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Kleinere Betriebe halten nach dem angekündigten Aus für Binding die Brautradition in Frankfurt am Leben.

Frankfurt - Die Frankfurter Brauereibranche ist mächtig in Bewegung. Vorsichtig ausgedrückt. Denn nicht nur die Radeberger Gruppe will den Standort der Binding Brauerei in Sachsenhausen unter großem Protest Ende dieses Jahres schließen. Schon im Frühjahr hatte die erst 2018 gegründete Micro-Brauerei Flügge in Goldstein aufgegeben. Und Anfang April verkündeten die beiden Brauer von Yayle aus Oberrad nach vier Jahren das Aus.

Christian Daam, zusammen mit Sascha Euler Gründer und Geschäftsführer des Naiv, steht hinter der Theke im Restaurant in der Fahrgasse. Über 100 verschiedene Biere sind hier im Ausschank, auch zwei eigene Kreationen: ein Lager und ein Helles.
Christian Daam, zusammen mit Sascha Euler Gründer und Geschäftsführer des Naiv, steht hinter der Theke im Restaurant in der Fahrgasse. Über 100 verschiedene Biere sind hier im Ausschank, auch zwei eigene Kreationen: ein Lager und ein Helles. © Rainer Rüffer

Keine Dosen mehr da für Frankfurter Klein-Brauereien

„Für Lohnbrauer wird es immer schwieriger“, bedauert auch Christian Daam, zusammen mit Sascha Euler Gründer und Geschäftsführer des Naiv in der Fahrgasse in Frankfurt. Schuld daran seien die explodierenden Rohstoffpreise. Die ohnehin schon deutlich teureren Craft Biere würden dann preislich nicht mehr zu stemmen sein. Als Beispiel nennt Daam die Dosen. Mit Kriegsbeginn in der Ukraine seien zwei Dosenfabriken im kriegsgebeutelten Land ausgefallen. „Wir haben daraufhin unser Lager Bier nicht mehr wie zuvor in Dosen abfüllen lassen, das wäre einfach zu teuer geworden.“ Dabei schwören die Naiv-Macher auf die Dose. „Das sind kleine Fässer, kein Licht kommt heran, die Kohlensäure kann nicht entweichen“, erläutert Daam die Vorzüge. Zwar fremdeln die deutschen Biertrinker noch immer etwas mit diesem Gebinde, aber etwas Besseres gebe es nicht.

Das Naiv selbst hat zwei eigene Biere entwickelt. Zum einem mit dem langjährigen Partner Glaabsbräu aus Seligenstadt. Eineinhalb Jahre probierten sie mit Braumeister Julian Menner herum, bis Daam und Euler zufrieden waren. „Das Bier sollte ohne Trinkwiderstand sein. Wir haben es bei uns von den Gästen ausprobieren lassen. Bis es gepasst hat.“

Ähnlich war es nun mit der zweiten Kreation in Zusammenarbeit mit der Frau Gruber Craft Brewing aus Gundelfingen, erzählt Christian Daam. „Wer ein Helles bestellt hat, hat die zweite Kreation in einem Probierglas dazubekommen. Unsere Bedienungen haben dann Strichlisten geführt, welches Bier am besten angekommen ist.“ I love ffm heißt es nun, mit dem neuseeländischen Hopfen Motueka gebraut, der dem Hellen den besonderen Pfiff gibt.

„Wir wollten selbst bestimmen, was wir ausschenken“

Mit ihren beiden Marken gehört das Naiv zwar auch zu den Lohnbrauern, aber mit dem Restaurant, dem Bottle Shop und der eigenen Pizzeria haben sich die beiden weitere Standbeine aufgebaut. Dass das funktioniert, zeigt sich deutlich am Standort. Das Naiv breitet sich weiter aus. Kein Wunder also, dass zum zehnjährigen Bestehen vor wenigen Tagen die Fahrgasse nur so brummte. Es kamen rund 1500 Bierenthusiasten, die die Feier zum Straßenfest machten.

Dabei war der Beginn in der Fahrgasse dornig. In acht Monaten hatte das Naiv-Team die Räumlichkeiten 2013 in Eigenarbeit aufwendig umgebaut. Eigentlich sollte ein Vertrag mit einer großen Brauerei geschlossen werden, die alles finanzieren wollte. Aber dann kam das Aha-Erlebnis in Hamburg bei einem Food Pairing mit Fernsehkoch Tim Mälzer, der zwölf verschiedene Biere zum Essen reichte. „Da war die Entscheidung schnell gefallen, dass wir uns nicht an eine Brauerei binden. Wir wollten selbst bestimmen, was wir ausschenken“, sagt Christian Daam.

