Awo-Affäre: Ulli Nissen wirft hin – Aufarbeitung von Vorwürfen zu anspruchsvoll

Ulli Nissen war jahrelang ehrenamtliche Revisorin bei der Awo Frankfurt. Nun hat sie, wie auch der zweite Kassenprüfer, Martin Völker, die Brocken hingeworfen. Beide sind "mit sofortiger Wirkung" zurückgetreten. Die Fülle der Vorwürfe gegen die Awo ist wohl zu wuchtig.
Frankfurt - Manche Abschiede gehen leise vonstatten und sind dennoch ein vernehmbares Signal. Der Abschied von Ulli Nissen und Martin Völker aus dem Awo-Kreisverband Frankfurt ist ein solcher. Beide waren ehrenamtlich für ihn tätig, als Revisoren. Ihnen oblag damit die Überprüfung von Bilanzen und Abrechnungen des Verbandes, die ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen erstellt und ihnen vorgelegt hat. So ging das einige Jahre. In diesem Jahr aber war alles anders. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den Awo-Kreisverband Frankfurt hatten die beiden Revisoren einen umfangreichen Fragenkatalog zu Gehaltsstrukturen und zum Zustandekommen von Arbeitsverträgen, zu Vergabeverfahren und Dienstwagen erarbeitet und dem Vorstand zur Beantwortung vorgelegt. Am Dienstagabend war Sondersitzung von Präsidium und Kreisausschuss, und es dürfte hitzig diskutiert worden sein
Für Ulli Nissen und Martin Völker muss zu jenem Zeitpunkt bereits festgestanden haben: Wir steigen aus, wir stellen unverzüglich unsere Ämter zur Verfügung. Den Ausschlag dafür hatte ein Beitrag des HR am Dienstagabend in der Hessenschau gegeben, in dem über Mobbing bei der Awo Frankfurt berichtet wurde und wie Mitarbeiter von Privatdetektiven bespitzelt worden sein sollen.
Awo-Affäre in Frankfurt: Kein großer Auftritt, dafür Abschied in Ruhe
Nach dem offiziellen Teil der Sondersitzung am Dienstagabend, es mag kurz vor Mitternacht gewesen sein, haben die beiden Revisoren gegenüber dem Vorstand ihre Ämter niedergelegt. Kein großer Auftritt also, sondern Abschied in Ruhe, aber Entschiedenheit. Eine halbe Stunde später folgt die offizielle Mitteilung von Ulli Nissen mit der knappen Begründung: "Die Revision ist für uns als Ehrenamtliche nicht mehr in der Tiefe zu leisten." Das mag spröde klingen, liefert indessen unübersehbar den Hinweis: Da muss man tiefer graben, um alle Missstände aufzudecken. Da reicht es nicht, wenn Mitarbeiter jetzt anbieten, die Leasingraten für ihre teuren Dienstwagen fortan privat zu übernehmen.
Die Vakanzen, die Nissen und Völker bei der Frankfurter Awo hinterlassen, sind nicht die einzigen. Bereits Anfang der Woche hatten drei weitere SPD-Politiker ihre Ämter ruhen lassen. Er werde nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen Betrugsverdacht entscheiden, "ob ich meine Tätigkeit im ehrenamtlichen Präsidium wieder aufnehmen oder niederlegen möchte", hatte der SPD-Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel noch zum Abschied hinterlassen. Im Januar steht eine außerordentliche Mitgliederversammlung mit Neuwahlen an. Man darf gespannt sein, ob sich Kandidaten finden, die sich zur Wahl stellen.
Ob bis dahin die "weiteren Maßnahmen für eine transparente Aufklärung" greifen, wie am Dienstag vom Präsidium beschlossen, wird abzuwarten sein.
Angesichts staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen und Negativ-Schlagzeilen über überhöhte Gehälter und Dienstwagen sind das die Konsequenzen, die der Vorstand zu ziehen gedenkt.
Awo-Affäre in Frankfurt: Riesige Aufgabe, Ansehen wiederherzustellen
"Wir stehen vor einer riesigen Aufgabe, das Ansehen und das Vertrauen in die Awo Frankfurt vollständig wiederherzustellen", wurde ein namentlich nicht genanntes Mitglied des Präsidiums zitiert. Der Awo-Vorstand kündigte in der Stellungnahme nach der Sitzung an, die Dienstwagenrichtlinie werde angepasst, "um der laut gewordenen Kritik Rechnung zu tragen". Auch Gehaltsgefüge und Eingruppierungen sollten kritisch geprüft werden, hieß es.
Am Mittwoch meldete sich auch der Frankfurter SPD-Chef Mike Josef zu Wort und forderte einen "externen Prüfer" für die Awo.
Nach im Sommer aufgrund von Recherchen dieser Zeitung bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten beim Betrieb von Flüchtlingsunterkünften war der Awo-Kreisverband unlängst wegen besonders hoher Gehaltszahlungen an bestimmte Mitarbeiter und teure Dienstwagen in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit geraten. Auch Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), früher selbst bei der Awo beschäftigt und bis heute Mitglied des Wohlfahrtverbands, geriet in die Kritik nach Berichten, dass seine damalige Lebensgefährtin und heutige Ehefrau Zübeyde als Leiterin einer Awo-Kindertagesstätte einen Dienstwagen und ein Gehalt bezogen haben soll, das deutlich über dem von Kollegen in vergleichbaren Positionen gelegen habe. Die Awo hatte dazu erklärt, mit Zübeyde Feldmann die Vereinbarung getroffen zu haben, die entstandenen Kosten für die Nutzung des überlassenen Dienstwagens in der Elternzeit nach ihrer Rückkehr abzurechnen. Dies sei Teil ihrer Transparenzoffensive, mit der die Awo auf gegen sie erhobene Vorwürfe reagieren wolle.
von SYLVIA A. MENZDORF