„Nie hört das auf hier, nie!“ – Baustelle mit Presslufthämmern nervt das Nordend

„Ich komme bald ins Irrenhaus“: Auf der Glauburgstraße plagt eine Großbaustelle seit 19 Monaten alle, die dort wohnen, arbeiten oder einfach nur über die Straße wollen.
Frankfurt – Katastrophe. Desaster. Murmeltiertag. Die Begriffe wiederholen sich, wenn man mit den Menschen an der Glauburgstraße spricht. Sie haben eine Baustelle vor der Nase. Sie haben ein Problem. Dagegen ist das Problem mit dem Radverkehr eine Kleinigkeit. Aber es war der Ausgangspunkt für diese Reportage.
Nordend, Humboldtstraße. Wer öfter mal die Nord-Süd-Route mitten durch Frankfurt radelt und dafür die Humboldtstraße wegen ihrer relativen Ruhe schätzt, traut seit einiger Zeit seinen Augen nicht. Den Ohren auch nicht. Und was heißt hier „seit einiger Zeit“? Vollsperrung, seit Jahren! Gefühlt jedenfalls. Rot-weiße Plastikbarrieren, so weit der Blick reicht. Manchmal musst du rechts an der Baustelle vorbei, um die Glauburgstraße zu queren, manchmal links, und immer steht irgendwas im Weg. Ein Fahrrad, nein, zwölf Fahrräder, fünf Roller, ein Auto. Immer. Aber du hast es in 30 Sekunden hinter dir. Die Leute, die hier leben und arbeiten, nicht.
19 statt 13 Monate Bauzeit: Kanalrohre im Nordend sollten ausgetauscht werden
„Katastrophe!“ Sonja Jöckel vom Reformhaus Andersch kann trotzdem noch lächeln, wenn auch gequält. Mehr als zwei Jahre, sagt ihr Gefühl, zieht es sich. (Zieht es sich genaugenommen nicht, es zieht sich offiziell seit März 2022, aber sowas zieht sich ja oft, bis sich einem das Zeitgefühl entzieht.) Damals, vor der langen Zeit, kündigte die Stadtentwässerung an, die Kanalrohre von 1875 auszutauschen. 13 Monate sollte das dauern. Jetzt sind es 19. Die Straße: voll gesperrt.
Eine Zeitlang war das Reformhaus zu, nicht nur wegen der Baustelle, aber auch: „Wir haben die Gelegenheit zum Renovieren genutzt“, sagt Sonja Jöckel. Sie ist ganz gut zu verstehen, weil sie im Laden spricht. Draußen, vor dem Geschäft, beim Obst und Gemüse, ist es nicht so einfach. Da tut gerade der Presslufthammer, was Presslufthämmer halt tun.
Als der Kanalbau schon eine ganze Weile lief, gab es einen Wasserschaden. Eine Leitung wurde beschädigt, sagt Sonja Jöckel, nachts sprudelte es aus dem Boden in die Höhe. „Nicht lustig.“ Auch dass die Kundschaft ausbleibe: „Katastrophe. Krasse Umsatzeinbußen.“ Sie gehöre nicht zu den Leuten aus dem Oeder Weg, die über fehlende Kaufkraft jammerten, wie sie angeblich nur Kraftfahrzeuge transportieren können, sagt sie, aber: „Wir resignieren.“ Sie sei froh, wenn der Spuk hoffentlich bis Weihnachten vorbei sei. „Und wenn bis dahin keiner überfahren wurde auf dem Bürgersteig.“
Gefährliche Situationen auf dem Gehweg, kein Wort zu verstehen
Denn da ist einiges los, auf dem Trottoir. Um ein Haar wäre diese Reportage nicht erschienen. Es war ein Elektro-Fahrrad. Es war knapp. Damit nicht so gerast wird von den Rad- und Rollerleuten auf dem Bürgersteig, haben manche etwas in den Weg gestellt. Ein Schild beispielsweise, sagt die Inhaberin eines Straßencafés, die ihren Namen lieber für sich behalten möchte. Denn wer im Garten einer der Gaststätten an der Glauburgstraße sitzt, versteht sein eigenes Wort nicht – aber wer unvorsichtig heraustritt, könnte gerade seinen letzten Kaffee getrunken haben.
„Unangenehm“, sagt die Wirtin. „Ich würde mich ehrlich gesagt selbst nicht in meinen Garten setzen.“ Wegen des Lärms. Und dann ist da noch die Sache mit der Geldstrafe.
Es ging um das Schild, das die Radrenngefahr auf dem Trottoir dämpfen sollte. Das war der Stadtpolizei nicht recht. Sie beanstandete Mitte September, da liege keine Sondernutzungserlaubnis vor und verhängte eine Geldbuße in Höhe von 70 Euro plus Auslagen und Gebühren. Die Situation mit dem Radverkehr auf dem Gehweg sei bekannt, heißt es auf FR-Anfrage aus dem Ordnungsamt. „Es ist jedoch nicht die Aufgabe der Anlieger, ordnungswidrige Zustände mit ordnungswidrigen Maßnahmen zu bekämpfen. Hier ist die Stadtverwaltung gefragt.“ Das Straßenverkehrsamt sei über die Zustände vor Ort informiert worden, mit der Bitte, aktiv zu werden.
Fahrbahn wurde unterspült – Mitte November soll die Fahrbahn fertig sein
Die Wirtin muss trotzdem blechen. „Wir sind doch eh schon gestraft“, sagt sie. „Die Gäste stehen hier ...“ – KAWUMM! Hilfe! Was war das? Eine Explosion? Alle schauen sich an. „Die Gäste stehen hier am Gartentor“, die Wirtin schüttelt nur stoisch den Kopf, „die überlegen und sagen: Nee, das ist zu laut, und gehen weg.“
Katastrophe. Was ist passiert? „Lkw“, sagt einer der Bauarbeiter, „kaputt, Hydraulik.“ Schlauch geplatzt, kawumm. Ein Bagger schaufelt Straßendeckentrümmer auf den Lastwagen. Überall Schutt. Ein Mann mit Ohrenschützern planiert. Ein Mann ohne Ohrenschützer schimpft. „Nie hört das auf hier, nie!“ Er geht weiter.
