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Frankfurt-Bergen: Damit die Geschichten der Welt erhalten bleiben

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Anne Weber ist die neue Stadtschreiberin in Bergen-Enkheim. Die Bewohner sollen ihr künftig Geschichten erzählen, die sonst verloren gehen, wünschte sich die Autorin in ihrer Rede.
Anne Weber ist die neue Stadtschreiberin in Bergen-Enkheim. Die Bewohner sollen ihr künftig Geschichten erzählen, die sonst verloren gehen, wünschte sich die Autorin in ihrer Rede. © Mag

Anne Weber ist für ein Jahr die neue Stadtschreiberin von Bergen und folgt damit auf Anja Kampmann. Traditionelles Fest im Stadtteil fand in diesem Jahr statt mit 1000 Personen nur im kleinen Kreis statt.

Die Organisatoren des Stadtschreiberfests hatten hoch gepokert. Einen Schutz vor Regen gibt es für keinen der genau 250 Anwesenden auf dem Berger Marktplatz. Doch scheint Petrus großer Freund von Anja Kampmann und Anne Weber zu sein. Bevor die amtierende und die künftige Stadtschreiberin aber die Bühne betreten, richtet Ortsvorsteherin und Jury-Vorsitzende Renate Müller-Friese (CDU) das Wort an die Bergen-Enkheimer. "Ich freue mich riesig, dass es uns gelungen ist trotz der Ereignisse, die uns seit einigen Monaten fest im Griff haben, dieses Fest zu organisieren." Natürlich in deutlich kleinerem Rahmen. Normalerweise finden mehr als 1000 Personen in einem großen Festzelt Platz. "Jedes Jahr macht es mir große Freude, mit den Jury-Mitgliedern zu diskutieren. Das geschah 2020 zur Hälfte online und zur Hälfte gemeinsam vor Ort", fährt die Ortsvorsteherin fort. Dann übergibt sie an Anja Kampmann, die nun ein Jahr lang das Amt der Stadtschreiberin innegehabt hat.

"Man sollte meinen, es ist leichter, eine Abschiedsrede zu schreiben als eine Antrittsrede", beginnt sie. Doch in diesem Jahr sei so vieles anders gewesen. "Der Abschied ist ein Moment, in dem man sich erhebt. Man blickt auf das zurück, was war. Jeder Reisende kennt diesen Moment", so Kampmann.

Die Bergen-Enkheimer sitzen an ihren Tischen und hören gespannt zu. Etwas missglücktes Frankfurterisch seitens Anja Kampmann wird mit Freude und Szenenapplaus quittiert. Doch widmet sich die Autorin in ihrer Rede vor allem der Pandemie: Das Getöse existenzieller Ängste von Menschen habe ihr Jahr in Frankfurt überschattet. "Es scheint nicht die Zeit zu sein, in der ich Ihnen berichte, wie sehr mich die Stadt beeindruckt hat." Doch sei es ein Moment zu schreiben, zu sprechen und zu erzählen. "Den Lärm in Musik zu verwandeln, denn nichts anderes kann Literatur."

Mit großem Applaus wird Anja Kampmann verabschiedet und übergibt auf der Bühne den symbolischen Schlüssel zum Stadtschreiberhaus an Anne Weber. Diese ist gebürtig aus Offenbach und hat einen Großteil ihres bisherigen Lebens in Paris verbracht. "Liebe Bergener, liebe Enkheimer, liebe Bindestriche", beginnt die neue Stadtschreiberin ihre Antrittsrede. "Wenn ich es recht verstanden habe, scheint diese Einrichtung in Bergen-Enkheim auf die Liebesbeziehung einer Stadt zu seiner Schreiberin hinauszulaufen." Auch sie nimmt sich Zeit, um die aktuelle Pandemie-Situation zu durchdenken: "Keine der Katastrophen, vor denen ich mich je gefürchtet habe, ist eingetreten. Stattdessen aber etwas, an das ich nie einen Gedanken verschwendet habe." Und dann sei sie plötzlich da gewesen. Die Pandemie. "Immer gibt es etwas, was ich nicht im Blick habe und diese Lücke nutzt das Schicksal aus, um zuzuschlagen", so Weber. Ein wenig abergläubisch sei sie schon, gibt sie zu. "Im Mittelalter war ein Stadtschreiber ein Jurist. Welchen Nutzen könnte das Amt heute für eine Stadt haben?", fährt die Autorin fort. "Ist Kunst nicht immer ohne praktischen Nutzen?" Der Nutzen hänge schließlich von der Situation des Nutzers ab. "Mir scheint, ich könnte eine Stadtschreiberin sein, die Geschichten aufschreibt, die sonst vergessen werden."

An regelmäßigen Tagen dürften die Bergen-Enkheimer sie im Stadtschreiberhaus besuchen kommen, um der Stadtschreiberin eine Geschichte zu erzählen. Keine selbst erlebte. "Sondern eine Geschichte, die Sie gehört haben und die Ihnen im Kopf haften geblieben ist. Die Welt ist voller Geschichten, die niemand weitererzählt", so die Stadtschreiberin Anne Weber. In der Buchhandlung "Bergen erlesen", Schelmenburgplatz 2, solle künftig eine Liste aushängen, auf der sich Besucher ankündigen können. Dann wird Weber mit viel Applaus von der Bühne verabschiedet. niklas Mag

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