„Das Elend im Bahnhofsviertel anzuschauen ist normal geworden“

Heute ist wieder Bahnhofsviertelnacht. Vorab haben wir uns im Viertel genauer umgeschaut und nachgefragt, warum Banker und Partymenschen ihr Feierabend-Bierchen gegenüber von armen Menschen trinken.
Frankfurt – Die verschiedenen Menschengruppen im Bahnhofsviertel leben zwar auf engem Raum, aber völlig getrennt voneinander: In der Niddastraße liegen Menschen auf dem Bürgersteig, manche sind drogenabhängig, andere obdachlos, manche beides. In Taunus- und Moselstraße reihen sich Sexshops, Casinos und Laufhäuser aneinander. In der Kaiserstraße hetzen Reisende zwischen Restaurants, Hotels, Juweliergeschäften und Hauptbahnhof hin und her. Angesprochen werden will keiner. Und es gibt hier keinen Ort zum Hinsetzen, keine Bank.
In der Münchener Straße bietet ein Touristenshop im Schaufenster Pfefferspray an – und ein paar Meter weiter finden sich die bei Großstadthipstern beliebten Yok-Yok-Kiosk und Plank-Bar. Auf einem der Stühle vor der Bar sitzt die 27-jährige Mareike mit ihrer 23-jährigen Freundin Lissy. Sie trinken Weißwein und haben Zeit zu reden. Lissy sagt: „Im Bahnhofsviertel sieht man halt die Gegensätze, es ist ein Abbild von Frankfurt.“ Gehen sie deshalb hier aus? „Man geht hier halt hin, man kennt die Leute.“ Tatsächlich winken zwei Vorbeilaufende wie zur Bestätigung.
„Du siehst hier echt alles, die traurigsten Leute“
Die 28-jährige Bana, die sich mit an den Tisch der Plank-Bar setzt, sagt: „Das Bahnhofsviertel hat sich schon gemacht, ist eher ein Ausgehviertel geworden. Aber immer noch stigmatisiert.“ Mareike erzählt: „Du siehst hier echt alles, die traurigsten Leute.“ Lissy ergänzt: „Die Taunusstraße ist schlimm, ‚The Walking Dead‘ live.“ Ist das nicht eher abschreckend? Lissy sagt: „Es ist wahrscheinlich das Verbotene, das reizt. Die Banker, die hier zwischen Junkies und Prostituierten ihr Bier trinken, verschließen die Augen vor Drogen und Menschenhandel und stellen das als cool hin.“ Aber sie selbst sind doch auch hier? Die beiden sehen die Problematik: „Man härtet ab, das Elend anzuschauen, ist normal geworden.“
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Seit acht Jahren ist Jenny Blaine (39) clean. Sie ist im Methadon-Programm. Mit 12 fing sie an zu trinken. Mit 16 hing sie an der Nadel. Heute klärt sie im Bahnhofsviertel auf, wie das Leben in der Drogenhölle ist. Das schreckt auch Jugendliche ab, in den Teufelskreis Droge zu kommen.
Tatsächlich steht nebenan vor dem Yok-Yok-Kiosk der 57-jährige Markus mit einem Kollegen zum Feierabendbier: „Hier trifft sich alles, die fiesen Banker wie wir mit den …“ Er spricht nicht weiter, schaut sich kurz um. Studierende sitzen auf dem Bürgersteig. Als er in die andere Richtung blickt, wo eine obdachlose Frau mit Einkaufswagen läuft, betont er: „Überall würden wir nicht stehen, aber hier ist es entspannt.“ Während er das sagt, grenzt er mit den Armen einen etwa vier Quadratmeter großen Raum ab.
„Die Drogenkonsumenten gehören eben dazu“
Der 32-jährige Chris drückt es weniger nüchtern aus: „Ich habe schon gemerkt, dass ich Berührungsängste habe.“ Ab und an besucht er eine Freundin, die hier in einer Drogenhilfe arbeitet. „Aber die Drogenkonsumenten gehören eben dazu. Es sollte mehr solcher Einrichtungen geben.“
Er trinkt Kaffee in der Kaiserstraße: „Hier kann man sich treffen. Es ist komisch, dass eine Straße weiter das Sexgeschäft passiert. Aber das Hausprojekt Nika in der Niddastraße ist großartig,“, sagt er über das alternative Wohnprojekt im Bahnhofsviertel.
Im August wurde ein 37-Jähriger im Bahnhofsviertel Frankfurt niedergestochen und lebensgefährlich verletzt. Die Polizei sucht jetzt mit Bildern einer Überwachungskamera nach den Tätern.
Der 24-jährige Vincent Jeffrey sagt: „Beim Yok-Yok sehen alle aus wie aus einem Modekatalog und starren auf die andere Seite, wo normale Leute leben, essen, einkaufen, sich die Haare schneiden lassen.“ Er fügt hinzu: „Das ist schon eine beispiellose Gentrifizierung. Die Leute suchen den Thrill und finden das auf perverse Weise geil. Wenn alle Obdachlosen oder Prostituierten weg wären, über die sie sich erheben können, würden sie hier auch keinen Kaffee mehr saufen.“
Von Sabrina Butz
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