Wegen des Wasserschadens hat Anfang September die Netzdienste Rhein-Main GmbH die Baustelle von der Stadtentwässerung übernommen. Auf 130 Metern Länge werden eine Trinkwasser-Versorgungsleitung und die Hausanschlüsse erneuert, sagt ein Sprecher. Vorausgegangen sei eine großflächige Unterspülung der Fahrbahn aufgrund des Schadens. Bis Mitte November sollen die Arbeiten abgeschlossen sein – wenn das Wetter mitspielt. Die Vollsperrung im Kreuzungsbereich Humboldtstraße soll Mitte Oktober enden, es folgt dann eine Teilsperrung in Richtung Oeder Weg. „Wir gehen davon aus, dass sich dadurch die Verkehrssituation entspannen sollte.“
„Da arbeitet ein Mann! Der macht alles alleine! Ein Mann!“
„Ich komme bald ins Irrenhaus“, sagt Ali Manjili in der Postfiliale an der Ecke. „Mit den Nerven fertig.“ Eine Fahne hatte er auf dem Gehweg stehen, einen gelben Postwedel, ungefähr so hoch wie ein erwachsener Mann, aber schlank wie der Suppenkasper am vierten Tag, „und dann kam eine Frau von der Stadt und hat gesagt, die Fahne muss weg.“ 250 Euro habe ihn das gekostet, sagt er. Ohne Vorwarnung. Aber vor allem müssten mehr Leute ran an die Baustelle. „Da arbeitet ein Mann! Der macht alles alleine! Ein Mann!“ In Japan, sagt Ali Manjili, hätten sie einen riesigen Wasserschaden, der ein halbes Stadtviertel zerlegt habe, in einer Woche behoben. „Habe ich im Fernsehen gesehen. Die haben da richtig viele Leute eingesetzt. Eine Woche!“
In der Glauburgstraße 86 wird ebenfalls gebohrt. Gerüst am Haus. Gelegenheit genutzt, auch hier. Schräg gegenüber hat Vassiliki Tomsevic ihre Änderungsschneiderei. „Schlimm“, sagt sie zur Lage, „es dauert zu lang. Ich habe keine Kundschaft mehr.“ Sie arbeite nur noch für die Steuern und die Miete. „Wenn das so weitergeht, muss ich zumachen.“
Dreck, Gestank, Lärm. „Seit fast zwei Jahren permanent“, sagt Christina Lüpsen, Mieterin, 50 Quadratmeter, 1200 Euro. Ich kann meinen Balkon nicht nutzen, keine Wäsche draußen aufhängen, mein Parkplatz ist weg, es kommt kein Taxi, und im Homeoffice vibriert bei den Meetings das Geschirr im Schrank.“ Katastrophe.
Unfälle in der Glauburgstraße: Stolperfalle Halteverbotsschild
„Am 31. August dachten wir, sie sind fertig. Die haben die Straße zugemacht – und dann haben sie sie wieder aufgerissen.“ Ratten seien aus dem Kanal gekommen. „Die Abfalltonnen mussten zu Sammelplätzen gebracht werden, weil die Müllabfuhr nicht durchkam.“ Nachts sei sie über ein Halteverbotsschild gestürzt, das in der dunklen Straße ständig neu postiert werde, und habe sich verletzt. Verdienstausfall. Zwei alte Damen seien auch gefallen. Einen ganzen Tag habe sie kein Trinkwasser gehabt, sagt Christina Lüpsen. Lieferanten bekämen Strafzettel. Bauarbeiter brüllten. Als es im Sommer so heiß gewesen sei, hätten sie nachts um halb zwei gearbeitet, damit der Bohrer nicht glüht.
Ungewöhnlich, dass so viele Menschen so offen ihr Herz ausschütten. Die Glauburgstraße hat sie wohl so weit gebracht. Dabei wird die Glauburgstraße auch sehr geliebt. Und sie kann ja auch nichts dafür.
„Es kommt keiner mehr“: Händler verlieren ihre Kunden
„Katastrophe.“ Yves Daull ist eindeutig derjenige, der das Wort an diesem Tag am häufigsten verwendet. „Ich habe 25 Jahre gut gearbeitet, ich kann von meinen Reserven leben“, sagt der Antiquitätenhändler, aber das müsse er auch, denn: „Es kommt keiner mehr.“ Kein Kunde, keine Kundin, niemand. Katastrophe. Auch wegen des Oeder Wegs, sagt er, seine Klientel wohne in Sachsenhausen und im Westend, nun könnten sie nicht mehr kommen wegen der Sperren und der Baustelle. Es sei ohnehin seit Corona und wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine schwierig geworden. „Alles zusammen ist für den Einzelhandel eine Katastrophe.“
Und jetzt? „Ich mache weiter“, sagt Daull, „was soll ich sonst machen?“ So halten es all die Leute von der Glauburgstraße. Fast alle. Eine Wirtin hat ihr Café aufgegeben. Die Nachfolgerin schaut skeptisch auf die rot-weißen Barrikaden. Ob sie sich beschwert hat bei der Stadt? „Alle haben sich beschwert, aber du kannst ja nichts machen.“ Nur hoffen, dass es bald vorbei ist. Und dass dich bis dahin keiner auf dem Trottoir über den Haufen radelt. (Thomas Stillbauer)