Frankfurter Brauer weltweit bekannt

Und dabei ist es geblieben. Acht verschiedene Biere vom Fass gibt es im Restaurant, zwei weitere in der Pizzeria. Die Biere werden täglich gewechselt, außer die beiden Hausmarken. Dazu stehen über 100 weitere wechselnde Biere aus der Flasche oder der Dose zur Verfügung. Der Kontakt reicht mittlerweile weltweit. Das Naiv ist bekannt, hat einen enormen Durchlauf, ist für kleinere Brauereien also interessant. „Industriebier“, wie Craft Bier-Freunde den Gerstensaft aus größeren Brauereien abschätzig nennen, gibt es nicht, auch nicht im Bottle Shop. Wer aber eine Weltreise durch die verschiedenen Bierstile machen möchte, ist hier genau richtig. Denn viele deutsche Biertrinker kennen nur ihr Pils, andere Lagerbiere und vielleicht noch Weißbier. Weltweit gibt es aber mindestens 100 unterschiedliche Bierstile.

Auch wenn der Standort Binding geschlossen wird, Flügge mittlerweile Geschichte ist, Frankfurter Biere wird es weiter geben. Dafür sorgen neben dem Naiv auch das Braustil im Nord-end oder die Frankfurter Brauunion im Ostend. Und was die Yayle-Macher Ole Claßen und Sebastian Offelmann angeht, gibt es noch Hoffnung, weiß Christian Daam. „Sie haben erst einmal nur eine Pause eingelegt.“ Das klingt nicht nach einem Abschied für immer.

Inflation und schwaches Konsumklima setzen Branche zu - auch in Frankfurt

Die Brauwirtschaft steht weiter unter einem massiven Kostendruck. Auch wenn sich die Energiepreise stabilisiert haben und auf hohem Niveau rückläufig sind und es zuletzt seltener zu Lieferengpässen kommt, stellen die Kosten eine immense Belastung dar. Nach einer Umfrage des Deutschen Brauer-Bundes (DBB) sehen sich die 1500 deutschen Brauereien bei fast allen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie sonstigen Vorleistungen weiterhin mit drastisch gestiegenen Preisen konfrontiert. So sind die Kosten für Glasflaschen seit Anfang 2022 um bis zu 140 Prozent nach oben gegangen, für Braumalz sogar um bis zu 150 Prozent. Neben Preissprüngen für Materialien wie Kronkorken oder Etiketten machen den Betrieben auch die steigenden Lohnkosten zu schaffen.

„Die Herausforderungen für die Brauwirtschaft sind immens, es gibt keinen Grund zur Entwarnung“, sagt Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des DBB in Berlin, mit Blick auf die zweite Jahreshälfte. Noch immer leide die Branche unter den herben Verlusten während der Corona-Krise, als Fassbier über Monate unverkäuflich war. Die explodierenden Kosten seit Beginn der Pandemie hätten die Situation für die angeschlagenen Betriebe zusätzlich verschärft. Selbst wenn die Preise einzelner Rohstoffe und Materialien ihre Höchststände zuletzt verlassen haben, bedeute dies allerdings nicht, dass der Druck auf die Betriebe sinke. Die Preise liegen nach wie vor weit über dem Vorkrisenniveau, betont der Hauptgeschäftsführer.

Bier-Branche hofft auf Veränderung der Wirtschaftslage

Aus Sicht der Brauwirtschaft dringend notwendige Preiserhöhungen konnten nur teilweise umgesetzt werden, dies wird auch bei einem Blick in die Statistik deutlich: Die Erzeugerpreise, also die Preise, zu denen die Brauereien ihr Bier in Deutschland an Handel oder Gastronomie abgeben, haben sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts seit April 2022 lediglich um 7,3 Prozent erhöht. Zum Vergleich: Die Erzeugerpreise über alle Nahrungsmittel und Getränke hinweg erhöhten sich im selben Zeitraum um 12,9 Prozent.

Steigende Preise und Zinsen als Folge der Inflation und das aktuell schwache Konsumklima - der bis April 2023 aufgelaufene Bierabsatz im Inland liegt um 4,7 Prozent unter dem Wert des Vorjahrs - hätten die Problematik für die Unternehmen zusätzlich verschärft. (Sören Rabe)

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