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22 Menschen verletzt: Straßenbahn-Crash in Frankfurt hat weltweite Folgen

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Von: Dennis Pfeiffer-Goldmann

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Heute vor zehn Jahren wurden bei einem Tram-Zusammenstoß in Frankfurt 22 Menschen verletzt. Der Unfall hat Folgen, die Fahrgästen weltweit nutzen.

Frankfurt -22 Verletzte, zwei Straßenbahnen beschädigt, ein Großaufgebot von Feuerwehr und Rettungskräften an der Haltestelle Universitätsklinikum: Heute vor zehn Jahren hat sich einer der schwersten Tram-Unfälle der Stadtgeschichte ereignet. So tragisch der Crash war: Er hat dazu geführt, dass nun Fahrgäste in der Straßenbahn viel sicherer unterwegs sind - sogar weltweit.

Frankfurt: Die Bahn vorne fährt, an, die hintere auch, dann passiert’s

Eine sehr sichere Art, voranzukommen ist die Tram seit jeher. Und dann passierte es doch: Donnerstag, 7. März 2013, 7.27 Uhr, mitten im Berufsverkehr, stehen eine 12 und 15 in der Doppelhaltestelle vor der Uniklinik. Die Fahrgäste sind drin, die vordere Bahn fährt wieder an. Auch der Fahrer der hinteren drückt daraufhin der Fahrhebel nach vorn. Doch plötzlich bremst die 12 wieder. Der Fahrer der 15 bemerkt das aber nicht. Es sind wohl nur ein, zwei Sekunden. Sein Fahrzeug kracht in das Heck des anderen.

Bergungsarbeiten nach dem Zusammenstoß: Heute vor zehn Jahren prallte in den Morgenstunden eine Tram nach Niederrad auf einen Wagen nach Schwanheim. In Folge des Frankfurter Crashs von 2013 sind Straßenbahnen heute vielerorts sicherer unterwegs.
Bergungsarbeiten nach dem Zusammenstoß: Heute vor zehn Jahren prallte in den Morgenstunden eine Tram nach Niederrad auf einen Wagen nach Schwanheim. In Folge des Frankfurter Crashs von 2013 sind Straßenbahnen heute vielerorts sicherer unterwegs. © Feuerwehr

Die Fahrgäste wirbelt es durcheinander, sie stoßen gegen Haltestangen, stürzen hin. Sieben Rettungswagen eilen zur Unglücksstelle, ein Notarzt landet per Helikopter „Christoph 2“ auf dem Theodor-Stern-Kai. Fahrgäste werden in der nahen Notaufnahme behandelt, auch um ein Schulkind und den verletzten Fahrer kümmern sich die Retter.

Assistenzsystem für Trams? Fehlanzeige in Frankfurt

„Unachtsamkeit des Fahrers“ nennt die Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) später als Ursache. Unfälle von Fußgängern, Radfahrern, Autos, Lastern oder Bussen mit Trams und U-Bahnen gibt es öfter - wobei die Schuld meist nicht beim Schienenfahrzeug liegt. Ein Auffahrunfall zweier Straßenbahnen aber, das ist ungewöhnlich. Und der Schaden ist enorm, sind doch just die beiden Fahrerstände beschädigt.

Das merken die Mitarbeiter in der Stadtbahnzentralwerkstatt in Praunheim, als sie die Bahnen in den Wochen darauf reparieren. Sie fragen sich: Warum gibt es eigentlich kein Kollisionswarnsystem für Trams, was es für Autos, Busse und Lastwagen längst gibt? Als man die Industrie darauf angesprochen habe, seien die Hersteller sofort Feuer und Flamme gewesen, erinnert sich VGF-Technikgeschäftsführer Michael Rüffer. Denn weder als Festeinbau noch als Nachrüstsatz gab es ein solches Assistenzsystem.

Daraufhin begannen die VGF-Techniker zu tüfteln. Ihr Ansatz sei gewesen, die im Automobil-Bereich vorhandene Technik in die Straßenbahn zu übertragen, erläutert VGF-Sprecher Bernd Conrads. So bauten die Frankfurter zusammen mit Bosch ein Antikollisionssystem in einen der R-Wagen aus den Neunzigerjahren ein und zusammen mit Hersteller Bombardier in einen der S-Wagen, die von 2003 bis 2013 ausgeliefert wurden. Gut zwei Jahre nach dem Tram-Unfall an der Uni-Klinik war es so weit, erklärt Ingenieur Lothar Wolf von der VGF-Stabsstelle Innovation: „Im Juni 2015 wurde das erste Fahrerassistenzsystem für Straßenbahnen von einer Aufsichtsbehörde zugelassen.“ Eine Weltpremiere.

Straßenbahn-Crash: Neue Technik lässt sich schnell nachrüsten

Bis zu drei Kameras, hinter der Frontscheibe platziert, nehmen das Geschehen vor der Bahn auf - bei den R-Wagen zusätzlich ein Radarsensor hinter der Frontverkleidung. Ein Controller, installiert unter der Decke über dem Fahrer, wertet die Daten aus und ermittelt, inwiefern sich ein Gefahrenpotenzial ergibt, erklärt Wolf. „Ist ein Hindernis auf der Strecke erkannt, ertönt eine Hupe für den Fahrer“ und ein gelbes Warnlicht leuchtet auf. „Der Fahrer hat dann Zeit, um zu reagieren“, sagt der Ingenieur. Reagiert der Schienenbahnfahrer nicht, greift die Technik nach zwei Sekunden ein und stoppt die Bahn.

Nach Testfahrten 2014 und der technischen Abnahme 2015 testete die VGF das neue System ab März 2016 im Linienbetrieb und gab es ein Jahr später generell frei. Die Nachrüstlösung habe den Vorteil, dass der Einbau mit nur 40 Mann-Stunden möglich sei, erläutert Lothar Wolf. Zwei Mitarbeiter könnten zwei Bahnen in einer Woche ausstatten.

Prinzipiell lässt sich jede Straßenbahn nachrüsten. Das hat die VGF mit allen 74 S-Wagen gemacht sowie mit 13 der 20 R-Wagen aus der zweiten, neueren Bauserie. Mit ihrer Entwicklung haben die Techniker aus der Praunheimer Zentralwerkstatt tatsächlich die Straßenbahnwelt ein wenig verändert: In den vergangenen sechs, sieben Jahren hätten Kunden in Europa ihre Siemens-Trams zu 90 Prozent mit dem Kollisionswarnsystem bestellt, erklärt Claas Belling, Sprecher von Siemens Mobility.

Frankfurter Idee rollt sogar in Australien

Solche Lösungen entwickelten sich in Mitteleuropa „mehr und mehr zu einer Grundvoraussetzung von Neufahrzeugen“, weiß Jörn Bischoff, Sprecher von Alstom Deutschland. Nicht nur in mehreren europäischen Ländern rollt das System schon in Alstom-Straßenbahnen, sondern auch an der australischen Goldcoast.

Auch die neuen T-Wagen in Frankfurt liefert Alstom ab Werk mit der Technik. Ein Crash wie an der Uniklinik wäre so heute nicht mehr möglich. Den unachtsamen Moment des Menschen ganz vorn würde die Automatik nun ausgleichen. (Dennis Pfeiffer-Goldmann)

In Frankfurt-Griesheim kam es kürzlich zu einem Verkehrsunfall als eine Straßenbahn und ein Auto zeitgleich abbiegen wollten und kollidierten.

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